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NORDRHEIN-WESTFALEN/2053: Landtag verabschiedet Inklusionsgesetz (Li)


Landtag intern 10/2013
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Landtag verabschiedet Inklusionsgesetz
Recht für alle auf einen Platz in Regelschule ab kommendem Sommer

Von Daniela Braun



16. Oktober 2013 - Das NRW-Parlament hat das von der Regierung erarbeitete Inklusionsgesetz beschlossen. Damit setzt NRW die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen in puncto Bildung um. Kinder mit Behinderungen haben demnach ab dem Schuljahr 2014/15 schrittweise einen Rechtsanspruch auf Unterricht an einer Regelschule. Die Frage nach Folgekosten für die Kommunen und möglichen Ausgleichszahlungen des Landes bleibt zunächst offen.


Die Landesregierung hatte sich am Tag vor der zweiten Lesung im Plenum mit den Kommunen darauf verständigt, das Gesetz erst am 1. August 2014 in Kraft treten zu lassen. Der Zeitaufschub soll nun genutzt werden, um die Kosten der Inklusion für die Kommunen zu erheben. Letztere können gegen das Gesetz bis zu einem Jahr nach dessen Inkrafttreten klagen.

Ob Inklusion gelinge, entscheide sich vor Ort, unterstrich Norbert Römer (SPD). Umso mehr freue ihn, dass die kommunalen Spitzenverbände die "ausgestreckte Hand" von Rot-Grün ergriffen hätten. Die Einigung sei alles andere als ein Spiel auf Zeit. "Wir haben einen verbindlichen Untersuchungsauftrag vereinbart", erläuterte der Fraktionsvorsitzende. Der Rechtsschutz der Kommunen bleibe gewahrt. Insgesamt betonte er: Inklusion bereichere, sei aber auch ein Prozess. "Wir wollen so viel Normalität wie möglich und so viel Förderung wie nötig", so Römer. Seine Fraktion werde alles tun, dass die Inklusion als große Chance für die Gesellschaft gelinge.

"Es gibt keine Einigung, auch nicht durch Ihren Änderungsantrag", befand hingegen Klaus Kaiser (CDU). Sowohl Regierung als auch kommunale Spitzenverbände beharrten auf ihrer Position. Zudem lasse der Zeitaufschub die Betroffenen im Unklaren, so Kaiser. Gerade weil sich der Erfolg von Inklusion vor Ort entscheide, könne er nicht verstehen, dass Rot-Grün versäumt habe, Städte und Gemeinden ins Boot zu holen. Auch provozierten sie eine "Inklusion nach Kassenlage", meinte der CDU-Sprecher und betonte: "Die Kommunen haben Anspruch darauf, dass ihre Mehrkosten adäquat ersetzt werden." Inhaltlich bleibe Rot-Grün vor allem klare Qualitätsstandards schuldig.

"Wir wollen eine faire und offene Evaluation", verteidigte Sigrid Beer (GRÜNE) die Kostenuntersuchung. Sie sei froh, dass die Spitzenverbände den Weg mitgingen. Was die Unsicherheiten der Eltern und das Laufen durch Instanzen bei der Schulplatzsuche angehe, unterstrich sie: "Damit machen wir systematisch Schluss." Bereits für die Anmeldungen im nächsten Schuljahr griffen die neuen Regelungen, kündigte Beer an. Gemeinsamer Unterricht sei in NRW aber auch kein komplettes Neuland: Schon seit dem Jahr 2010 habe Rot-Grün hier mit 1.100 Lehrerstellen "massiv" investiert. Die Quote von Kindern mit Behinderungen in Regelschulen sei seitdem deutlich gestiegen.

Christian Lindner (FDP) bezeichnete die Inklusion als "sozialpolitische Schlüsselaufgabe". Kinder mit Behinderungen müssten ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft und damit auch Zugang zu Regelschulen haben. Allerdings sei der rotgrüne Entwurf in allen Anhörungen beispiellos durchgefallen, erinnerte er und forderte: "Die Qualität muss das Tempo des Inklusionsfortschritts bestimmen." Entsprechende Standards fehlten und Förderschulen würden ohne Not abgebaut. In Bezug auf die erwähnte ausgestreckte Hand der Regierung an die Kommunen meinte Lindner: "Man muss aber fairerweise hinzufügen, dass Sie sie eigentlich am langen Arm verhungern lassen wollen."

"Für mich ist es kein guter Tag", stimmte Monika Pieper (PIRATEN) in die Kritik ein. Sowohl das Verfahren als auch das Ergebnis seien nicht zufriedenstellend. Die Regierung habe trotz Kritik der Fachleute lediglich eine "Liste Wünsch-Dir-was" erstellt, bemängelte sie. Die Ansätze seien gut und richtig, aber es fehle an Verbindlichkeit. "Wir brauchen konkrete Zielvorgaben und klar abgesteckte Rahmenbedingungen", forderte Pieper. Auch eine Inklusion nach Kassenlage müsse unbedingt verhindert werden. Die Kommunen bräuchten jetzt Geld für die notwendigen Investitionen, betonte die Abgeordnete und sprach sich für ein finanzielles Landesprogramm aus.

Nach der Verabschiedung müsse das Gesetz mit Leben gefüllt werden, betonte Schulministerin Sylvia Löhrmann (GRÜNE). Das Ganze sei kein Experiment: Bereits ein Drittel der Grundschulen habe Erfahrung beim gemeinsamen Lernen. Expertenkritik habe es gegeben, aber nicht einhellig, so die Ministerin, - abgesehen von den Ressourcenfragen. Hier trage das Land seinen Anteil: Während sich die Inklusionsquote verdreifache, versechsfache es die Zahl der Lehrerstellen. Welche Kosten bei den Kommunen entstünden, werde nun bis Ende Januar evaluiert, so Löhrmann. In Bezug auf eingeforderte Qualitätsstandards lehnte sie eine "Einheitsinklusion nach Maßstab" ab.


Angenommen
Das Gesetz (Drs. 16/2432) wurde in namentlicher Abstimmung bei 231 Stimmen mit 124 zu 107 Stimmen verabschiedet.

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Quelle:
Landtag intern 10 - 44. Jahrgang, 27.11.2013, S. 9
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2014