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NORDRHEIN-WESTFALEN/2117: Landtag gegen öffentlich-rechtliche Stiftung zum Atomausstieg (Li)


Landtag intern 6/2014
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

"Die Atomindustrie ist unkalkulierbar"
Landtag gegen öffentlich-rechtliche Stiftung zum Atomausstieg

Von Daniela Braun



15. Mai 2014 - Es sind keine zehn Jahre mehr bis zum Ende der Kernenergie in Deutschland. Laut Medienberichten gibt es nun einen Vorschlag der Stromkonzerne, die noch laufenden Atommeiler über eine öffentlich-rechtliche Stiftung an den Bund abzutreten. Die Idee: Der Staat betreibt die Kraftwerke bis zum Jahr 2022, zahlt dann aber auch die Milliardenkosten für den Abriss und die Lagerung der Atomabfälle. Offenbar sei den Konzernen klar, dass ihre Rücklagen längst nicht ausreichten, so die Piratenfraktion in einem Antrag. Sie befürchtet, dass die Konzerne die Kosten für den Atomausstieg auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abwälzen könnten. Thema einer Aktuellen Stunde im Landtag.


"Die Stromkonzerne dürfen sich nicht - auch nicht teilweise - aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung herausstehlen", machte Dietmar Schulz (PIRATEN) deutlich. Die Stiftungsidee, befürchtet er, würde auch die NRW-Kommunen treffen, da diese teils an den Konzernen beteiligt seien. Es könne nicht angehen, dass die Unternehmen über Jahre Gewinne einführen, die Verluste aber auf die Steuerzahlenden abwälzen wollten, betonte Schulz. Zudem kritisierte er, dass die finanziellen Rücklagen der Konzerne für die Folgen der Atompolitik und den Rückbau der Meiler überwiegend in verlustanfälligen Anlagegeschäften steckten.


"Spekulativer" Bericht

Thomas Eiskirch (SPD) bezeichnete die Stiftungs-Debatte auf Basis eines "spekulativen" Presseartikels als maßlos überzogen. Was aber in der Tat zutreffe: "Die Atomindustrie ist unkalkulierbar." Dies gelte für die Kosten wie auch sonstige Risiken. Daher lobte Eiskirch den von Rot-Grün vereinbarten Atomausstieg. Nach dem Gesetz sei auch klar, wer den Rückbau und die Atommülllagerung zahlen müsse: die Betreiber. "Es kann nicht sein, dass wir diese Risiken sozialisieren", so der Abgeordnete. Natürlich könne man anzweifeln, ob die Rücklagen der Konzerne ausreichten - diese Frage sei aber aktuell nicht vorrangig.

"Diese Debatte ist schon beendet, bevor sie richtig begonnen hat", meinte der CDU-Sprecher Thomas Kufen. Niemand - weder die Konzerne noch die Bundesregierung - hätten Überlegungen zu einer "Bad Bank" für die Atomindustrie bestätigt. Losgelöst vom Stiftungsmodell gebe es natürlich Handlungsbedarf: Die Unternehmen müssten Geld für den Atomausstieg und dessen Folgen auch in für sie schwierigen Zeiten zurücklegen. Bislang seien sie den finanziellen Verpflichtungen nach dem VerursaVerursacherprinzip nachgekommen, stellte Kufen fest. Bei dem Prinzip bleibe es - die Politik werde die Konzerne nicht von den Kosten entbinden.

Hans Christian Markert (GRÜNE) vermutete hinter der Stiftungsidee einen Testballon: "Wir wissen doch, wie Politik funktioniert." Daher sei es wichtig, sich mit dem Inhalt zu beschäftigen. "Ein solches Ansinnen ist dreist, schäbig und keinesfalls marktwirtschaftlich", unterstrich Markert und forderte, erst gar nicht in dieser Richtung zu verhandeln. Es sei bemerkenswert, dass Privatoligopolisten nach Verstaatlichung riefen, sobald Verluste drohten. Offenbar hätten sie nicht ausreichend vorgesorgt. Zwar bezeichnete Markert ein Fondsmodell als diskussionswürdig, doch nicht zu von den Konzernen diktierten Vorgaben.

Auf Spekulationsbasis politische Debatten zu führen, bewertete Dietmar Brockes (FDP) als falsch. Die Kanzlerin habe bereits gesagt, dass ein Atomfonds nicht verhandelt werde. Auch den von der Piratenfraktion genannten NRWBezug könne er nicht erkennen: "Ihre Feststellung, dass NRW sofort zur Kasse gebeten werden soll, ist hanebüchen." Die Kosten für den Atomausstieg seien jedoch durchaus ernst zu nehmen. "Zuständig sind die Betreiber, dabei sollte es auch bleiben", befand Brockes. Es sei daher wichtig, den Energiemarkt so zu gestalten, dass die aktuell noch benötigten fossilen Kraftwerke weiter Geld zurücklegen könnten.

Ob Testballon oder Aufguss eines eigentlich kalten Kaffees: Auch Energieminister Garrelt Duin (SPD) betonte, dass weder die Bundesregierung noch die Konzerne den Presseartikel bestätigt hätten. Über die Folgen und Kosten des Atomausstiegs müsse die Politik anhand von gesicherten Konzepten diskutieren, forderte der Minister. Dabei sei sich die Landesregierung einig: "Wir lassen die Unternehmen nicht aus der Verantwortung." Sie müssten die Kosten tragen, nicht die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, betonte Duin. Es sei aber auch zu berücksichtigen, dass die Wirtschaftlichkeit von Kraftwerken zunehmend infrage stehe.

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Quelle:
Landtag intern 6 - 45. Jahrgang, 4.6.2014, S. 4
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2014