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NORDRHEIN-WESTFALEN/2124: Kinderschutz versus Schweigepflicht (Li)


Landtag intern 6/2014
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Kinderschutz versus Schweigepflicht
Weniger Datenschutz zum Wohle misshandelter Kinder?

Von Christian Wolf



22. Mai 2014 - Wie können Kinder besser vor Misshandlungen geschützt werden? Dieser Frage sind der Gesundheits- und der Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend in einer gemeinsamen Expertenanhörung nachgegangen. Das Ergebnis: Einen eindeutigen Weg hin zu mehr Kinderschutz gibt es nicht. Selbst die Sachverständigen sind sich in ihren Einschätzungen nicht einig.


Grundlage der Anhörung war ein Gesetzentwurf (Drs. 16/4819) von CDU, FDP und PIRATEN, die den verfassungsrechtlich verankerten Schutz von Kindern durch eine Änderung des Heilberufsgesetzes erhöhen wollen. Ärztinnen und Ärzte sollen sich bei hinreichendem Verdacht auf Kindesmisshandlungen interkollegial austauschen dürfen.

Aus kinder- und jugendärztlicher Sicht wurde der vorliegende Gesetzentwurf ausdrücklich begrüßt. "Es wäre ein erster wichtiger Schritt zu mehr Rechtssicherheit", sagte Dr. Ralf Kownatzki vom Landesverband Nordrhein des Verbandes der Kinder- und Jugendärzte. Bislang sei die rechtliche Situation beim interkollegialen Austausch für alle Ärzte, die Kinder mit Verdacht auf Misshandlungen behandeln, unzureichend und nicht eindeutig. Dies betreffe auch die Regelungen des Bundeskinderschutzgesetzes In der Folge würden Diagnosen verschleppt und nicht frühzeitig genug gestellt. Ein weiterer Vorteil des Gesetzes könne sein, dass das sogenannte Doktorhopping erschwert würde. Eltern, die ihre Kinder misshandelten, wechselten häufig den Arzt, um nicht entdeckt zu werden. Ein intensiver Austausch des ärztlichen Personals untereinander würde diesen "Nutzen" zunichte machen. Auch der Landesverband Westfalen-Lippe zeigte sich grundsätzlich einverstanden mit dem Gesetzentwurf und verwies darauf, dass sich Ärztinnen und Ärzte dann sicherer fühlten.

Genau diese Rechtssicherheit sahen allerdings nicht alle Sachverständigen gewährleistet. Das Ziel, insbesondere Kinderärzten bei der Weitergabe von Patientendaten mehr Sicherheit zu geben, sei zwar begrüßenswert. Mit dem Entwurf werde dies aber nicht erreicht, sagte Alfred Oehlmann-Austermann für die beiden Landesjugendämter in NRW. Neben Formulierungen mit unbestimmten Rechtsbegriffen müssten Ärztinnen und Ärzte auch in Zukunft abwägen, ob durch ihre Datenweitergabe ein höherwertiges Rechtsgut geschützt werden könne. Und schon jetzt ermöglichten Berufsordnung und Strafgesetzbuch eine straffreie Datenweitergabe.

Darauf verwies auch Reiner Limbach für die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände. Unter bestimmten Voraussetzungen sei es bereits heute möglich, die ärztliche Schweigepflicht zu durchbrechen. Die Idee einer landesweiten Datenbank, in der sich Ärzte informieren und austauschen, könne mit dem Gesetzentwurf nicht realisiert werden, da dafür keine ausdrückliche Rechtsgrundlage geschaffen werde. Auch bestehe die Sorge, dass Eltern seltener mit ihren Kindern zur Ärztin oder zum Arzt gingen, wenn sie in einer solchen Datenbank erfasst würden. Den betroffenen Kindern erweise man damit einen Bärendienst. "Wir würden immer dem bilateralen Austausch den Vorzug geben", sagte Limbach.


Andere Akteure

Eine deutlich ablehnende Position bezog die Landesarbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege: Der Gesetzentwurf sei nicht geeignet, den Kinderschutz in NRW zu verbessern, sagte Helga Siemens-Weibring. Eine Änderung des Heilberufsgesetzes in dieser Form trage dazu bei, Kinderärzte aus den berufsübergreifenden Netzwerken vor Ort auszugrenzen, obwohl sie dort mehr eingebunden werden müssten. Anstatt des Gesetzentwurfes wünsche man sich, dass der Bundesgesetzgeber die Kooperation zwischen Kinderärzten, Jugendhilfe und anderen Akteuren verbindlich absichere und finanziere. Ziel sei ein verlässlicher, regelmäßiger Austausch. Auch gelte es, die Fort- und Weiterbildung der Kinderärzte auszubauen.

Ebenfalls skeptisch zeigte sich der NRWLandesverband des Deutschen Kinderschutzbundes. Immer wieder kam der Wunsch nach einem "großen Wurf" in Form eines Kinderschutzgesetzes auf. Dies sei allerdings kein Gegenargument zum vorliegenden Entwurf, widersprach Sebastian Fiedler vom Bund der Kriminalbeamten. Die jetzt diskutierten Änderungen seien "seit Jahren extrem überfällig", "absolut gut und richtig". Fälle von Missbrauch, die bislang im Dunkeln blieben, könnten durch besseren ärztlichen Austausch ans Tageslicht gelangen.

Von positiven Erfahrungen des interkollegialen Informationsaustauschs berichtete Heinz Sprenger vom Duisburger Verein Riskid. Es sei zwar nur ein "ganz, ganz kleiner Schritt", der aber Wirkung erziele: "Damit retten Sie einigen Kindern später das Leben."

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Quelle:
Landtag intern 6 - 45. Jahrgang, 4.6.2014, S. 15
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2014