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NORDRHEIN-WESTFALEN/2185: Regierung und Opposition streiten über Umsetzung der Inklusion (Li)


Landtag intern 4/2015
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

PLENUM Alarm oder Alarmismus?
Regierung und Opposition streiten über Umsetzung der Inklusion in NRW

Von Christoph Weißkirchen


Als nicht ausreichend bezeichneten die drei Oppositionsfraktionen die Ressourcen zur Umsetzung der schulischen Inklusion, also des gemeinsamen Lernens behinderter und nicht behinderter Kinder. Sie verwiesen auf entsprechende Ergebnisse einer Umfrage im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). Landesregierung und Regierungsfraktionen wiesen die Kritik als nicht begründet zurück.


Die Debatte erfolgte auf Antrag der FDP (Drs. 16/8703). Für Kinder, die seit dem Schuljahr 2014/2015 die Klasse 5 einer weiterführenden Schule besuchen, gilt aufgrund eines Gesetzes vom 5.11.2013 das Recht auf gemeinsames Lernen in einer allgemeinbildenden Schule.

Flächendeckend finde ein Qualitätsabbau in der sonderpädagogischen Förderung statt, kritisierte Yvonne Gebauer (FDP) die Umsetzung der schulischen Inklusion in NRW. Schreiben von Lehrkräften, Schulleitungen, Eltern, Fachverbänden und Kommunen belegten, dass die derzeitigen Inklusionsbedingungen völlig unzulänglich seien. Dies werde maßgeblich durch fehlende Lehrerstellen sowie durch fehlende Fortbildung der betroffenen Lehrerinnen und Lehrer verursacht. Es würden auch nicht 3.200 Stellen neu geschaffen, sondern diese nur umgeschichtet. Ohne ausreichendes sonderpädagogisches Fachpersonal sei aber Inklusion an den Schulen nicht möglich.

Der VBE versuche mit Verweis auf die Studie lediglich, seine Forderung nach mehr Lehrerstellen zu untermauern, entgegnete Renate Hendricks (SPD). Außerdem sei die Studie bundesweit angelegt; belastbare Aussagen für NRW könnten daraus nicht gezogen werden. Richtig sei dagegen, dass NRW die Inklusion behutsam umsetze. Es gebe auch keine Schließungswelle an Förderschulen. Allerdings müssten systematisch sonderpädagogische Strukturen an den allgemeinbildenden Schulen aufgebaut und gleichzeitig trennende Strukturen wie separate Förderschulen abgebaut werden. Eine Doppelbesetzung im Unterricht hielt Hendricks nur übergangsweise für erforderlich.


Unterstützung notwendig

"So fahren Sie die Inklusion an die Wand", befürchtete Klaus Kaiser (CDU). Die Kinder würden zu Versuchskaninchen. Dabei gebe es bei den Lehrerinnen und Lehrern eine große Bereitschaft, die Inklusion umzusetzen. Allerdings fühlten diese sich nicht wertgeschätzt und zu häufig alleingelassen. Kaiser hob die Bedeutung kleinerer Klassen für die Betreuung von Kindern mit sozialen und emotionalen Beeinträchtigungen hervor und forderte eine ausreichende sonderpädagogische Begleitung. Die Landesregierung müsse Qualitätsstandards festlegen und einhalten. Stattdessen zerstöre sie über den Mindestgrößenerlass die bestehende Förderschullandschaft.

"Sie reden das Land schlecht", warf Sigrid Beer (GRÜNE) der FDP unbegründeten "Alarmismus" vor. Im Gegensatz zu Schwarz-Gelb habe die rot-grüne Landesregierung 1 Milliarde Euro in den Inklusionsprozess investiert und zum Beispiel 3.200 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen sowie 100 Millionen Euro für Aus- und Weiterbildung zur Verfügung gestellt. Für die Unterstützung der Schulträger sowie den Aufbau von multiprofessionellen Unterstützungsstrukturen habe man 175 Millionen Euro vorgesehen. Daher sei es "Unfug", von einer überstürzten Umsetzung zu reden. Inklusion sei kein Zustand, sondern ein Prozess, der behutsam gesteuert werden müsse.

Aufgrund mangelnder Qualität und steigender Unzufriedenheit könnte die Inklusion möglicherweise grundsätzlich infrage gestellt werden, meinte Monika Pieper (PIRATEN). Eine der elementaren Voraussetzungen, die Doppelbesetzung der Klassen mit inklusivem Unterricht, werde kaum erfüllt. Und wenn überhaupt, dann nur in Hauptfächern. Dies bedeute erstens eine schleichende Abwertung von Nebenfächern. Zweitens liefen die Lehrerinnen und Lehrer "auf dem Zahnfleisch". Des Weiteren gebe es zu große Klassen, zu wenig Test- und Diagnoseverfahren, zu wenig Differenzierungsräume. Ihr Fazit: Die notwendige Förderung der Kinder sei nicht mehr gewährleistet.

Als "Stimmungsmache" wertete Schulministerin Sylvia Löhrmann (GRÜNE) die Haltung von CDU und FDP. Dies werde der engagierten Arbeit an den Schulen nicht gerecht. Die Aussagen der VBE-Studie zeigten, dass der Weg zur Inklusion weit sei. Die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen stehe allerdings nicht zur Disposition. Im Ländervergleich könne die Förderung in NRW sich sehen lassen; so stelle die Landesregierung den Kommunen fünf Jahre lang jährlich 35 Millionen Euro zum Ausbau der Inklusion zur Verfügung. Eine erste Auswertung zeige, dass dies ausreiche. Das Tempo des Ausbaus folge dabei dem Willen der Eltern.

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Quelle:
Landtag intern 4 - 46. Jahrgang, 28.5.2015, S. 3
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2015

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