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NORDRHEIN-WESTFALEN/2203: Chance und Herausforderung (Li)


Landtag intern 7/2015
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

PLENUM
Chance und Herausforderung

Von Michael Zabka und Wibke Busch


30. September 2015 - Sie kommen zu Tausenden, jede Woche: Flüchtlinge, die Schutz und eine neue Heimat suchen. Mit dem Großprojekt der deutschen Politik, die Asylsuchenden unterzubringen, zu versorgen und zu integrieren, befasste sich erneut der Landtag. In einer Plenardebatte unterrichtete die Landesregierung über die Ergebnisse des Bund-Länder-Gipfels vom 24. September 2015. In Verbindung damit wurde der dritte Nachtragshaushalt für 2015 beraten. Er sieht wegen der großen Zahl an Asylsuchenden 900 Millionen Euro Mehrausgaben für 2015 vor (siehe Kasten).

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) nannte die Gipfelergebnisse in der Debatte eine "gute Lösung". Sie hob die Zusagen des Bundes hervor, die Asylverfahren zu beschleunigen und eine Kostenpauschale von 670 Euro pro Flüchtling zu zahlen. Der Bund komme damit "angemessen" seiner Verantwortung nach. Deutschland habe nach dem Gipfel "bessere Voraussetzungen", um die Herausforderungen in der Flüchtlingspolitik anzugehen und zu bestehen. Kraft betonte zugleich, der "Hauptteil der Aufgabe" sei die Integration der Flüchtlinge, und hier sei der Zugang zum Arbeitsmarkt der "Königsweg". Zugleich werde die Vermittlung der Werte des Grundgesetzes eine wichtige Grundlage sein. Errungenschaften wie Toleranz und Religionsfreiheit seien "nicht verhandelbar".


"Sprint und Marathonlauf"

Auch CDU-Fraktionschef Armin Laschet lobte die Ergebnisse des Gipfels. Die Politik brauche nun "Sprinter- und Langläuferqualitäten". Mit Blick auf den Winter müsse schnell und flexibel gehandelt werden, um alle Flüchtlinge angemessen zu versorgen. Zugleich stehe ein "Integrationsmarathon" bevor. Laschet warf der Landesregierung vor, sie habe in den vergangenen Jahren ihre Hausaufgaben nicht gemacht und daher schlechtere Voraussetzungen, um die Lage zu meistern. So seien die finanziellen Spielräume enger als in anderen Ländern. Er kritisierte auch, Kraft habe bei ihrer Kabinettsumbildung die "einzigartige Chance" verpasst, mit einem Neuzuschnitt der Ministerien die wichtigen Aufgaben der Flüchtlingspolitik besser zu koordinieren.

Von einer "historischen Bewährungsprobe" sprach SPD-Fraktionschef Norbert Römer. Diese werde das Land nur bestehen, wenn sich alle als "Verantwortungsgemeinschaft" verstünden. Zu lange habe die Last allein auf den Schultern von Ländern, Kommunen und ehrenamtlich Engagierten gelegen. Mit dem Gipfel-Kompromiss habe nun der Bund seine Verantwortung angenommen. Die Kritik der CDU an der rot-grünen Politik wies er als "kleinkariert" zurück. Römer warf seinerseits CDU und FDP vor, derzeit zu stark mögliche Gefahren der Zuwanderung zu betonen. Deutschland könne durch die Zuwanderung zu einem Land werden, das dynamischer, innovativer und wirtschaftlich erfolgreicher sei als die Länder, die sich abschotteten.

"Das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention stehen für Liberale nicht zur Disposition", bekräftigte Dr. Joachim Stamp, der Vizevorsitzende der FDP-Fraktion. Er warnte vor Populismus - aber auch davor, die Situation ankommender Flüchtlinge zu romantisieren. Die Aussage der Bundeskanzlerin "Wir schaffen das" ersetze kein vernünftiges Handeln. Genau das aber sei erforderlich. "Wir können es schaffen, wenn wir richtig handeln", sagte Stamp. Erforderlich sei eine realistische Einschätzung: "Nicht jeder, der zu uns kommt, ist automatisch eine Bereicherung. Der Anteil an unangenehmen Zeitgenossen dürfte bei den Flüchtlingen ähnlich hoch sein wie bei der deutschen Bevölkerung."


Geld für die Kommunen

GRÜNEN-Fraktionschef Mehrdad Mostofizadeh dankte der Ministerpräsidentin für ihre "klaren Worte". Es sei gut, dass Menschen aus Ländern des Westbalkans nun über das Arbeitsrecht eine Einwanderungsperspektive erhielten. Positiv sei zudem, dass die Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge geregelt werde. Mostofizadeh wies auch auf die beschleunigten Verfahren und zusätzlich eingestelltes Personal hin, darunter etliche Richter und Mitarbeiter für die Registrierung der Flüchtlinge. Dass das Geld, das der Bund für die Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge zusätzlich zur Verfügung stelle, "eins zu eins" an die Kommunen weitergegeben werde, sei eine Selbstverständlichkeit.

Die Landesregierung sei überfordert und handle planlos, sagte Dietmar Schulz (PIRATEN). Flüchtlinge erlebten keine Willkommenskultur, sondern "desolate sanitäre Situationen mit Außenduschen, verdreckten Toiletten und untauglicher Stromversorgung". Seine Fraktion habe zahlreiche Forderungen zur Bereitstellung von Flüchtlingsunterkünften gestellt, die von Rot-Grün abgelehnt worden seien - der Verzicht auf "Zeltstädte" ebenso wie die Einführung einheitlicher Unterkunftsstandards. Es sei Aufgabe der Politik, Antworten zu geben und Probleme proaktiv zu lösen. Die Landesregierung zeige keine Lösungswege auf und verfahre nach dem Prinzip "Versuch und Irrtum".


KASTEN
 
Mehr Geld für die Betreuung von Flüchtlingen

Der Landtag hat am 1. Oktober 2015 den dritten Nachtragshaushalt für 2015 verabschiedet. Er sieht Mehrausgaben in Höhe von 900 Millionen Euro vor - für die Unterbringung, Versorgung, Betreuung und Integration von Flüchtlingen. Für den Gesetzentwurf der rot-grünen Landesregierung stimmten in der dritten Lesung die Koalitionsfraktionen von SPD und GRÜNEN. Die Oppositionsfraktionen von CDU, FDP und PIRATEN enthielten sich.


Der Nachtragshaushalt war wegen der aktuellen Lage in einem fraktionsübergreifend verabredeten verkürzten Verfahren an zwei Plenartagen hintereinander beraten worden, damit das Geld Anfang Oktober zur Verfügung steht.

Schätzungen zufolge werden in diesem Jahr zwischen 170.000 und 200.000 Flüchtlinge nach Nordrhein-Westfalen kommen.

Die 900 Millionen Euro an Mehrausgaben werden nach Angaben des Landesfinanzministeriums aus erwarteten Steuermehreinnahmen finanziert. Insgesamt steigen die Ausgaben für die Flüchtlingspolitik im Etat 2015 auf 1,7 Milliarden Euro. Das Gesamtvolumen des Landeshaushalts erhöht sich auf 65,5 Milliarden Euro. Die Neuverschuldung bleibt bei 1,9 Milliarden Euro.


Stellen bei Gerichten

Der größte Teil der Mehrausgaben in Höhe von 863 Millionen Euro fließt den weiteren Angaben zufolge an das Landesinnenministerium. So sollen 152 Millionen Euro für die Schaffung von 50.000 weiteren Unterbringungsplätzen für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt werden.

Das Schulministerium erhält weitere 35 Millionen Euro für 2.625 Lehrerstellen, um den Unterricht für Flüchtlingskinder zu sichern. Mit 217 Millionen Euro sollen den Angaben zufolge die Kommunen entlastet werden. Um die Asylverfahren zu beschleunigen, werden 76 weitere Stellen bei Verwaltungsgerichten geschaffen.

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Quelle:
Landtag intern 7 - 46. Jahrgang, 6.10.2015, S. 4-5
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2015

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