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NORDRHEIN-WESTFALEN/2220: Heftige Debatte nach Silvester-Übergriffen (Li)


Landtag intern 1/2016
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

PLENUM
Heftige Debatte nach Silvester-Übergriffen
Abgeordnete kommen zu Sondersitzung zusammen

Von Sonja Wand, Wibke Busch und Michael Zabka


14. Januar 2016 - Köln, die Nacht zum 1. Januar. Im Hauptbahnhof und auf dem Vorplatz werden Frauen sexuell bedrängt, beraubt und bestohlen. Die Landesregierung spricht von fast 1.000 Anzeigen in Köln und drei weiteren Städten. In vielen Fällen habe es sich um Sexualstraftaten gehandelt, darunter zwei vollendete und zwei versuchte Vergewaltigungen. Tatverdächtig sind mehrheitlich junge Männer mutmaßlich aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum. Die Übergriffe standen im Mittelpunkt einer von CDU und FDP beantragten Sondersitzung des Landtags.


Die Oppositionsfraktionen attackierten die Landesregierung scharf, vor allem Innenminister Ralf Jäger (SPD). Zuvor hatte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) die Abgeordneten über Konsequenzen aus dem Vorfall unterrichtet.

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sagte: "Es tut mir unendlich leid, dass das geschehen konnte." Und: "Es lag in unserer Verantwortung." Es werde alles dafür getan, das Sicherheitsgefühl wiederherzustellen und dass so etwas nicht wieder geschehe. Kraft kündigte an, mit einer zentralen Anlaufstelle, mehr Personal in den Staatsanwaltschaften und hohen Belohnungen für Hinweise für eine konsequente Strafverfolgung zu sorgen. Zudem solle die innere Sicherheit gestärkt werden - u. a. mit beschleunigten Strafverfahren, möglichst schnell 500 Polizeikräften zusätzlich, einer Ausweitung der Videoüberwachung und einem intensiveren Datenaustausch mit Behörden im In- und Ausland.

"Was Sie heute vorgetragen haben, ist eine Bankrotterklärung von fünf Jahren Innenpolitik in Nordrhein-Westfalen", antwortete CDU-Fraktionschef Armin Laschet. "Wenn das heute ein Kurswechsel sein sollte und Sie meinen, das geht idealerweise mit dem Minister, der fünf Jahre lang das Gegenteil gemacht hat, dann haben Sie uns nicht an Ihrer Seite." Laschet warf dem Innenminister fehlenden Anstand vor und kritisierte, dass er seine Verantwortung als Ressortchef "nach unten wegdrückt". Wenn die Ministerpräsidentin es ernst meine, müsse sie der Polizei die Instrumente der Schleierfahndung sowie Body-Cams gewähren, eine Strukturreform einleiten und auf Videoüberwachung setzen.

Die Polizei sei in jener Nacht überfordert gewesen und habe als Behörde versagt, sagte SPD-Fraktionschef Norbert Römer. Dies gelte jedoch nicht für einzelne Beamte. Römer versprach, alles zu tun, um eine Wiederholung der Gewaltexzesse zu verhindern. Zugleich stellte er sich hinter den Innenminister. Niemand habe in den vergangenen Jahren mehr für die innere Sicherheit in NRW geleistet als Jäger. Kein anderer Innenminister sei konsequenter gegen Rocker, Islamisten und Salafisten vorgegangen. Jäger habe der Polizei die Stärke zurückgegeben, die CDU und FDP ihr zuvor genommen hätten. Römer warf Laschet vor, die Ängste der Bevölkerung für eigene politische Zwecke nutzen zu wollen.

Der Silvesterabend in Köln markiere eine Zäsur, meinte FDP-Fraktionschef Christian Lindner: "Die Ereignisse erschüttern das Vertrauen in das Gewaltmonopol des Staates." Aus aktueller Verunsicherung dürfe aber keine generelle Vertrauenskrise werden. Ministerpräsidentin Kraft habe die Dimension der Ereignisse immer noch nicht erkannt. Sie arbeite sich an einer Opposition ab, die seit 2010 keine Regierungsverantwortung mehr trage. Dies zeige ihre Hilflosigkeit. Wie Laschet griff auch Lindner den Innenminister an. Jäger habe die "Taktik des Aufklärens und Anklagens nur gewählt, um die eigene Haut zu retten". Die öffentliche Sicherheit in NRW sei ihm "weitgehend entglitten".

Mehrdad Mostofizadeh, GRÜNEN-Fraktionschef, sagte, es tue ihm leid, dass in Köln Frauen nicht hätten geschützt werden können. Dies sei "beschämend". Nun gehe es darum, Vertrauen wiederherzustellen und die Geschehnisse genau aufzuarbeiten. So müsse es eine schnelle Strafverfolgung und eine schnelle Bestrafung der Täter geben. Nur der handlungsfähige und starke Staat könne die Schwachen wirksam schützen. Daher unterstütze seine Fraktion u. a. das Ansinnen der Landesregierung, mehr Polizei auf die Straße zu bringen. Mostofizadeh mahnte zugleich, dass die Taten von Köln nicht von Rechtspopulisten instrumentalisiert werden dürften, um Menschen unter einen Generalverdacht zu stellen.

Für die Fraktion der PIRATEN sagte der Vorsitzende Michele Marsching, die späte Reaktion der Polizei in Köln sei ein "Skandal". Dem Innenminister warf er "Totalversagen" vor. Jägers Bilanz sei "vernichtend". Wer die eigene Polizei nun an den Pranger stelle, der klammere sich an den letzten Strohhalm. Marsching rief Jäger zu: "Es wird Zeit, dass Sie die Größe haben, selbst die politische Verantwortung zu übernehmen. Ich fordere Sie hiermit klipp und klar auf: Treten Sie zurück!" Er warnte davor, Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen. Die Vorfälle von Köln dürften nicht dafür herangezogen werden, um eine Verschärfung des Asylrechts zu fordern.

Der fraktionslose Abgeordnete Daniel Schwerd sagte, die Ereignisse von Köln hätten alle entsetzt. Es dürfe aber keine Vermischung mit der Frage geben, wie Deutschland weiter mit der Integration von Flüchtlingen umgehe. Asylrecht sei ein Menschenrecht, kein Gastrecht.

Innenminister Ralf Jäger (SPD) entschuldigte sich bei den Opfern der Silvesternacht. Was den Frauen dort passiert sei, "tut mir aufrichtig und unendlich leid". Es sei seine Aufgabe als Innenminister, Fehler anzusprechen und dafür zu sorgen, dass sich solche Vorfälle nicht wiederholten. Die Polizisten, die in der Nacht in Köln im Einsatz gewesen seien, hätten alles gegeben und litten selbst darunter, dass sie nicht alle Frauen hätten schützen können. Es habe aber "erhebliche und gravierende Fehler" in der Einsatzführung gegeben. Der Minister betonte: "Ich möchte mich für diese Fehler bei den Opfern entschuldigen." So sei keine Verstärkung gerufen worden, obwohl diese zur Verfügung gestanden habe. Die Öffentlichkeitsarbeit sei "fatal" gewesen.



Schlagabtausch schon im Innenausschuss

Der Innenausschuss hatte sich bereits am 11. Januar 2016 in einer Sondersitzung mit den Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof befasst. Das Bild, das die Kölner Polizei in dieser Nacht abgegeben habe, sei nicht akzeptabel, sagte Innenminister Ralf Jäger (SPD) in der Sitzung. Sprecher von CDU und FDP warfen dem Minister vor, den "Schwarzen Peter" der Polizei zuschieben zu wollen.

Wegen des großen öffentlichen Interesses wurde die Debatte in einen weiteren Sitzungssaal übertragen. Zahlreiche deutsche und ausländische Medien waren vertreten.
Theo Kruse (CDU) beklagte im Ausschuss eine "schleichende Erosion des Rechtsstaates". Marc Lürbke (FDP) sprach von "Pannen", "Versäumnissen" und "fehlerhafter Aufarbeitung".

Innenminister Jäger wies eine persönliche Verantwortung zurück. Die Fehler seien in Köln gemacht worden. Als Minister könne und wolle er nicht in "operative Lagen" eingreifen. Es gelte, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Dabei müssten auch unbequeme Themen angesprochen werden, eine "falsch verstandene political correctness" sei fehl am Platze. Der Minister wies Vermutungen zurück, die Landesregierung habe die Polizei angewiesen, die Herkunft der Tatverdächtigen zu verschweigen.
Er sei "maßlos enttäuscht", dass der Bericht der Landesregierung so spät komme, sagte Frank Herrmann (PIRATEN). Zudem enthalte der Bericht nicht viel Neues. Dass die Übergriffe nun von Rechtsextremisten instrumentalisiert würden, sei erschreckend, sagte Verena Schäffer (GRÜNE). Sexualisierte Gewalt habe es schon vor der Ankunft der Flüchtlinge gegeben. Der Bericht der Landesregierung decke schonungslos die Fehler der Polizeibehörde auf, erklärte Thomas Stotko (SPD). Er fragte, ob die Bundespolizei möglicherweise überfordert gewesen sei. NRW-Polizei habe Frauen zu den Bahnsteigen begleiten müssen.

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Quelle:
Landtag intern 1 - 47. Jahrgang, 02.02.2016, S. 4-5
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2016

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