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NORDRHEIN-WESTFALEN/2251: Anhörung zum Thema Sexualisierte Gewalt (Li)


Landtag intern 6/2016
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Schutz für Frauen und Mädchen
Anhörung zum Thema "Sexualisierte Gewalt"

Von Sonja Wand


29. Juni 2016 - Sexuelle Gewalt gegen Frauen: Mit diesem Thema hat sich der Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation befasst. Dabei ging es u. a. um die Frage: Wie lässt sich sexualisierte Gewalt bestrafen, besser noch: vermeiden? In einer Anhörung äußerten sich Sachverständige dazu. Grundlage waren zwei Anträge von SPD und GRÜNEN sowie von Daniel Schwerd (fraktionslos).


Die Expertinnen und Experten hatten bereits schriftliche Stellungnahmen eingereicht und begrüßten im Landtag die Forderungen in den Anträgen. So gelte es, bestehende Gesetzeslücken bei sexualisierter Gewalt zu schließen, das Bewusstsein für sexuelle Übergriffe gegen Frauen gesamtgesellschaftlich zu stärken und die Arbeit von Frauenberatungsstellen und -notrufen weiter zu unterstützen. Auch die Prävention mit Hilfe geschlechtersensibler Pädagogik bewerteten die meisten Sachverständigen als wichtig.

"Reichen die Angebote aus? Nein, ganz klar nein, und sie sind unzureichend finanziert", kritisierte Renate Janßen von der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) autonome Mädchenhäuser/ feministische Mädchenarbeit NRW den Ist-Stand. Vier Mädchenberatungsstellen landesweit seien einfach zu wenig. Auch bei den Frauenhäusern stehe die Ampel für verfügbare Plätze NRW-weit gerade auf Rot, sagte Claudia Fritsche von der LAG autonome Frauenhäuser in NRW. Die Aufklärungsarbeit sah sie als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sich vom Kindergarten an durch alle gesellschaftlichen Bereiche ziehen müsse. "Die Frage ist doch: Werden die Dinge umgesetzt? Und wer kontrolliert sie?", gab Janßen zu bedenken.

Frauke Mahr von der Initiative "lila in köln" betonte die Notwendigkeit, Frauen zu ermutigen. Wichtig seien aber auch die Fragen: "Was haben wir den Jungen mitzuteilen? Was haben wir von den Männern zu fordern?" Auch zum Entschluss, nach einem Übergriff Anzeige zu erstatten, brauche es Mut. Die Aussicht, dass beispielsweise in Düsseldorf von der Anzeige bis zum Prozess anderthalb bis zwei Jahre vergingen, sei nicht gerade ermutigend.

"Tätliche Belästigung"

Martina Lörsch, die für den Deutschen Juristinnenbund sprach, äußerte Irritation darüber, dass nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht 2015 seitens der Politik eine zügige und harte Bestrafung der Täter gefordert worden sei. Denn nur ein minimaler Anteil der Taten sei nach bisherigem Recht strafbar. Der Straftatbestand erfordere Nötigungselemente und diese habe es vielfach nicht gegeben: Täter hätten die Frauen überrascht, bevor sie sich hätten wehren können. Vor diesem Hintergrund forderte sie einen Straftatbestand der "tätlichen Belästigung", der in diesen Fällen greifen könne.

Des Weiteren problematisierte Lörsch, dass viele Verfahren auf Ebene der Staatsanwaltschaften wegen Personalmangels eingestellt würden. Außerdem forderte sie Fortbildungen in der Justiz, weil dies einiges verändere. "Wir haben gute Opferschutzregeln, aber es mangelt an der Praxis", kritisierte die Rechtsanwältin. Für notwendig hielt sie eine psychosoziale Prozessbegleitung für Opfer. Dafür müssten Mindeststandards gelten. Befähigt dazu seien nur Fachleute mit psychosozialer Ausbildung, die Berufserfahrung mit traumatisierten Menschen hätten.

Rainer Bruckert vom Weißen Ring, Landesverband Niedersachsen, berichtete, dass es in Niedersachsen gelungen sei, die Opfersicht im Curriculum der Fachhochschulen, an denen Polizistinnen und Polizisten ausgebildet werden, festzuschreiben. Wie seine Vorrednerin kritisierte Bruckert den gesellschaftlichen Sprachgebrauch, konkret den Begriff des "Antanzens", der vielfach zur Beschreibung der vielen Übergriffe in der Silvesternacht gebraucht werde: Er bagatellisiere, denn er beziehe sich ursprünglich auf Eigentumsdelikte. Silvester seien aber viele Frauen sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen, die Eigentumsdelikte begleitet hätten.

Auch ein Vertreter der Deutschen Bahn stand dem Ausschuss Rede und Antwort, denn in der Kölner Silvesternacht war der Bahnhof zu einem Angstraum für viele Frauen geworden. Speziellen Schutz für Frauen und Mädchen gebe es in den Konzepten der Bahn nicht, erklärte Thorsten Buhrmester von der Bahn. Zwar habe das Sicherheitspersonal nun alleinreisende Frauen besonders im Blick. Generell wolle man aber alle Fahrgäste schützen. Es gebe nicht mehr Sicherheitspersonal, dieses werde jedoch anders eingesetzt.

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Quelle:
Landtag intern 6 - 47. Jahrgang, 12.07.2016, S. 7
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2016

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