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RHEINLAND-PFALZ/2626: Wege aus dem Analphabetismus zeigen (StZ)


StaatsZeitung, Nr. 6/2012 - Staatsanzeiger für Rheinland-Pfalz
Der Landtag - Nachrichten und Berichte, 13. Februar 2012

Wege aus dem Analphabetismus zeigen

vhs-Verbandsvorsitzender Mertes und Ministerin Ahnen empfangen ehemalige Analphabeten


Mehr als 14 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung in Deutschland (18-64 Jahre) gelten als funktionale Analphabet/-innen. Das entspricht einer Größenordnung von 7,5 Millionen Menschen. Die Volkshochschulen, die seit über 30 Jahren professionelle Anbieter von Alphabetisierungskursen sind, bieten diesen Menschen eine 2. Chance. Sechs Alpha-Expertinnen und -Experten - ehemals Betroffene aus der "Selbsthilfegruppe Analphabeten Ludwigshafen" und jetzt Multiplikatoren in der Öffentlichkeit - haben Bildungsministerin Doris Ahnen und dem Vorsitzenden des vhs-Verbandes, Landtagspräsident Joachim Mertes, je einen Alpha-Koffer überreicht.

Der Koffer enthält neben Informationsmaterialien vier Botschaften, die den Bedarf im Bereich Alphabetisierung und die Schwerpunkte der Arbeit der Volkshochschulen thematisieren: a) Netzwerkbildung auf allen Ebenen; b) qualifizierte Multiplikatoren und Pädagogen; c) die Bereitstellung eines flächendeckenden und bezahlbaren Kursangebotes sowie d) die Vermittlung weiterer Grundbildungskenntnisse.

Im Rahmen dieses Empfangs berichtete die Expertengruppe von den beruflichen und privaten Konsequenzen der Lese- und Schreibdefizite und schilderte die Gründe, die ihr Lernen in der Schulzeit behindert haben. "Als Analphabet kann man nur mit Mühe Fahrpläne lesen, den Bankautomaten bedienen oder Formulare ausfüllen. Du bist ständig von der Angst begleitet, dass dein Handicap entdeckt wird und entwickelst somit Strategien, um das Lesen und Schreiben zu vermeiden", so Tim-Thilo Fellmer, einer der anwesenden Experten.

Aber die Alpha-Experten machen Hoffnung und möchten weiteren Betroffenen zeigen, dass man auch als Erwachsener erfolgreich Lesen, Schreiben und Rechnen lernen kann. "Man muss sich zunächst dazu bekennen und Hilfe annehmen, dann ist der wichtigste Schritt getan. Der Lernprozess, der dann folgt, ist sicherlich auch schwierig. Aber ich habe eisern versucht, aus einer Schwäche eine Stärke entstehen zu lassen und das hat meine späte Entwicklung in Sachen Lesen und Schreiben mehr als wettgemacht", sagte Fellmer.

"Die hier heute anwesenden Expertinnen und Experten sind ein sehr schönes Beispiel dafür, dass das vhs-Angebot der 2. Chance erfolgreich ist. Den Willen zur Veränderung vorausgesetzt, können alle, die nicht ausreichend lesen und schreiben können, dies in vhs-Kursen nachträglich lernen", unterstrich Landtagspräsident Joachim Mertes, Vorsitzender des Verbandes der Volkshochschulen von Rheinland-Pfalz e.V.

"Die 72 Volkshochschulen bieten nicht nur das wohl größte und differenzierteste Weiterbildungsangebot landesweit, sie haben es sich auch zur Aufgabe gemacht, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, indem sie Benachteiligten die Fähigkeiten zu einer uneingeschränkten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben vermitteln." Der vhs-Landesvorsitzende nannte in diesem Zusammenhang neben den Alphabetisierungsangeboten als Beispiel auch die zahlreichen Deutschkurse für Menschen mit Migrationshintergrund.

"Investitionen in Bildung - und insbesondere auch in Grundbildung - lohnen sich! Zunächst natürlich für die unmittelbar Betroffenen, die von solchen Angeboten profitieren. Zum anderen aber auch volkswirtschaftlich gesehen, denn jede individuelle Steigerung des Bildungsniveaus kommt auch der Gesellschaft zugute. Dies zeigen unter anderem die Erfolge der Alphabetisierungskurse an Volkshochschulen", betonte Bildungsministerin Doris Ahnen.

"Letztlich geht es für funktionale Analphabeten auch darum, mithilfe von Grundbildung den Übergang in dauerhafte Arbeitsverhältnisse zu meistern. Aus diesem Grund fördert die Landesregierung auch das Projekt 'Alphanetz'. Hier werden in sechs rheinland-pfälzischen Regionen Netzwerke installiert, um Betroffene durch alle wichtigen Partner innerhalb und außerhalb der Kommunen dauerhaft mit Bildungs- und Beratungsangeboten zu erreichen", so Ministerin Ahnen.

Für die kommenden zwei Jahre stellt das Land einem Trägerverbund - gebildet vom Landesverband der Volkshochschulen, der Landesarbeitsgemeinschaft 'anderes lernen' und der Evangelischen Erwachsenenbildung - insgesamt 220 000 Euro für den Aufbau solcher "Alphanetze" zur Verfügung. Die Teilnehmenden der Selbsthilfegruppe Analphabeten haben die Qualifizierungsmaßnahme "Lerner zu Experten" im Rahmen des Bundesprojektes "Qualifizierung und Angebotsentwicklung in der Alphabetisierung und Grundbildung" (ALBI) absolviert und deren Konzeption mitgestaltet.

ALBI wurde von 2008 bis 2011 erfolgreich durch einen Trägerverbund von vier Landesorganisationen und dem vhs-Verband mit den Universitäten Mainz und Kaiserslautern sowie Weiterbildungsträgern aus Hessen und dem Saarland organisiert. Das Projekt Alphanetz knüpft an diese Kooperationen an. Der Schwerpunkt liegt in der Schulung von Schlüsselpersonen - der Netzwerkpartner sowie regionaler Multiplikatoren, um die Zielgruppe der Analphabeten noch besser zu erreichen. Die Volkshochschulen gehören bundesweit zu den größten Kursanbietern im Bereich Alphabetisierung. Im Jahr 2011 haben 800 Frauen und Männer an 23 rheinland-pfälzischen Volkshochschulen an insgesamt 112 Alphabetisierungskursen teilgenommen.


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Quelle:
StaatsZeitung, Staatsanzeiger für Rheinland-Pfalz, Nr. 6/2012, Seite 4
Der Landtag - Nachrichten und Bericht
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2012