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SCHLESWIG-HOLSTEIN/1950: Landtag senkt Hürden für Bürgerbegehren in den Kommunen (Landtag)


Der Landtag Schleswig-Holstein
Parlamentszeitung Nr. 03 - März 2013

Landtag senkt Hürden für Bürgerbegehren in den Kommunen

CDU warnt vor Aushöhlung der repräsentativen Demokratie / In Bayern ist die Welt auch nicht untergegangen, sagt die SPD



Schleswig-Holstein wagt mehr Demokratie auf kommunaler Ebene. Die Nord-Ampel hat mit Unterstützung der Piraten das von ihr vorgelegte Gesetz für eine größere Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungen in Zweiter Lesung verabschiedet. Wichtigste Neuerungen: Künftig richtet sich das notwendige Quorum für den Start eines Bürgerentscheids nach der Einwohnerzahl der Orte - zwischen vier Prozent in großen Städten und zehn Prozent in kleinen Orten. Bislang mussten grundsätzlich zehn Prozent der Einwohner ein Bürgerbegehren unterschreiben, um einen Entscheid in Gang zu setzen. Möglich sind künftig zudem Bürgerbegehren zur Bauleitplanung, aber nur für die erste Stufe und nicht wenn für die Bauprojekte bundesrechtliche Bestimmungen gelten. Neu ist auch, dass Gemeindevertretungen mit einfacher Mehrheit Bürgerentscheide auf den Weg bringen dürfen.


Künftig ist für Orte bis zu 10.000 Einwohnern ein Quorum von zehn Prozent für die Zulassung eines Bürgerentscheids notwendig, bei 50.000 bis 100.000 Einwohner zählenden Städten sind es noch sechs Prozent, und in Kiel und Lübeck brauchen fortan nur noch vier Prozent der Bürger zuzustimmen. Auch die geforderten Zustimmungsquoren bei den Bürgerentscheiden werden neu gestaffelt. Bisher braucht ein Entscheid nicht nur eine Mehrheit, sondern grundsätzlich mindestens 20 Prozent aller Stimmberechtigten zum Erfolg. Künftig soll das Quorum bis auf acht Prozent in den großen Städten sinken.

Während SPD, Grüne und SSW die Neuregelungen als "wichtigen Schritt vorwärts" für die Mitbestimmung feierten, untermauerten Union und FDP ihre in der Ersten Lesung geäußerte Kritik. So warnte Petra Nicolaisen (CDU) vor einer Aushöhlung der repräsentativen Demokratie: "Den gewählten Vertretern einer Gemeinde darf nicht leichtfertig die Verantwortung für Entscheidungen entzogen werden." Zudem verwies sie auf weitere bereits bestehende Einflussmöglichkeiten, wie Einwohnerfragestunden, Jugend- und Seniorenbeiräte.

"Mehr Mitbestimmung zwischen den Wahlen"

In Bayern seien die Regelungen zu mehr Beteiligung noch weiter reichend, dort sei die Demokratie auch nicht untergegangen, konterte Kai Dolgner (SPD), und Ines Strehlau (Grüne) stellte klar, dass es die Bürger seien, die "mehr Mitbestimmung zwischen den Wahlen" fordern würden: "Direkte und repräsentative Demokratie sind zwei Seiten ein und derselben Medaille."

Den Piraten, die sich bereits im Vorfeld gegen eine Mindestwahlbeteiligung bei Bürgerentscheiden ausgesprochen hatten, ging das Gesetz nicht weit genug. Patrick Breyer (Piraten) begrüßte jedoch, dass es überhaupt gelungen sei, die Koalition zu den Neuregelungen zu bewegen. Die Koalition hätte nicht gedrängt werden müssen; schon vor der Wahl habe sie deutlich gemacht, dass sie mehr Bürgerbeteiligung wolle, konterte Lars Harms (SSW). Er war sich mit seinem Vorredner dann aber einig, dass "mehr Bürgerbeteiligung zu Konfliktabbau" vor Ort führe.

Innenminister Andreas Breitner (SPD) wies auf das schlechte Image von Politikern hin: Früher sei man ihnen überwiegend mit "höflicher Distanz" begegnet, heute schlage ihnen vielfach "Verachtung" entgegen. Er hoffe, dass das Gesetz den Anstoß liefere, um dieser "besorgniserregenden Entwicklung entgegenzuwirken", so Breitner.

Ekkehard Klug (FDP) war von den neuen Zulassungs-Quoren nicht überzeugt und warnte davor, dass fortan kleine Minderheiten die Kommunalpolitik "dominieren" könnten. Die Liberalen forderten in einem Änderungsantrag, das Quorum für ein Bürgerbegehren auf grundsätzlich vier Prozent zu senken und im Gegenzug festzuschreiben, dass mindestens 20 Prozent der Abstimmungsberechtigten den Bürgerentscheid unterstützen müssen. Dies wurde jedoch von den anderen Fraktionen abgelehnt.

Drucksachen 18/310, /501, /544)


Kastem


 
BÜNDNIS ZUFRIEDEN

Rund 300 Bürgerbegehren gab es in den vergangenen zwei Jahrzehnten im Norden; etwa die Hälfte schaffte es laut dem Bündnis "Mehr Demokratie" bis zum Bürgerentscheid. Ein Teil scheiterte jedoch an den formalen Hürden, die jetzt gesenkt worden sind. Weil wesentliche Forderungen im Gesetz verankert wurden, will das Bündnis, das für zwei Volksinitiativen für mehr direkte Demokratie landesweit jeweils gut 25.000 Unterschriften gesammelt hatte, jetzt auf die Erzwingung eines Volksentscheids verzichten.


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LEICHTE SPRACHE

Politiker sollen verständlicher reden. Das wollen die Abgeordneten der Piraten. Auch Gesetze sollen einfacher geschrieben werden, damit jeder Mensch sie verstehen kann. Die Piraten haben deswegen einen Antrag gestellt. Über die Forderung soll im Sozialausschuss beraten werden. Dort sitzen weniger Politiker als bei den Landtagssitzungen. Sie verstehen besonders viel von dem Thema. (Drs. 18/436)

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Quelle:
Der Landtag Schleswig-Holstein, Nr. 03 im März 2013, S. 7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2013