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SCHLESWIG-HOLSTEIN/2031: Vom Kampf für Demokratie zum Kampf gegen Schulden (Landtag)


Der Landtag Schleswig-Holstein
Parlamentszeitung Nr. 09 - Dezember 2013

DAS HAUSHALTSRECHT
Vom Kampf für Demokratie zum Kampf gegen Schulden



Das Budgetrecht, die Hoheit über den Haushalt, gilt als Königsrecht der Parlamente. Das Ringen um das letzte Wort bei den Finanzen war in vergangenen Jahrhunderten auch ein grundsätzlicher Kampf für demokratische Prinzipien. Seit den 1960er Jahren stehen die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Haushaltspolitik und die öffentliche Verschuldung im Fokus. Ein Überblick:


In Deutschland gaben sich ab 1814 einige Länder Verfassungen und entsprachen damit dem Wunsch nach mehr Teilhabe, der in den Befreiungskriegen gegen Napoleon gewachsen war. Die Mitwirkung der Volksvertretungen beschränkte sich allerdings zunächst auf die öffentliche Debatte. Ein Zustimmungsrecht zum Haushalt des dänischen Königs hatten beispielsweise die Provinzialversammlungen für Schleswig und Holstein, die ab Mitte der 1830er Jahre zusammenkamen, nicht. Das volle parlamentarische Budgetrecht sah die Paulskirchenverfassung von 1849 vor, und auch das im selben Jahr entworfene Staatsgrundgesetz für Schleswig-Holstein sah die "Übereinstimmung des Herzogs und der Landesversammlung" bei der Gesetzgebung vor - doch beide traten nach dem Scheitern der Revolution und der schleswig-holsteinischen Erhebung nicht in Kraft.

Dennoch kamen die Fürsten an den Forderungen nach Mitsprache nicht mehr vorbei. Die 1852 erlassene preußische Verfassung sah ein parlamentarisches Budgetrecht ebenso vor wie die Verfassung des neu gegründeten Kaiserreichs von 1871. Diese beiden Verfassungen galten auch in dem ab 1864 preußisch dominierten Schleswig-Holstein. Das bedeutete für die Bürger der Provinz, dass ihr Provinziallandtag ein eigenes, aus Berlin zugeteiltes Budget verwalten und damit bestimmte Aufgaben wie Straßen- und Wohnungsbau, Sozialfürsorge oder die Förderung von Wissenschaft und Kunst erfüllen konnte.

Die Reichshaushaltsordnung von 1922 präzisierte die Parlamentsrechte. Die Regierung hatte Einnahmen und Ausgaben, die Ansätze der einzelnen Ministerien sowie Änderungen gegenüber dem Vorjahr übersichtlich aufzulisten. Für Bauaufträge, Verkäufe von Grund und Boden oder Unternehmensbeteiligungen galten fortan strenge Auflagen. Mit der Aufsicht der Abgeordneten über die Staatsfinanzen hatte es 1933 jedoch ein Ende. Das Ermächtigungsgesetz lieferte den Reichshaushalt der NS-Regierung aus, die mit ihrer Rüstungspolitik eine enorme Staatsverschuldung anhäufte. So stand am Ende der Nazi-Diktatur 1945 der Staatsbankrott.

Das Grundgesetz und auch die schleswig-holsteinische Landessatzung von 1949 stellten die parlamentarische Kontrolle über die öffentlichen Gelder wieder her - allerdings auf Grundlage der Weimarer Verhältnisse. Damit wurde auch ein Versäumnis der Reichshaushaltsordnung übernommen: Sie ließ außer Acht, dass öffentliche Ausgaben große Auswirkungen auf die Gesamtentwicklung der Volkswirtschaft haben. Die zwischen 1967 und 1969 beschlossene Haushaltsreform ordnete die Haushaltspolitik in den gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang ein. Bund und Länder mussten ihre Etats nun an Preisniveau, Arbeitslosigkeit, Außenhandelsbilanz und Wirtschaftswachstum ausrichten. Und: Die öffentliche Hand durfte nur neue Schulden aufnehmen, wenn sie die gleiche Summe in Investitionen steckte, etwa für Infrastruktur und Wirtschaftsförderung. Ausnahmen waren nur bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erlaubt.

Allerdings erwies sich diese Vorgabe als wenig effektiv. Auf den Ausnahme-Passus des "gestörten wirtschaftlichen Gleichgewichts" berief sich die Kieler Landespolitik mehrfach, um höhere Ausgaben zu rechtfertigen. Konsequenz: Die Haushalte stürzten in den folgenden Jahrzehnten tief in die roten Zahlen. Der Schuldenstand Schleswig-Holsteins stieg auf umgerechnet 4,6 Milliarden Euro im Jahr 1980, auf umgerechnet 10,3 Milliarden im Jahr 1990, auf 16 Milliarden im Jahr 2000, auf 26 Milliarden im Jahr 2010. Mit dem Schuldenberg wuchsen auch die Zinszahlungen auf bis zu eine Milliarde Euro im Jahr. Beim Bund und in den anderen Ländern lief es zumeist ähnlich.

Angesichts dieser Entwicklung traten Bund und Land auf die Schuldenbremse. Laut einer 2009 verankerten Grundgesetzänderung hat der Bund ab 2016 nur noch einen Spielraum von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zur Aufnahme von Neuschulden. Die Länder dürfen ab 2020 gar keine neuen Schulden mehr machen. Ausnahmen sind nur in Notsituationen vorgesehen, etwa bei Naturkatastrophen. Als erstes Bundesland übernahm Schleswig-Holstein die Schuldenbremse 2010 in die Landesverfassung.

Die Vorgaben der Schuldenbremse dominieren seitdem die finanzpolitischen Debatten im Landtag. Jeder Jahreshaushalt muss das strukturelle Defizit, also die konjunkturbereinigte Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben, um rund 130 Millionen Euro verkleinern, um spätestens 2020 einen Haushalt ohne neue Verbindlichkeiten zu erreichen. Dabei steht Schleswig-Holstein unter Beobachtung. Wie Berlin, Bremen und das Saarland gilt der Norden als "Haushaltsnotstandsland", das seinen Sanierungswillen gegenüber dem Stabilitätsrat des Bundes unter Beweis stellen muss. Nur bei Erfüllung der Auflagen gibt es Hilfen von 80 Millionen Euro pro Jahr.

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Quelle:
Der Landtag Schleswig-Holstein, Nr. 09 im Dezember 2013, S. 7
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers:
Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2014