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SCHLESWIG-HOLSTEIN/2042: Für politische Gemeinschaft und kulturelle Vielfalt (Landtag)


Der Landtag - Nr. 01 / März 2014
Die Parlamentszeitschrift für Schleswig-Holstein

Landtagspräsident Schlie: Für politische Gemeinschaft und kulturelle Vielfalt



Der Krieg von 1864 bedeutete eine historische Zäsur, für Schleswig-Holstein wie für Dänemark. So fällt auch der Blick auf die Ereignisse vor 150 Jahren nördlich und südlich der Grenze verschieden aus. Diese unterschiedlichen Sichtweisen sind ein Ausdruck kulturellen Reichtums im heutigen Europa, betont Landtagspräsident Klaus Schlie in einem Beitrag für die Landtagszeitschrift.


Vor 150 Jahren tobte zwischen Dänen, Österreichern und Preußen ein Krieg, der sogenannte "deutsch-dänische" Krieg von 1864. In diesem Jahr erinnerte der Landtag zusammen mit dem dänischen Folketingspräsidenten und dem Ersten Präsidenten des Landtages der Steiermark an diese Ereignisse und würdigte sie durch gemeinsame Kranzniederlegungen, Gedenkveranstaltungen und eine Ausstellung.

Der Krieg von 1864 hinterließ in der historischen Erinnerung von Dänen und Schleswig-Holsteinern sehr unterschiedliche Spuren. In Dänemark wird mit dem Jahr 1864 bis heute ein tiefer Einschnitt in die eigene Geschichte verbunden, der aus der Niederlage gegen die Preußen und Österreicher heraus den modernen dänischen Nationalstaat entstehen ließ: Durch den Verlust Schleswigs, Holsteins und Lauenburgs an Preußen war Dänemark nur noch ein Kleinstaat. Ein Kleinstaat allerdings mit einer fortschrittlichen demokratischen Verfassung und einer homogenen Bevölkerung, was eine für Europa vergleichsweise friedliche Entwicklung zu einem demokratischen und sozialen Nationalstaat ermöglichte. Deutschlands Weg nach 1864, den auch Schleswig-Holstein mitging, verlief weitaus weniger friedlich und demokratisch. Der Erste Weltkrieg, vor allem aber der Zweite Weltkrieg mit seinen schrecklichen Verbrechen und Folgen prägte die Deutschen tief und ließ den angesichts dessen eher "kleinen" Krieg von 1864 fast vergessen.

Die gemeinsamen deutsch-dänisch-österreichischen Erinnerungsfeierlichkeiten 2014 sind deshalb umso wichtiger, denn die Erkenntnis, dass bis heute unter europäischen Nachbarn und Partnern unterschiedliche Sichtweisen und Bedeutungszumessungen auf historische Ereignisse bestehen, ist wichtig. Unterschiedliche Sichtweisen sind eine Bereicherung, denn sie regen zum Nachdenken an. Sie verdeutlichen zugleich, dass die europäische Geschichte mit ihren zahlreichen Konflikten der Vergangenheit eine besondere Herausforderung für die Bürgerinnen und Bürger Europas darstellt, denn der bisher erreichten, sehr erfolgreichen wirtschaftlichen und politischen Gemeinschaft der europäischen Völker steht eine kulturelle Vielfalt gegenüber, die ganz wesentlich auch aus unterschiedlichen Sichtweisen auf die jeweils eigene nationale Vergangenheit geprägt ist.

Politische Einheit und kulturelle Vielfalt sind keine Widersprüche, sie sind vielmehr eine europäische Realität und zugleich Europas Reichtum. Die gemeinsame Erinnerung an den Krieg von 1864 zeigt das deutlich: In Dänemark und in Schleswig-Holstein haben die unterschiedlichen Sichtweisen und auch die unterschiedliche Bedeutung von 1864 jeweils zu neuen Einsichten geführt. Dänische Historiker hinterfragen heute das durch einseitige nationale Perspektiven geschönte Bild des Krieges von 1864. Auf schleswig-holsteinischer Seite hat man das Jubiläumsjahr zum Anlass genommen, in gemeinsamen deutsch-dänischen Projekten die Kenntnis dieses für unser Land und die Grenzregion so wichtigen Ereignisses wieder zu vertiefen und damit Verständnis dafür zu wecken, warum unseren dänischen Nachbarn und auch den Angehörigen der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein das Jahr 1864 bisher so viel mehr bedeutet hat.

Das ist ein vielversprechender, und mit Blick auf Europa ein vorbildlicher Weg, mit konfliktbeladener Geschichte umzugehen. Wenn bei der Rückbesinnung auf die Vergangenheit bestehende Unterschiede nicht kleingeredet und harmonisiert werden, sondern als fruchtbare Ansätze für gemeinsame Entdeckungen genutzt werden, dann wird ein tragfähiges Fundament dafür bereitet, dass Europas Bürgerinnen und Bürger gerade in der Vielfalt und auch in der Gegensätzlichkeit ihrer Geschichte eine zukunftsträchtige Gemeinsamkeit erkennen.

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Quelle:
Der Landtag, Nr. 01 im März 2014, S. 7
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers:
Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages
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Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2014