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INNEN/2354: Regine-Hildebrandt-Preis 2012 - Laudatio auf zwei Initiativen gegen Rechts


SPD-Pressemitteilung 435/12 vom 26. November 2012

Laudatio auf zwei Initiativen gegen Rechts anlässlich der Verleihung des Regine-Hildebrandt-Preises 2012

Laudatio des Generalsekretärs des Zentralrats der Juden in Deutschland Stephan Kramer zur Verleihung des Regine-Hildebrandt-Preises 2012 an den Verein "Wir - Gemeinsam in Zwickau e.V." aus Sachsen und das "Bündnis gegen Rechts im Kyffhäuserkreis"



Anlässlich der heutigen Verleihung des Regine-Hildebrandt-Preises hält der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, die Laudatio auf zwei Initiativen für Integration und gegen Rechtsextremismus, den Verein "Wir - Gemeinsam in Zwickau e.V." aus Sachsen und das "Bündnis gegen Rechts im Kyffhäuserkreis" aus Thüringen.

Es gilt das gesprochene Wort

Am heutigen Abend wurde mir die Aufgabe übertragen, die Laudatio für die Empfänger des Regine-Hildebrandt-Preises zu halten. Es ist eine Ehre und eine Freude, dies tun zu dürfen.

Allerdings habe ich ein Problem mit dem Wort Laudatio, also, wörtlich genommen "Lobrede". Loben hört sich für mich an, als würde jemand in herausgehobener Stellung einem anderen, Anerkennung für einen gut erfüllten Auftrag aussprechen. Für eine Mission, die dem zu Lobenden aufgegeben wurde. Ein Lehrer lobt einen Schüler.

Hiervon kann heute Abend überhaupt nicht die Rede sein. Und ich weiß, dass das so auch nicht gemeint ist. Und doch ist es mir wichtig, zu betonen, dass wir Andreas Dresen, dem Verein "Wir - Gemeinsam in Zwickau" und dem "Bündnis gegen Rechts im Kyffhäuserkreis" nicht anerkennend auf die Schulter klopfen, selbst auf einer quasi übergeordneten moralischen Ebene stehend, um anschließend selbstzufrieden nach Hause zu gehen.

Wir schulden ihnen allen Anerkennung und vor allem Dank, und dies erst recht nicht von oben herab. Sie tun etwas, was viele von uns in ihren Reden seit Jahren fordern und immer wieder anmahnen. Etwas, dass der Gesellschaft, in der wir leben, also uns allen hilft, humaner, fortschrittlicher, toleranter und damit lebens- und liebenswerter zu werden. Wenn jemand hier der Lehrer ist, dann sind es die Preisempfänger, und der Rest von uns sollte von ihnen lernen.

Lernen, wie man eine humanistische Gesinnung nicht nur im Herzen trägt, sondern sie vor Ort, "draußen im Lande" vorlebt. Und zwar durch Taten, durch beherztes Eingreifen, mutiges Engagement. Gleichberechtigung für Menschen unterschiedlicher Herkunft, von Männern und Frauen, Prävention des Rechtsextremismus, das Bauen von Brücken zwischen Deutschland Ost und Deutschland West.

Empathie fordern und Empathie zeigen. Das sind Anliegen, mit denen sich unsere Preisträger befassen.

Der Regine-Hildebrandt-Preis wird an Personen oder Organisationen verliehen, die sich für Menschen in der ehemaligen DDR einsetzen. Das bedeutet aber nicht, dass in der "alten" Bundesrepublik weniger Bedarf an Engagement für Mitmenschen, für eine gerechtere und aufgeklärtere Gesellschaft bestünde. Ob Ossis oder Wessis, ob hier geboren oder zugewandert, ob Christen, Moslems oder Juden - wir alle sollten uns an den Preisträgern, die wir heute ehren, ein Beispiel nehmen.

Erlauben Sie mir bitte noch einige wenige weitere Gedanken auszusprechen, die mir in diesen Tagen in den Sinn kommen: Blicken wir auf das Jahr zurück. Eine Vielzahl von Organisationen, Institutionen, Verbänden und politischen Parteien ehren, unterstützen und würdigen heutzutage zivilgesellschaftliches Engagement. Der Zentralrat der Juden in Deutschland gehört auch dazu, mit seinem Paul Spiegel Preis für Zivilcourage.

Wir ehren Menschen, die sich im wahrsten Sinne des Wortes für unsere Demokratie stark machen. Menschen, die dazu beitragen, den Rechtsextremisten sicher geglaubtes Territorium streitig zu machen und bereits verloren gegangenes demokratisches Territorium zurückzugewinnen. Die sich stark machen für unsere bunte, plurale und vielfältige Gesellschaft.

Es ist richtig und wichtig mit diesen Ehrungen zu zeigen, dass sich Engagement lohnt, dass Demokratie nicht nur anstrengend ist, sondern auch Spaß machen kann und vor allem auch Anerkennung erfährt. Dass, wer gestaltet, nicht nur Arbeit und Freizeit investiert, sondern seinen ganz persönlichen Stein dazu beiträgt, am Bau dieser Welt mitzuwirken!

Dennoch dürfen diese Auszeichnungen nicht im luftleeren, ungestalteten, politischen Raum stattfinden, sonst werden sie zu politischer Makulatur:

Wo Initiativen gegen Rechtsextremismus und Opferberatungen nicht ganz selbstverständlich eine vernünftige und dauerhafte Finanzierungsgrundlage haben, werden solche Auszeichnungen zur Farce. Erst Recht, wenn sie durch eine Extremismusklausel unter Generalverdacht gestellt werden.

Wo junge Menschen nicht lernen, selbstbewusst, engagiert und weltoffen zu sein.

Wo der Respekt vor dem anderen, nicht zur Grundausstattung in jeder Bildungseinrichtung gehört, da verlieren wir demokratischen Boden und machen den Weg frei für braune Geschichtsklitterer, für Antidemokraten und schließlich sogar Mörder.

Bürgersinn muss erlernt werden. "Gesetz und Befehl sind nicht oberste Werte, sondern müssen ihrerseits an den Ideen von Recht und Gerechtigkeit gemessen werden", so hat es der Frankfurter Richter und Staatsanwalt Fritz Bauer schon vor Jahrzehnten eindrucksvoll zusammengefasst. Er war übrigens SPD Mitglied.

Eine alte Bauernregel sagt, wer das Feld nicht bestellt, der darf sich nicht wundern, wenn das Unkraut wächst.

Wo Verfassungsschutzämter ihren Aufgaben nicht gerecht werden, sondern durch ineffiziente Strukturen den Rechtsextremisten Freiräume schaffen, die ihnen ihr Morden erst ermöglichen, da machen wir uns alle mitschuldig, an denen, die Opfer dieses fehlgeleiteten Herrschaftswissens werden.

Wo Akten geschreddert werden, statt Aufklärung bei Verfassungsschutz, LKA und BKA stattfindet, da wird nicht nur verschleiert - da stirbt ein Stück Demokratie, da stirbt Vertrauen und am Ende im schlimmsten Fall, sterben Menschen.

Und wir dürfen auch die Augen nicht verschließen vor dem Rassismus in den eigenen Reihen, vor Rassismus und Antisemitismus in staatlichen Institutionen und Behörden. Auch Ämter, auch Polizei, Justiz und Verfassungsschutz und Bundeswehr sind ein Spiegel der Gesellschaft. Sie sind nicht schlechter und nicht besser als diese! Eben deshalb dürfen sie in Anerkennung ihrer wichtigen Arbeit, dennoch nicht außerhalb jeder Kritik stehen. Eine Kritik, die aber auch Konsequenzen nach sich ziehen muss.

Manch einer ist angesichts der schrecklichen Ereignisse, die sich wie eine Blutspur durch die letzten Jahrzehnte der Bundesrepublik ziehen, von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln (letzten Freitag haben wir erst daran erinnert) und Solingen bis hin zu den zehn ermordeten Bürgern dieses Landes, die die NSU auf dem Gewissen hat, versucht, die eigenen rechtsstaatlichen Prinzipien im Kampf gegen Extremisten und Fundamentalisten jeglicher politischer Couleur und jeglicher Glaubensrichtung gleich mit über Bord zu werfen. Vorsicht! Hier sind nicht operative Hektik und geistige Windstille, sondern kühler Verstand und konsequentes Durchgreifen verlangt.

Der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages, dem allseits eine hervorragende Arbeit attestiert wird hat seinen Bericht noch gar nicht vorgelegt und trotzdem werden schon Maßnahmen ergriffen, von denen man uns glauben machen will, dass sie die Defizite abstellen. Ein sehr eigenartiges Verhalten, aber leider nicht neu in unserem Politikalltag. Loben wollen wir die Thüringische Landesregierung, die ihre Akten komplett nach Berlin geschickt hat. Andere Bundesländer, die nicht weniger verstrickt sind in den Skandal hätten dem besser gleichgetan. Sonderbar ist aber auch das Rechtsstaatsversverständnis einiger, die die Mitglieder des Ausschusses, immerhin freigewählte Abgeordneter, die Kontrolle der Dienste ausüben sollen, als Sicherheitsrisiko behandeln und ihnen wichtige Informationen vorenthalten. Das ist ein Skandal! Auch hören wir schon diejenigen, die im Zuge der Extremismusbedrohung und des Versagens der Sicherheitsstrukturen, den "Föderalismus" als Fehlerquelle ausgemacht haben.

Bevor man jedoch bedenkenlos politische Freifahrscheine verteilt, die das Fundament unserer Demokratie zumindest berühren, sollte man einmal innehalten und sich überlegen, ob da mit Verfassungsschutz, Polizei und Nachrichtendiensten wirklich zusammenwächst was zusammengehört.

Effiziente Strukturen zur Bekämpfung von Extremismus ja - aber unkoordiniertes Wuchern von Strukturen, die sich am Ende verselbständigen oder einer demokratischen Kontrolle sukzessive Entziehen ein klares und entschiedenes Nein!

Wo wir uns weigern hinzusehen, wird auch ein Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) nicht helfen, wird auch das 2004 gegründete Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum zur Bekämpfung des islamistischen Terrors (GTAZ) nicht helfen, ebenso wenig wie ein Gemeinsames Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus (GAR). Wo die analytische Phantasie und der Wille zur strukturierten Zusammenarbeit fehlen, hilft auch das schönste Abwehrzentrum nichts.

Wo Geheimdienste zum Staat im Staate werden, auch da wird die Arbeit nicht effizienter, sondern geht weiteres kostbares Vertrauen in unseren Rechtsstaat und unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft verloren.

Und wir können es uns nicht mehr erlauben, weiteres Vertrauen zu verlieren. Der rechtsextremistische Terror agiert längst europaweit und international. Und das nicht erst seit gestern! Folgt man der laufenden Debatte, so könnte man den Eindruck gewinnen, dass der rechtsextreme Terrorismus erst seit Rostock-Lichtenhagen, also kurz nach der Wende begonnen hätte. Ein Schelm, wer denkt, es handele sich um ein ostdeutsches Problem. Mitnichten!

1977 notierte der Berliner Wissenschaftsenator Peter Glotz (SPD) in seinem Politischen Tagebuch: " Die linken Sekten werden rechte Sekten hervorrufen; die linke Gewalt (RAF, 2. Juni, revolutionäre Zellen) rechte Gewalt. Noch ist der rechte Ideenkreis in Deutschland für ein paar Jahre tabuisiert. Aber irgendwann ist die faschistische Periode für die Zwanzigjährigen nichts anderes mehr als die napoleonische. Bald wird ja schon die Mehrheit der Lehrer nach 1945 geboren sein; die Ächtung des Faschismus macht einer historischen Analyse Platz. Dann werden wir rechte Baaders bekommen, zuerst aus dem proletarischen Millieu. Sie werden zwar keinen internationalen Background haben, also wird man sie leichter bekämpfen können. Aber ihre individuelle Brutalität wird um so größer sein."

Rechtsterroristische Strukturen sind in der Bundesrepublik altbekannt, von offen nationalsozialistischen Strömungen innerhalb der NPD 1969, über die Wehrsportgruppe Hoffmann und Anschläge auf US-Soldaten in den 80er Jahren. Wir sprechen von hunderten von Opfern in Deutschland, aber auch in ganz Europa! Wie vernetzt der braune Terror ist und wie sehr er sich als international agierende Einheit begreift, zeigt sich auch in dem jüngst bekannt gewordenen Brief des norwegischen Massenmörders Anders Breivik an die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe, worin er seine "liebe Schwester Beate" ermutigt, den Prozesse zu brauner Propaganda zu nutzen. Meine Damen und Herren, der braune Terror agiert längst alltäglich vor unserer Nase, gut vernetzt, national und international sichtbar und vor aller Augen.

Und niemand wird sagen können - er habe es nicht gewusst! Der Rechtsterrorismus kam nicht als Sintflut und auch nicht als Blitzschlag, sondern tröpfchenweise über viele Jahrzehnte und wir haben es sogar erkannt und dokumentiert.

Mitte November diesen Jahres kam es inmitten der deutschen Hauptstadt, drei Minuten vom Ku?damm zu einem von der Öffentlichkeit fast völlig unbemerkt gebliebenen Gipfeltreffen der selbsternannten rechten Eliten und ihren braunen Netzwerkern. Konservativ, Deutsch und national.

Keine Terroristen, nein! Aber diejenigen, die auf dem Boden eines dumpfen ressentimentgeladenen Weltbilds ihre braune Suppe kochen, diejenigen, die den intellektuellen Nährboden für die bereiteten, die dann eines Tages losschlagen. Hier wird der Boden bereitet für Allianzen zwischen alten SS-Veteranen, autoritärem Korporatismus, jungen Schlägern, braunen Islamhassern, dumpfen hasserfüllten Antisemiten und denen, die sich für eine konservative Elite halten, die die "ethnischen Kontinuitäten" ihrer Völker wahren wollen.

Meine Damen und Herren, es ist Zeit zu Handeln - höchste Zeit! Auf politischer wie gesellschaftlicher Ebene, im Großen wie im Kleinen, im Alltag und bei festlichen Anlässen, wie dem heutigen.

Heinz Galinski, der in diesen Tagen seinen 100 Geburtstag gefeiert hätte, hat bei seiner Dankesrede zur Ehrenbürgerschaft der Stadt Berlin folgendes gesagt: "Ich weiß, ich bin kein Bequemer. Aber bin ich denn deshalb ein Unbequemer, weil ich mit Selbstverständlichkeit meine Rechte und erst recht meine Pflichten als Bürger dieses Landes in Anspruch nehme? Bin ich deshalb ein Unbequemer, weil ich mich so kompromisslos für Demokratie und Freiheit einsetze? Bin ich deshalb ein Unbequemer, weil ich mich so energisch gegen all diejenigen wende, die aus der Vergangenheit nichts gelernt haben und auch nichts lernen wollen? Wenn das die Gründe sind, bin ich gerne unbequem!"

Regine Hildebrandt war eine "unbequeme" und dafür haben die Menschen vertraut und sie geliebt. Unsere heutigen Preisträger sind "unbequem" in diesem Sinne und sie können stolz darauf sein. Dafür zeichnen wir sie aus!

Wir können alle davon lernen - seien wir unbequem!

In diesem Sinne, herzlichen Glückwunsch und herzlichen Dank!

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Quelle:
SPD-Pressemitteilung 435/12 vom 26. November 2012
Herausgeber: SPD Parteivorstand, Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2012