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AFRIKA/1009: Südafrika - Im Kampf um Grundversorgung (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 2, März/April 2011

Kwanele - Es reicht!


Den folgenden Protest hat die "Bewegung der Hinterhöfler" (Mandela Park Backyarders) verfasst. Nach langen Beratungen hat die Bewegung von Mandela Park beschlossen, mit ihren Problemen an die Öffentlichkeit zu gehen, um zu erklären, warum sie, die in Hinterhöfen in Nissenhütten leben, die Schikanen von Politik und Verwaltung nicht länger hinnehmen wollen. Mandela Park ist ein Viertel im Township Khayelitsha bei Kapstadt.


Es ist mittlerweile 17 Jahre her, dass eine demokratisch gewählte Regierung die Macht übernommen hat. Grundlage ist eine Verfassung, die viele Freiheiten verspricht. Was die Träume vieler Menschen zu erfüllen schien, waren Parolen wie "Es wird Wohnungen geben, Sicherheit & Beistand", die die neue ANC-Regierung bei der Machtübernahme verbreitete. Jahre sind nun seit unserem ersten Wahlgang verstrichen, doch für uns hat sich kaum etwas verändert, abgesehen davon, dass alle fünf Jahre ein Wahlritual stattfindet.

Die Geschichte von Mandela Park (Makhaya) beginnt Ende der 1990er-Jahre, als die neue Regierung sich für eine neoliberale Wirtschaftspolitik entschied, den Unternehmen gestattete, sich zu "verschlanken"; viele Behörden übertrugen ihre Verantwortlichkeiten an Privatfirmen. Damit überantworteten sie buchstäblich die Zukunft von Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern gierigen Arbeitgebern und Arbeitsagenturen. Gleichzeitig schuf sie durch Block Economic Empowerment (BEE) eine starke schwarze Kapitalistenklasse.

Als viele Arbeiter und Arbeiterinnen in Fabriken, Büros, Krankenhäusern und Universitäten ihren Job verloren, wurde auch das Leben in Makhaya für viele Familien schwerer. Die Banken kamen und forderten die Kredite auf ihre Häuser zurück. Bald wurde es für uns ein gewohntes Bild: Der Bezirksrichter kam mit schwer bewaffneter Polizei und grimmigen Hunden, Gewehren und Fahrzeugen. Die Leute wurden aus ihren Häusern gejagt, die sie für zehn Jahre ihr Heim genannt hatten. Manchmal tauchte der Bezirksrichter auf, wenn die Bewohner in der Schule waren oder nach einem Job Ausschau hielten. Das hinderte den Richter nicht, die Türe aufzubrechen und Hab und Gut auf die Straße zu werfen. Es regnete, die Sachen waren ruiniert. Diese Vertreibungen verstörten die Kinder, die zur Schule gingen. Das Selbstwertgefühl der Eltern wurde schwer getroffen. All das führte nicht selten in den Alkoholismus, die Gewalt gegen Frauen und andere soziale Probleme nahmen zu.

Seit Anfang dieses Jahrzehnts wurde fast jeden Tag eine Familie vertrieben. Die Leute waren diese Angriffe leid. Gleichzeitig sahen sie, wie die Polizei jene schützte, die die Menschen im Viertel als "schlechte Elemente" bezeichneten - den Bezirksrichter, die Bankleute, die lokalen Politiker. Die Gemeinde beschloss, den vertriebenen Familien beizustehen, und sicherte deren Habe in ihren Häusern. So begann die Gemeinde, auf ihre Rechte zu pochen. Daraus entwickelte sich eine organisierte Gruppe, die sich Anti-Eviction Campaign (AEC) von Mandela Park nennt. Die Gruppe leistete tatkräftige Unterstützung gegen die Angriffe auf die verarmten Arbeitslosen des Viertels. Sie warf Regierung und Banken vor, die Armen zu kriminalisieren.

Binnen fünf Jahren wurde die AEC eine gewichtige Gruppe in Mandela Park, und konnte viele Erfolge verzeichnen. Die Bewohner schöpften Mut und hatten keine Angst mehr vor dem Gefängnis, da sie sich des Beistandes aus der Gemeinde sicher sein konnten. Doch wie andere unabhängige demokratische Gruppen geriet AEC ins Visier der Regierung, die solche Bewegungen als ernste Bedrohung sah. So bauten und betrieben die Leute eine freie Schule für alle, die sich die öffentlichen Schulen nicht leisten konnten oder aus ihnen hinausgeworfen worden waren. Die Polizei kam, nahm die Leute fest und schloss die Schule. Kurz drauf wurden viele AEC-Führer vom Verfassungsschutz observiert und von unterschiedlichen politischen Organisationen mit Ermordung bedroht. Nach vielen Einschüchterungsversuchen gaben zwei aus der Führung, die ohne Arbeit waren, dem Druck nach und nahmen eine Arbeit im Wohnungsamt der Regierung an. Das war der Wendepunkt im Kampf um Wohnungen in Mandela Park. Nach dem Übertritt der beiden Führungspersonen warfen viele Leute das Handtuch.

Doch gegen Ende 2007 entwickelte sich in Mandela Park eine neue Initiative. Sie nannte sich Backyarder von Mandela Park. Diese Bewegung wurde von einem anderen Schlag von Leuten geführt, sie waren dynamisch, jung und unerschrocken. Als Konsequenz aus den Erfahrungen der Vergangenheit setzte die Gemeinde nun nicht mehr auf wenige charismatische Persönlichkeiten, sondern auf eine starke kollektive Führung, deren Kader aus mehr als zwei Dutzend Leuten besteht.

Die Bewegung forderte das Ministerium für Wohnungsbau der Provinz Westkap auf, die Bedürfnisse der Bewohner von Mandela Park zu berücksichtigen, wenn auf ihrem Gebiet Siedlungsflächen erschlossen werden. Die Backyarder haben den Eindruck, dass Freiflächen in ihrer Gemeinde bereitgestellt werden, um die Wohnungskrise anderer Gemeinden auf ihre Kosten zu lösen. Bei einem Treffen mit dem zuständigen Regierungsmitglied für Wohnungsbau, Bonginkosi Madikizela, forderten sie erneut, dass auch Bewohner von Mandela Park in die Zuteilungsliste für Wohnungen aufgenommen werden. Madikizela stimmte dem öffentlich - wie übrigens auch schon sein Vorgänger - zu, 30 Prozent der neuen Wohnungen sollten für die Hinterhöfler von Mandela Park freigehalten werden. Nur wenige Monate später bestritt Madikizela diese Zusage, die auch von den Medien verbreitet worden war. Die Wut der Gemeinde war entsprechend groß.

Die Backyarders suchten Wege, aus dem Dilemma herauszukommen: Sie forderten eine Aussprache mit der Provinzregierung, sie schrieben Petitionen an die Nationalregierung, veröffentlichten Presseerklärungen, protestierten usw.. Es kam zu keinen Dialog, stattdessen trafen uns Gewalt und Repression vonseiten der Provinzregierung.

Kwanele! Es reicht!

Und so haben wir 2011 entschieden, nun selbst die Initiative zu ergreifen: Familien haben begonnen, ihre Häuser in Eigenregie zu bauen - ohne Regierungshilfe. Wir haben begonnen mit der Kampagne Siyawuthatha Ngenkani - "Wir spucken in die Hände". Über diese Kampagne wurden von den Hinterhöflern bereits Hunderte von Wohnungen auf Brachland in Mandela Park gebaut. Das Wohnungsbauministerium rückte an und machte unsere selbstgebauten Häuser dem Erdboden gleich. Wir leiden unter Repression und willkürlicher Verhaftung durch Führer der Demokratischen Allianz DA (Regierungspartei im Westkap). Doch uns kriegen sie nicht klein. Wir werden weiter Häuser bauen, bis unser unwürdiges Unterkommen in Papphütten in den Hinterhöfen anderer Leute ein Ende hat.

Vorwärts mit Land und Wohnungen für die Armen! A luta continua! Der Kampf geht weiter.


*


Im Kampf um Grundversorgung

Von Munyaradzi Makoni


Kapstadt ist die Perle Südafrikas, doch die katastrophalen sanitären Zustände in den in formellen Siedlungen der schnell wachsenden Stadt sind eine riesige Herausforderung für die Stadtverwaltung.

Anfang 2010 beleuchtete ein unwürdiger Vorfall die Zustände in den Townships und informellen Siedlungen in Kapstadt. In einer Stadt, die immer wieder für ihre Schönheit gerühmt wird, kämpft die Bevölkerung in den Armenvierteln um die Errichtung einer Infrastruktur für die grundlegendsten Bedürfnisse. In den Randbezirken von Kapstadt, in Makhaza im Township Khayelitsha, tobt der Streit um 65 freistehende Toiletten - ohne Wände als Sichtschutz. Wer sich dort erleichtern will, muss sich mit Decken vor den Blicken schützen, was für die Menschen erniedrigend ist.

Solch ein Vorfall ist beschämend für das Land. Zugegeben, Südafrika hat seit 1994 einige Schritte in Richtung Verbesserung der Lebensumstände seiner Bevölkerung getan. Betrachtet man aber die erzielten Erfolge, besonders aus Sicht der schwarzen Bevölkerungsmehrheit, dann bleibt noch viel zu tun.

Auf das Toiletten problem reagiert der Generalsekretär des Pan African Movement, Clarence Mayekiso, ungehalten: "Wir werden nicht akzeptieren, dass die Stadt nicht die Mittel hat, vernünftige Toiletten für unsere Leute zu errichten, denn wir wissen, dass Kapstadt die besten Vororte im Land vorweisen kann, vergleichbar mit anderen in der Welt."

Gemeinsam mit der Südafrikanischen Menschenrechtskommission SAHRC veröffentlichte die Jugendliga des ANC eine offizielle Beschwerde und wandte sich damit auch an die Oppositionspartei Democratic Alliance (DA), die in Kapstadt die Ratsmehrheit hat. "Als die selbsternannten Hüter von Moral und Menschenrechten" müsse die DA erklären, wie es unter ihrer politischen Führung möglich wäre, Frauen und Kindern zuzumuten, sich bar jeglicher Privatsphäre in aller Öffentlichkeit erleichtern zu müssen.

Helen Zille, die Ministerpräsidentin der Westkap-Provinz, schrieb in einem Brief an Südafrikas Minister für gemeinsame Regierungsführung und traditionelle Angelegenheiten, Sicelo Shiceka, dass die Geschichte um die "Freiluft-Toiletten" auf Kosten der betroffenen Einwohner missbraucht worden sei, um ganz andere Ziele zu verfolgen. Zille machte deutlich, dass ein Zugang zu adäquaten sanitären Einrichtungen für alle ein Ziel für alle Verantwortlichen auf allen Regierungsebenen sein müsse. Letztendlich wies das Oberste Gericht die Stadt an, die Toiletten neu zu errichten - diesmal inklusive Wände und Türen.

Die ganze Geschichte unterstrich wieder einmal das dringende Bedürfnis der Armen nach Grundversorgung. Das Kernproblem liegt vor allem darin, dass sich die informellen Siedlungen immer weiter ausbreiten, überfüllt und überquellend von Hütten und Menschen, die aus den ländlichen Gebieten n die Stadt strömen. Gleichzeitig fehlt es hier an jeglicher städtischer Dienstleistung, an service delivery. Aber wie kann eine Stadt solche Einwohnerströme bewältigen, wenn sie behauptet, der Aufbau einer grundlegende Infrastruktur für alle sei zu teuer?


Zwingende Umstände

In den letzten Jahren hat Kapstadt an Bedeutung als kommerzielles und industrielles Drehkreuz enorm zugenommen. Die Hauptindustriezweige sind Ölraffinerien, Nahrungsmittelindustrie, Chemieindustrie, Düngemittelherstellung, Automobilbau, Leder- und Plastikwaren oder auch die Bekleidungsindustrie. Dieses wirtschaftliche Wachstum zieht immer mehr Menschen an, ob qualifiziert oder unqualifiziert. Die Arbeiter mit dem geringsten Einkommen, die in den über die Stadt verstreut liegenden Fabriken arbeiten, leben in den ebenso über die Stadt verstreuten Gemeinden wie Makhaza, Joe Slovo, Imizano Yethu oder Du-noon. Die Mehrheit in diesen informellen Siedlungen ist schwarz oder farbig.

Das enorme Bevölkerungswachstum gibt Anlass zu Besorgnis. In einem Bericht der UN-Organisation für Siedlung und Behausung (United Nations Centre for Human Settlement) von 2010 zum Zustand der afrikanischen Städte (State of African Cities 2010: Governance, Inequalities and Urban Land Markets) wurde dies offensichtlich: Laut Prognosen werden sich die Einwohnerzahlen afrikanischer Städte in den nächsten 40 Jahren verdreifachen. Im Fall von Kapstadt sind diese Wachstumsraten längst eingetreten. Der Fünfjahresplan für Wohnungsbau verdeutlichte, dass sich die Einwohnerzahl Kapstadts schon in den letzten 20 Jahren verdoppelt hat, 2007 lag sie bei ca. 3,5 Millionen Einwohnern. Für die nächsten Jahre wird ein Überschreiten der Viermillionengrenze prognostiziert - geringere Bevölkerungswachstumsraten aufgrund von HIV/Aids und eine anzunehmende Abschwächung der Migrationsströme vom Eastern Cape schon mit einberechnet.

Der pensionierte anglikanische Erzbischof von Kapstadt, Desmond Tutu, äußerte sich diesbezüglich schon nach der Austragung der Fußballweltmeisterschaft 2010 besorgt. "Dies war zwar eine schöne Weltmeisterschaft, aber es lässt sich dennoch nicht verleugnen, dass es der Mehrheit der Südafrikaner immer noch an Schulen, Häusern, Krankenhäusern, Zugang zu fließendem Wasser und vielen anderem fehlt. Wenn wir es geschafft haben, so ein Projekt (WM 2010) innerhalb von sechs Jahren auf die Beine zu stellen, dann stelle man sich nur vor, was wir während der letzten 20 Jahre hätten erreichen können."

Auch Anzabeth Tonkin sieht die problematische Lage in Kapstadt. In ihrem Buch (Sustainable Medium-Density Housing: A Resource Book) vergleicht die Leiterin eines Forschungsprogramms der Development Action Group die Entwicklung Kapstadts mit der anderer südafrikanischer Städte. Unter Bezugnahme auf den Bericht über die Gerechtigkeit des Arbeitsmarkts im Western Cape bezeichnet sie Kapstadt im Vergleich zu Johannesburg als rückständig. Einer der für den Bericht Befragten beschrieb Kapstadt als einen tristen Ort. Die Stadt sei zwar wunderschön, besäße aber keine Seele. Bei ihrer weiteren Analyse unterschiedlicher Wahrnehmungen der Stadt stellt Tonkin heraus, dass eine ganze Bandbreite an Gründen bestehe, in dieser Stadt unzufrieden zu sein und sich unsicher zu fühlen. Aber zweifellos seien die zwei Wege, die das höchste Potenzial besäßen, die sehr heterogene Gesellschaft zu integrieren bzw. zu egalisieren, nämlich Wohnen und Grund und Boden, alles andere als kreativ und ausreichend genutzt worden.

Einige der Probleme gehen jedoch weit über die Kontrollmöglichkeiten der Stadt hinaus. Es fehlt mittlerweile an Baugrund. Nach Schätzungen der Stadt werden ca. 10.000 Hektar an freistehendem Land benötigt, um die Bedarfslücken zu schließen. Insgesamt nahmen die informellen Wohnungen und Behausungen zwischen 1993 und 2005 von schätzungsweise 28.300 auf 98.031 zu. Mittlerweile sind über 400.000 Arme in Kapstadt davon betroffen. Unübersehbar wird die Wohnproblematik immer akuter und Unruhen sind nicht auszuschließen.

"Dieser traurige Zustand" hätte ernsthafte Konsequenzen für die demokratische Entwicklung und eine ausgleichende Politik für die Staatsbürger, meint Tonkin. Angesichts der "in unserem 'Paradies' am Fuße Afrikas auffälligen Wohlstandsenklaven darf man sich durchaus fragen, ob wir uns überhaupt darüber Gedanken machen."


Armut und Kriminalität

Gerade mal drei Monate waren 2009 nach der Wahl Jacob Zumas zum Präsidenten vergangen, als umfassende Streiks ausbrachen. Überall wurde berichtet über Proteste gegen die mangelhafte Versorgung mit der grundlegendsten Infrastruktur wie Wohnungsbau, Wasserleitungen und Sanitäreinrichtungen.

Auch Kapstadt war davon betroffen. In einer informellen Siedlung schmissen knapp 200 aufgebrachte Demonstranten Steine auf vorbeifahrende Autos und demonstrierten gegen fehlende Stromversorgung und Wohnungsbau. Am 21. Juli 2009 marschierten die wütenden Bewohner von 15 informellen Siedlungen in Khayelitsha bei Kapstadt zum Büro des Bürgermeisters der Stadt, Dan Plato, um bessere Lebensbedingungen zu fordern.

Nthamaga Kgafela vom South African Institute of Race Relations veröffentlichte im Mai 2009 die letzten Zahlen zur Verteilung des städtischen Dienstleistungsangebotes. Danach haben 539.893 Haushalte in Kapstadt einen Wasseranschluss im Haus, während 111.258 Haushalte einen gemeinschaftlichen Wasserzugang nutzen, der aber in über der Hälfte der Fälle mehr als 200 Meter vom Haus entfernt liegt. Die verbleibenden 22.348 Haushalte in Kapstadt beziehen ihr Wasser aus Bohrlöchern, Quellwasser, Regenwasser, Wasserläufen oder anderen Quellen. Entsprechend schlecht sieht die Lage bei der Versorgung mit sanitären Anlagen aus, da diese vor allem abhängig von der vorhandenen Wasserversorgung sind. Ist diese nicht gegeben, sind die Haushalte in größerem Ausmaß Gesundheitsrisiken ausgeliefert, dazu gehören Infektionen mit Cholera, Typhus oder Atemwegserkrankungen. Da in knapp 53.000 Haushalten keine Elektrizität vorhanden ist, sind diese auf Paraffin und Kerzen angewiesen.

Diese Statistik geht Hand in Hand mit den Armutsraten in Kapstadt. Die Rate von 23,6 Prozent bedeutet, dass über 183.000 Haushalte unter der Armutsgrenze leben, nämlich mit einem Einkommen unter 800 Rand (ca. 80 Euro) im Monat.

Obwohl der wichtigste Weg aus der Armut die Schaffung neuer Arbeitsplätze wäre, ist in dieser Hinsicht in der Stadt wenig geschehen. Die durchschnittliche Arbeitslosigkeit in Kapstadt betrug 2007 16,8 Prozent, betrachtet man die verschiedenen Bevölkerungsgruppen aber getrennt voneinander, werden große Unterschiede deutlich. Gut 20 Prozent der schwarzen Einwohner waren arbeitslos, während es gut 14 Prozent der farbigen und sechs Prozent der indischen Einwohner waren.

Zwelinzima Vavi, Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes Cosatu, stellte bei einem Forum vor allem die Kommerzialisierung als Kernproblem in den Vordergrund: "Kommerzialisierung und Vermarktung der Grundversorgung bedeuten, dass, auch wenn in jedem Hof ein Wasserhahn installiert wäre, viele davon trocken liegen, da immer mehr Dienste der Grundversorgung - inklusive Wasser - im Voraus bezahlt werden müssen."

Vavi konnte sich 2009 ein eigenes Bild von den Zuständen in den informellen Siedlungen Kapstadts machen. Die Besuche hätten ihn angesichts der riesigen Herausforderungen bedrückt. Fast überall fand er weder Wasser, noch Sanitäranlagen, Strom, Kliniken, Schulen oder Straßen vor. "Dort ist nur Sand und ein übler Geruch von Armut und Schmutz." Die Bekanntmachung, dass die Stadt Kapstadt zu einer der besten Stadtverwaltungen des Landes gewählt worden sei, kann für den Gewerkschafter nur heißen, dass der Ausschuss nicht die Orte besucht hat, an denen er war. Seiner Einschätzung nach würden sich Regierungen in der ganzen Welt schuldig machen, indem sie unfähig wären, ländliche Entwicklung und Ernährungssicherheit voranzubringen. Dies führe zu der verstärkten Land-Stadt-Migration, die auf die schon existierende Wohnungsknappheit in den Städten träfe. Kapstadt ist davon mit am stärksten betroffen.

Diese Zustände haben Kapstadt einen Platz ganz oben in der Liste der gefährlichsten Städte eingebracht. Die Schönheit der Stadt bildet einen krassen Kontrast zu den hohen Raten an Diebstählen, Raubüberfällen, Entführungen und Morden. Laut Polizeiangaben passieren die meisten Tötungsdelikte in den ärmeren Stadtteilen und Vororten, weniger in den gehobeneren Wohngebieten, was auf die bestehende Verbindung zwischen Armut und Kriminalität verweist.

Kapstadt ist immer noch eines der beliebtesten Ziele für Arbeitssuchende, Land-Stadt-Migration und Auswanderer. Deshalb liegt auch weiterhin eine wichtige Aufgabe für die zuständigen Behörden darin, das Problem der Elendsviertel zu lösen. Der Ausbau der Infrastruktur in den neu entstandenen Vierteln bleibt weit hinter den Zuzüglern zurück, die ihre Unterkünfte auf kommunalem Land oder in besetzen Häusern suchen.

Kapstadt ist die einzige Stadt in Südafrika, die von einer Oppositionspartei regiert wird. Während die Stadt weitgehend funktionsfähig geblieben ist, kann die Anklage der schwarzen Mehrheit, in der Stadt ausgegrenzt zu werden, nicht überhört werden.

Kein Zweifel, die "Toiletten-Saga" hat das Image von sozialem Zusammenhalt, der Verringerung der Disparitäten und der Verhinderung von Marginalisierung einen Dämpfer verpasst. Immerhin hat Helen Zille in ihrer Rede zur Lage der Westkap-Provinz im Februar 2011 den Willen gezeigt, die Probleme anzupacken: "Unsere Aufgabe ist es, jedem die Möglichkeit zu geben, das Leben zu leben, das er oder sie für richtig hält. Aber daran müssen sich auch die Bürgerinnen und Bürger selbst beteiligen und Eigenverantwortung dafür zeigen, das Beste aus den gegebenen Möglichkeiten zu machen. Wenn wir eine gemeinsame Zukunft aufbauen möchten, dann muss jeder von uns seine eigene Rolle begreifen und verstehen, was es heißt, ein besseres Leben für alle erreichen zu wollen."


Aus der von AfricaFiles herausgegebenen Reihe "Problems In Africa's large cities", issue ezine, Vol. 13, Nov. 2010 - April 2011


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 2, März/April 2011, S. 28 - 30
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2011