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AFRIKA/1011: Südafrika vor den Kommunalwahlen im Mai 2011 (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 2, März/April 2011

Phrasen statt Inhalte
Südafrika vor den Kommunalwahlen 2011

Von Peter Kimemia


Am 18. Mai dieses Jahres finden in Südafrika Kommunalwahlen statt. In nahezu allen Parteien hat es heftige Grabenkämpfe um die begehrten Kandidaturen für die Ratssitze gegeben. Denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Kommunalverwaltungen ein leichtes und sicheres Einkommen bieten. Nicht Fähigkeiten sind gefragt, sondern Parteibuch und Beziehungen zur politischen Spitze.


In den letzten Jahren sind die Zuwendungen aus der Staatskasse an die Stadtverwaltungen Südafrikas erfreulicher Weise konstant geblieben und waren annähernd gerecht verteilt. Es gibt aber weiterhin viele finanziell nicht überlebensfähige Verwaltungen, die keinerlei eigene Steuergrundlagen haben und deshalb vollständig von diesen Zuwendungen abhängen. Andere wiederum haben potenziell eigene Einnahmequellen, sind jedoch nicht imstande, sie einzutreiben. Die Ergebnisse sind in beiden Fällen gleich. Die Verwaltungen können ihre öffentlichen Dienstleistungen und Verpflichtungen nicht einhalten.

Diese Unfähigkeit, Gebühren einzutreiben, hat so beunruhigende Ausmaße angenommen, dass Sicelo Shiceka, unter Übergangspräsident Motlanthe Minister für Regierungszusammenarbeit und traditionelle Angelegenheiten, daran dachte, das gesamte Rechnungswesen und die Eintreibung von Steuern und Gebühren dem South Africa Revenue Service zu übertragen. Er reagierte damit auf die breite Frustration über die ständigen falschen Gebührenrechnungen, die zu unberechtigten Streichungen und Abschaltungen von Basisdienstleistungen und zu Fehleinschätzungen bei den städtischen Einnahmen führten. Im Januar dieses Jahres wurden allein in der Provinz Gauteng 41.000 Haushalte von Wasser- und Strom abgeklemmt.


Vetternwirtschaft und Skandalgeschichten

Eine großes Problem in den Stadtverwaltungen ist die exzessive Politisierung der Behörden. Vetternwirtschaft und die bevorzugte Einstellung von Kadern durch den ANC sind die Wurzel dieses Übels und der unzureichenden Versorgung mit kommunalen Dienstleistungen. Dabei herrscht der gut begründete Eindruck vor, dass Gemeindeverwalter, die korrupt sind und ihre Macht schamlos missbrauchen, vor einer Bestrafung gefeit sind, wenn sie good comrades sind und über politische Beziehungen verfügen. Selbst wenn sie für Führungspositionen offensichtlich ungeeignet sind, setzt die Regierungspartei die Verwaltungen gezielt unter Druck, sie trotzdem einzustellen, oft genug mit desaströsen Folgen.

So wurde kürzlich bekannt, dass ein gewisser Siphiwo Sohena zum amtierenden Stadtdirektor von Mbhashe im Amathole-Distrikt im Ostkap abgeordnet wurde. Dabei war bekannt, dass er zuvor eine breite Spur von Korruption und Misswirtschaft in zwei Gemeinden hinterlassen hatte, in denen er zuvor eingestellt war: in Nelson Mandela Metro und Sunday River bei Port Elizabeth. In letzterer hatte man ihn schließlich gefeuert, nachdem er in elf Fällen von Korruption und Misswirtschaft gerichtlich verurteilt worden war.


Nicht verwendete Mittel und mangelnde Dienstleistungen

In manchen Fällen sind die Verwaltungen einfach nicht in der Lage, ihre Ausgaben sachgemäß einzusetzen, da viele Stellen durch politische Grabenkämpfe blockiert und nicht besetzt sind oder die Spitze schier unfähig ist, eine Behörde zu leiten. Eine Besetzung mit fähigem Personal dürfte kurz- und mittelfristig nicht zu bewerkstelligen sein. Hoffnungen auf eine baldige Kehrtwende verbieten sich, solange politische Rücksichten gegenüber gesundem Menschenverstand die Oberhand behalten.

Im vergangenen Jahr beklagte Minister Sicelo Shiceka, dass von 283 Verwaltungen 56 weniger als 80 Prozent ihrer zentralen Zuweisungen für die städtische Infrastruktur auch ausgegeben haben; bei weiteren 80 Verwaltungen waren es weniger als 90 Prozent. Das wirkt sich nicht nur auf die Dienstleistungen aus, sondern auch auf die Unterhaltung, Sanierung und Investition in die Infrastruktur. Auf einer Konferenz beschrieb der Minister die Situation mit treffenden Worten: "Um die Kommunalverwaltungen umzukrempeln und sie zu einem effektiven, verantwortlichen und angemessenen Instrument für die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger zu machen, brauchen wir ausgebildetes, kompetentes und verantwortungsvolles Personal. Nur so können wir sicherstellen, dass unsere Verwaltungen qualitative Dienstleistungen rascher und klüger anbieten. Im Gegenzug wird das einen bedeutenden Beitrag leisten für ein besseres Leben für alle."

Insofern ist es lobenswert, dass der ANC das Gesetz zu den Kommunalbehörden (Municipal Systems Act) überarbeiten will, um die Verwaltungen zu professionalisieren und Schlüsselpositionen wie Stadtkämmerer und andere führende Ämter nicht an Politiker zu vergeben. Noch ist das aber nur Absicht, und der Teufel steckt im Detail.

Es gibt auch Fälle extrem schlechter oder völlig fehlender Dienstleistungen. Sie haben in den letzten Jahren erheblich zu den Unruhen in den Slums und Townships beigetragen. Der Ausfall bei Dienstleistungen, oft einhergehend mit Korruption in den Führungsebenen der Stadtverwaltung, war verständlicherweise Auslöser für die Wut jener, die am Ende der Dienstleistungskette überleben. Doch dieses Problem wird bei den Wahlveranstaltungen von den Politikern kaum thematisiert. Sie versuchen vielmehr, die Wählerinnen und Wähler abzulenken und mit allgemeinen Phrasen abzuspeisen, um sie von dem Segen der "Nationalen Demokratischen Revolution" zu überzeugen, deren Segen bei der Mehrheit der Bevölkerung nie angekommen ist.

Eigene Probleme haben oft auch Gemeinden, die nahe an Provinzgrenzen liegen und aus nachvollziehbaren Gründen wünschen, von der anderen Provinz verwaltet zu werden als von der, unter deren Zuständigkeit sie die Grenzziehung gezwungen hat. Ihren Klagen wird man sich stellen und nach einvernehmlichen Lösungen suchen müssen, um Gewaltausbrüche und Zerstörung von Eigentum zu vermeiden.


Arbeitslosigkeit und Begleiterscheinungen

Arbeitslosigkeit und die wachsende Kluft zwischen den Schichten sind weitere Herausforderungen, bei denen noch keine tragfähige Lösung in Sicht ist. Luftigen Versprechungen, man werde in den nächsten zehn Jahren fünf Millionen neue Arbeitsplätze schaffen, traut niemand mehr. Der Allianzpartner der Regierungspartei, der Gewerkschaftsbund Cosatu, hat den gar nicht so neuen New Growth Path (NGP) in Grund und Boden verdammt. Er sei ungeeignet, die Wirtschaft auf das richtige Gleis zu setzen. Der neue Wachstumspfad erinnere an das vielgeschmähte Konzept Growth Employment and Redistribution (Gear), eine makroökonomische Strategie von 1996 zur Wachstumsbeschleunigung und zum Anreiz für ausländische Investitionen.

Auf der anderen Seite wird der Ökonom Rudolf Gouws von der Rand Merchand Bank mit den Worten zitiert, der Neue Wachstumspfad gehe nicht die Fragen an, wie ein wirkliches Wirtschaftswachstum bewerkstelligt werden könnte. Er nennt ihn einen "rückwärts gewandten Arbeitsbeschaffungsplan". Letztlich sind weder die Wirtschaft noch die Gewerkschaft mit der neuen Strategie einverstanden. Die Wirtschaft moniert einen zu großen Nachdruck auf die Schaffung von Arbeitsplätzen durch staatliche Eingriffe zulasten eines wirtschaftsfreundlichen Umfeldes, während Cosatu in der Strategie einen neuen "Ausverkauf" im Interesse des Marktes sieht. Die Position von Gouws wurde unlängst vom Chefökonomen von Econometrix aufgegriffen. Es müssten viel mehr Anreize für ausländisches Kapital in großem Umfang geschaffen werden. Dazu bedürfe es eines geeignetes Umfelds für die Wirtschaft, damit diese blühen könne.

Zu all dem veröffentlichten die Vereinten Nationen im Januar 2011 einen Bericht, nach dem die ausländischen Direktinvestitionen in Südafrika 2010 um 87 Prozent auf 1,3 Mrd. US-Dollar zurückgegangen sind. Damit dürften sich die Perspektiven für den Arbeitsmarkt deutlich verdüstern. Dabei gingen bereits 2009 etwa eine Million Arbeitsplätze verloren. Der Einbruch bei den ausländischen Direktinvestitionen wird in dem Bericht auf die geringe Produktivität zurückgeführt, was vornehmlich der schlechten Schul- und Ausbildung geschuldet sei, aber auch einer überzogen aggressiven Gewerkschaft.

Während im Wahljahr die Frage von Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen grundsätzlich auf der Tagesordnung steht, streitet die Regierung um "angemessene" Arbeit und Anreize für den Privatsektor. Solange beide Seiten, Wirtschaft und Arbeit, auf ihren Positionen verharren, steht die große Gruppe der Arbeitslosen zwischen den Fronten. Es ist vorstellbar, dass sie sich bei gebotener Möglichkeit lieber von Kapitalisten ausbeuten lassen würden, als völlig ignoriert zu werden und zu ewiger Arbeitslosigkeit verdammt zu bleiben. Würde ist eine Funktion des Selbstwertgefühls.

Der Staat steckt hier zwischen Rinde und Borke. Und so überrascht es nicht, dass Befürchtungen laut werden, Südafrika stehe womöglich vor neuen Arbeitsunruhen, die Wut der Armen über die miserablen Dienstleistungen können sich entladen, was schnell Forderungen nach mehr staatlichen Ausgaben wecken könnte, was wiederum Investoren abschrecken und das Wachstum verlangsamen könnte.

Es ist jedoch höchst unwahrscheinlich, dass die politischen Parteien in diesem Wahlkampf solche Fragen vertiefen werden. Sie werden die Wählerinnen und Wähler beschwichtigen und das Blaue vom Himmel versprechen, um ihre Stimmen zu gewinnen. Eine auch nur halbwegs solide Information und Debatte über die Eignung eines Kandidaten oder einer Partei wird man schwerlich finden.

Und schlimm genug, auch die politisch motivierte Gewalt geht nicht zurück. Vor allem das Ostkap ist davon betroffen. In Duncan Village im Weichbild von East London steigerten sich ANC-Fraktionen in eine Spirale der Gewalt, mit Verletzten und Sachbeschädigungen. Nur einige Wochen zuvor ereignete sich ein ähnlicher Vorfall in den Provinzbüros der Partei. Die große alte Dame ANC ist damit in bester Gesellschaft von Cope (Congress of the People), dessen Funktionäre sich buchstäblich in Selbstvernichtung verstrickt haben, und der Inkatha-Freiheitspartei, die durch Gewaltaktionen im laufenden Wahlkampf in KwaZulu-Natal zum Geburtshelfer der neuen National Independent Front geworden ist. Einzig die Democratic Alliance (DA) scheint die Lage zu nutzen und will sich mit den Independent Democrats verbinden. Es es gut möglich, dass die DA vor allem in den Metropolen an Zulauf gewinnen wird.

Doch ungeachtet allen wundersamen Wiedererwachens anderer Parteien wird der ANC die Kommunalwahlen locker gewinnen, ohne groß auf Gewalt, Essenskörbe oder allzu törichte Phrasen zurückgreifen zu müssen. Exzentrischer kann der ANC meines Erachtens doch gar nicht mehr werden - den Himmel (als letzte Grenze) hat er bereits privatisiert und für seine Anhänger reserviert, während der Rest der Sterblichen, der sich auch andere Farben als das Schwarz, Grün und Gelb des ANC zu sehen traut, sich darauf einstellen muss, sich in den Orkus zu stürzen. Ich glaube, nur wenige werden sich dem panisch unterwerfen. Für die Mehrheit ist das keine Aussicht. Dafür bedarf es aber inhaltlich orientierter Wahlkampagnen.


Aus: Transformer, The Journal for Development and Governance Issues, Vol 17, No 1, Jan. - March 2011


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 2, März/April 2011, S. 31 - 32
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2011