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AFRIKA/1046: Südafrikas Informationsgesetzgebung ist hoch umstritten (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, Juli/August 2011

Jetzt den Mund aufmachen!
Südafrikas Informationsgesetzgebung ist hoch umstritten

von Hein Möllers


Kein anderer Gesetzentwurf seit dem Ende der Apartheid wurde so der öffentlichen Kritik unterworfen wie die "Protection of Information Bill", gemeinhin "Secrecy Bill" genannt. Und vor allem der erste Entwurf hatte es in sich. Kritiker sahen ein Ende der Pressefreiheit. Die Regierung könne mit einem solchen Gesetz jede beliebige Information sperren und der Öffentlichkeit vorenthalten. Angesichts der Kritik versprach die Regierung Nachbesserungen und verlängerte die parlamentarische Beratungszeit um drei Monate.


Der südafrikanische Journalist und Dozent Dale McKinley bemühte im Informationsdienst der südafrikanischen Zivilgesellschaft eine Szene aus der Trauungszeremonie, in der der Pfarrer die Gemeinde auffordert: "Wer etwas gegen das Brautpaar vorzubringen hat, rede jetzt. Oder er schweige für immer." Was das geplante Gesetz zum Schutz von Information angehe, so mache man jetzt den Mund auf, ansonsten werde der für immer verschlossen. Die Protection of Information Bill stößt landesweit auf heftigen Protest, von Medienmachern, von Politiker, Wissenschaftlern, Anwälten, aber auch von Bürgerinnen und Bürgern wie von Nichtregierungsorganisationen.

Dabei ist unbestritten, dass für Zugang und Verschluss von Informationen ein neues Gesetz überfällig ist. Das noch geltende stammt aus den Zeiten der Apartheid, es wurde 1982 erlassen.

Das Ministerium für Sicherheitsdienste wurde mit der Ausarbeitung eines neuen Gesetzes beauftragt. Es legte im März 2008 der Regierung einen Entwurf vor. Die brachte es auch ins Parlament ein. Doch dort wurde es einvernehmlich aufgrund technischer und juristischer Mängel und zahlreicher Widersprüche zurückgewiesen.

Eine überarbeitete Fassung wurde im Dezember 2009 von der Regierung angenommen und im Januar darauf an die zuständigen Parlamentsausschüsse weitergeleitet.

Der Entwurf stieß bei der Opposition, aber auch bei Teilen der Regierungsallianz auf Widerspruch. Ganz allgemein: Der Gesetzentwurf stellt die Sicherheitsinteressen des Staates ins Zentrum. Demgegenüber sind die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern, ihr Recht auf Information deutlich untergeordnet.


Kritik aus allen Reihen

Es sind nicht nur Oppositionelle, die die Gesetzesvorlage verwerfen. Auch namhafte Mitglieder des ANC forderten eine Rücknahme. Der kürzlich verstorbene Kader Asmal, selbst Mitglied in den ersten beiden Kabinetten, lehnte die Vorlage in Bausch und Bogen ab. Ronnie Kasrils (2004-2008 Chef des südafrikanischen Geheimdienstes) schrieb in einem offener Brief an die Nachrichtenagentur Sapa vom 2. Juni 2011: Die Verteidigung des "öffentlichen Interesses" müsse Leitfaden für jede Sicherheitsgesetzgebung sein. Er warnt vor nicht vorhersehbaren Konsequenzen. Man müsse sorgfältig darauf achten, dass die in der Verfassung garantierten Grundrechte nicht durch die Hintertür eingeschränkt würden.

"Das Gesetz wird unweigerlich das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitsdienste unterminieren. Und das zu einer Zeit, wo Vertrauen dringend aufgebaut werden muss." "Meinungsfreiheit ist ein teuer errungenes Prinzip unseres Befreiungskampfes und darf nicht angetastet werden - ausgenommen eng definierte nationale Sicherheitsinteressen."

Der zentrale Begriff ist die Sicherheit des Staates. Konkret wurden die Paragraphen 1, 3 und 7 sowie die Passagen der Paragraphen 32 bis 45 beanstandet.

Paragraph 1 definiert die nationale Sicherheit. Es gelte, allen in Südafrika ein Leben in Harmonie und Frieden zu garantieren und gegen Angriffe von außen und innen zu schützen. Dazu bedürfe es unter anderem eines sorgfältigen Umgangs mit Informationen. Hier bleibt die Definition jedoch so allgemein, dass praktisch alles unter das Informationsverbot fallen kann, auch Informationen, die mit Politik und Aktivitäten zu tun haben, die für fundierte Auseinandersetzungen um sozio-ökonomische Gleichheit, menschliche Würde oder Korruption unverzichtbar sind.


Die Zivilgesellschaft braucht Informationen

Die Treatment Action Campaign (TAC) sieht im verfassungsmäßig garantierten Informationszugang das entscheidende Instrument, die Regierung zur Rechenschaft zu zwingen. Ohne Informationen wäre die Kampagne zur Hilfe von HIV-Kranken ins Leere gelaufen. Das vorgesehene Gesetz "wird Organisationen wie die unsrige ganz entscheidend hindern, die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen". Gleichzeitig werde ihr aber auch die Möglichkeit entzogen, "die Regierung dabei zu unterstützen, an einer Verbesserung des Lebens für alle zu arbeiten".

Kasrils pflichtet in seinem offenen Brief dieser Einschätzung bei: "Die Zivilgesellschaft hat absolut recht, wenn sie die Regierung auffordert, erneut nachzudenken."

"Der Anspruch der Armen und Bedürftigen, die geprellt werden von den Mächtigen, von den Wohlhabenden oder den Funktionären und Beamten, die den Staat plündern oder Dienstleistungen unterschlagen, können nur von einer freien Presse Unterstützung finden, von investigativen Journalisten, von lebendigen zivilgesellschaftlichen Organisationen." Ein Informationsgesetz müsse letztlich darauf abzielen, möglichst viele Dokumente aus der Geheimeinstufung herauszunehmen.

In Paragraph 3 legt der Gesetzesentwurf fest, welche Institutionen und Staatsorgane Kraft eigener Entscheidung Dokumente als "geheim" einstufen dürfen. Staatsrechtler monieren, dass keinerlei Einschränkungen vorgesehen seien. Das Gesetz in der jetzigen Form gebe der Regierung umfassende Vollmacht, Dokumente als geheim einzustufen: Von geheimen Waffenplänen bis hin zur Futterzuteilung für Elefanten im Zoo von Johannesburg.

Der Parlamentsvorsitzende Cecil Burgess lehnte jede genauere Aufzählung ab: Dann könne man auch die Sandkörner in der Sahara zählen. Das Institute for Democracy in South Africa (Idasa) hat sich die Mühe gemacht, eine Liste zu erstellen, und kommt auf 1001 "Organe des Staates" ohne die Regierungsebenen von der Zentralregierung bis zu den Lokalverwaltungen. Dazu zählen Universitäten, Staatsunternehmen wie der Energieversorger Eskom, aber auch die Parkverwaltung von Johannesburg, der Wetterdienst oder das Voortrekker-Museum.

Der Paragraph 7 regelt die Befugnisse für eine Klassifizierung der Dokumente. Selbst nachgeordnete Abteilungen in den "Staatsorganen" können Dokumente als "geheime Dienstsache" unter Verschluss stellen. Eine schriftliche Begründung wird nicht gefordert. Praktisch eine Blankovollmacht, monieren Kritiker. Über eine etwaige Klage auf Freigabe entscheidet der Abteilungsleiter.


Maulkorb für Medien

Den heftigsten Gegenwind in den Medien erfuhren die Paragraphen 32 bis 45. Sie befassen sich mit dem Besitz, der Aneignung und der Weitergabe gesperrter Informationen. Informanten, Journalisten und auch Privatpersonen, die über solche Dokumente verfügen, werden mit schweren Strafen belegt. Grundsätzlich ist eine Haft vorgeschrieben, Mindestzeit fünf Jahre, maximal 25 Jahre, je nachdem, ob ein Dokument als "vertraulich", "geheim" oder "streng geheim" eingestuft ist.

Nic Dawes, Chefradeakteur der Mail&Guardian, kommentiert: "Dieses Gesetz kriminalisiert investigativen Journalismus und zivilen Aktivismus."

Und Kasrils schreibt: "In einer demokratischen Gesellschaft, die ihren Namen verdient, ist es selbstverständlich, dass die Regierung kein Recht hat, den Medien Informationen über peinliche Vorgänge zu untersagen." Vor allem aber seien die Strafen "unangemessen hoch".

Auch der Politikwissenschaftler an der Universität von Johannesburg Steven Friedman hat eine klare Meinung zur Gesetzesvorlage. "Das beste ist sicher, das Gesetz in den Papierkorb zu werfen." Friedman war in den 1980er Jahren Journalist bei der Rand Daily Mail und erinnert sich noch gut an die Maulkorbgesetze unter der Apartheid. Doch in den Abgesang auf den investigativen Journalismus mag er nicht einstimmen. Andere, weniger mächtige Gruppen treffe es härter. Die gesamte Gesetzeslage in Südafrika ließe es immer noch zu, "dass man nicht einfach Informationen als geheim einstufen kann, die die Inkompetenz der Regierung bloßstellen. Wenn die Behörden einen Journalisten verfolgen lassen, der durchgesickerte Informationen über Korruption oder Inkompetenz veröffentlicht, müssten sie immer damit rechnen, dass sie einen Prozess riskieren, über den wiederum in den Medien berichtet wird."

Die eigentlichen Opfer des Gesetzes seien nicht die Medien, sondern die viel ärmeren Aktivisten der Zivilgesellschaft in den wilden Siedlungen, die sich keine Anwälte für ihr Recht auf Informationen leisten können. "Es geht um das fundamentale Recht der breiten Mehrheit der Bevölkerung Südafrikas, zu wissen, was mit ihnen geplant ist."


Bewegung auf Regierungsseite

Die Regierung und die tragende Regierungspartei ANC haben lange Zeit jede Kritik abgeschmettert. Doch als sich ihr Allianzpartner, der Gewerkschaftsverband Cosatu, unmissverständlich auf die Seiten der Kritiker stellte, nahmen sie ihre harte Haltung zurück.

Cosatu schrieb Anfang Juni einen Brief an den ANC. Darin heißt es: "Nach dem jetzigen Stand wird die Pressefreiheit eingeschränkt werden. Es wird ferner Organisationen wie die unsrige in ihren Möglichkeiten beschneiden, die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen, aber auch die Regierung zu unterstützen, für ein besseres Leben aller zu arbeiten. Das Gesetz wird einen Keil zwischen Staat und den Menschen treiben, denen er eigentlich verpflichtet ist."

Das Gesetz bedrohe das demokratische Recht aller Südafrikaner auf "volle Information über Angelegenheiten öffentlichen Interesses." Es werde Tür und Tor für Missbrauch öffnen, vor allem "wenn es um die Aufdeckung von Korruption und den Missbrauch öffentlicher Mittel geht. Es kriminalisiert Informanten, die Verbrechen und Korruption aufdecken."

Die Beratungsfrist, die am 23. Juni enden sollte, wurde nicht zuletzt auf diesen Druck hin bis zum 23. September 2011 verlängert. Der ANC sagte eine Reihe von Nachbesserungen und Kompromissen zu. So sollen die Einstufungsbefugnisse und Kriterien enger gefasst werden. Die Klassifizierung von Dokumenten soll von einer Kontrollkommission überprüft werden. Während die Opposition eine lückenlose Kontrolle fordert, will der ANC lediglich eine stichprobenartige Überprüfung.

Ende August zeigte sich der ANC bereit, den Begriff "nationale Sicherheit" deutlich enger zu fassen. Er bezieht sich nun ausschließlich auf Drohung und Anwendung von Gewalt, Krieg, Terrorismus und Sabotage. Nicht mehr darunter fallen Informationen über legale, politische Aktivitäten.

Offen ist die Frage, wie mit Anfechtungen oder Forderungen nach Rücknahme von klassifizierten Dokumenten umgegangen werden soll. Die Opposition fordert eine eigene unabhängige Kommission. Für den ANC ist das Aufgabe der Prüfungskommission, möglicherweise mit einem zusätzlichen pensionierten Richter als Schiedsmann.

In einem zentralen Punkt mauert der ANC allerdings weiter. Dabei geht es um die Fragen des öffentlichen Interesses und den Schutz von Medien und ihren Informanten. Die Paragraphen zu Beschaffung, Besitz oder Verbreitung von unter Verschluss gehaltenen Dokumenten sollen weiter sehr restriktiv gehandhabt werden. Lediglich im Strafmaß ist er zu Kompromissen bereit. Nicht alle Zuwiderhandlungen sollen zwingend mit Haftstrafen geahndet werden.

Es ist Winter auf der südlichen Erdhalbkugel. Die Debatten über die Protection of Information Bill dürften jedoch heiß werden.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 4, Juli/August 2011, S. 12 - 13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2011