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AFRIKA/1458: Machtkämpfe am Oberen Nil - Hintergründe der permanenten Konflikte im Sudan (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 19 vom 12. Mai 2023
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Machtkämpfe am Oberen Nil
Hintergründe der permanenten Konflikte im Sudan

von Klaus Wagener


Mitte April 2023 ist im Sudan ein erbitterter Machtkampf ausgebrochen - wieder einmal. Diesmal zwischen der sudanesischen Armee unter ihrem Führer General Abdel Fattah Abdelrahman al-Burhan und den Rapid Support Forces (RSF) unter General Mohamed Hamdan Dagalo, allgemein bekannt als "Hemetti" (kleiner Mohammed). Al-Burhan ist der starke Mann Sudans und Chef der Militärjunta Transitional Military Council (TMC), welche nach der sudanesischen Revolution von 2019, in der der langjährige Staatspräsident Omar al-Bashir abgesetzt worden war, die Macht übernommen hatte. Al-Burhan sicherte sich im Oktober 2021 in einer Art Staatsstreich endgültig die Alleinherrschaft über Sudan. Dagalo war Al-Burhans Stellvertreter im TMC und nahm an seiner Seite am Staatsstreich teil. Allerdings distanzierten sich die Militärs seither voneinander.

General Dagalo kommandiert seit 2013 die RSF, eine paramilitärische Truppe, welche vom Bashir-Regime aufgestellt wurde, um die Rebellen im Darfur-Krieg (2003 bis 2020) niederzuschlagen. Laut UN-Angaben starben etwa 300.000 Menschen in diesem Konflikt, rund drei Millionen wurden obdachlos oder mussten flüchten. Den RSF wurden vom Westen zahlreiche Massaker und Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt. Nun brachte Dagalo die RSF gegen die reguläre Armee in Stellung.

Sudan teilt das Schicksal zahlreicher afrikanischer Staaten. Auch nach der formalen Unabhängigkeitserklärung am 1. Januar 1956 konnte er die neokoloniale Abhängigkeit nicht abschütteln. Er ist einer der größten und reichsten Länder des afrikanischen Kontinents und teilt mit Ägypten eine lange Geschichte, die weit in die Antike und die Zeit der Pharaonen zurückreicht. Vermutlich stand hier oder in einer der benachbarten Regionen die Wiege der Menschheit, von der aus der Homo Erectus, später der Homo Sapiens begann, die Welt zu besiedeln.

So waren es auch der Reichtum Sudans und seine geostrategische Lage am Oberlauf des Nils, am Weißen und Blauen Nil, die Britannien nicht ruhen ließen, bis es auch dieses Land - das größte Afrikas - in sein Imperium eingliedern konnte. Für Cecil Rhodes' Phantasien von einer imperialen Eisenbahnlinie von Kairo bis Kapstadt war der Besitz des Sudan natürlich unabdingbar. Heute bauen Chinesen im Rahmen der Belt and Road Initiative tatsächlich Eisenbahnstrecken in Afrika. Aber nicht für den Transport von Truppen oder geplünderten Kolonialgütern, sondern um die für die Entwicklung des Kontinents so dringend erforderliche Konnektivität zu schaffen. So modernisiert China auch das marode und teils zerstörte 4.725 Kilometer lange Eisenbahnnetz des Sudan aus der Kolonialzeit.

Nach 1956 geriet Sudan, wie viele afrikanische Staaten kaum aus der kolonialen Knechtschaft befreit, sehr bald in die Schuldknechtschaft des US-Dollar und wurde Opfer der neoliberalen Verarmungsprogramme von IWF und Weltbank. Die mit ihrem Wiederaufbau und mit der Abwehr der atomaren Bedrohung durch die USA vollauf beschäftigte Sowjetunion war nicht in der Lage, den afrikanischen Staaten die erforderlichen Kredite zur Verfügung zu stellen. Die Unabhängigkeit vom US-Dollar beginnt erst heute Realität zu werden - mit der dynamischen Entwicklung der BRICS-Plus-Staaten und ihrer New Development Bank, bei denen sich auch Sudan um Mitgliedschaft beworben hat.

Dennoch ist der Kampf um Afrika noch längst nicht Geschichte. Noch 2011, in Folge des Zweiten Sudanesischen Bürgerkriegs, gelang es den westlichen Einflussorganisationen, den an Öl und anderen Rohstoffen wie Gold, Kupfer, Bauxit, Eisen, Zink, Mangan, Nickel und Kobalt reichen Süden des Landes abzuspalten - ein weiteres Projekt der Balkanisierung des Globalen Südens. 2008 richtete das Pentagon in Stuttgart mit AFRICOM eine zentralisierte Kommandostruktur für den afrikanischen Kontinent ein. Afrika ist für die US-Neokonservativen und ihr Projekt eines "Neuen amerikanischen Jahrhunderts" zu wichtig, als dass man es dem Zufall (sprich den Russen oder Chinesen) überlassen könnte. Die CIA-Veranstaltung National Endowment for Democracy (NED) steuert in Afrika über 300 verschiedene Organisationen, 13 allein in Sudan. Auch Frankreich will seinen afrikanischen "Hinterhof" nicht aufgeben und selbst Deutschland wird von der Bundeswehr in Afrika verteidigt. Die US-Kriegsmaschine hat im April 2023 Truppen nach Dschibuti, Äthiopien und Sudan entsandt, um "US-Personal zu schützen".

Mittlerweile machen neue Spieler auf dem geostrategischen Schachbrett wie Russland und China, aber auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten oder Israel die Lage deutlich unübersichtlicher. Allerdings ist die von Peking vermittelte saudi-arabisch-iranische Annäherung ein echter Gamechanger für die Region, der trotz des gegenwärtigen Machtkampfes auch Hoffnungen für die leidgeprüften Menschen des Sudan als realistisch erscheinen lässt.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 55. Jahrgang,
Nr. 19 vom 12. Mai 2023, Seite 6
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 26. Mai 2023

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