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AFRIKA/703: Grundeinkommen in Namibia (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, Dezember 2008

Reale Hoffnungen und eine Geisterdebatte
Grundeinkommen in Namibia

Von Reinhart Kößler


Zu Beginn des Jahres wurde ein Pilotprojekt auf den Weg gebracht, das Bewohnern einer 1000-Seelen-Gemeinde östlich von Windhoek ein Grundeinkommen von 100 Namibia-Dollar sichert.(1) Zwei Jahre soll getestet werden, ob dieses so genannte BIG geeignet ist, die Armut langfristig zu verringern. Im Oktober wurde eine erste Zwischenbilanz vorgelegt. Die Zahlen waren beeindruckend. Doch der Bericht löste auch kontroverse Diskussionen aus.


Die Bekämpfung der Armut - weltweit ebenso wie im nationalstaatlichen Rahmen - ist eines der großen politischen Themen der Gegenwart. Die Millenniumsziele, die zumindest auf rhetorischer Ebene ein Großteil der augenblicklichen Entwicklungspolitik bestimmen, sind ganz wesentlich durch Armutsbekämpfung geprägt. Darüber freilich, was Armut denn eigentlich sei und ausmache, wie sie zu messen sei, worin ihre Ursachen bestehen und wie sie daher am wirkungsvollsten zu bekämpfen und gar zu überwinden wäre, gehen die Meinungen weit auseinander.

Sehr grob lassen sich zwei Perspektiven unterscheiden: Im einen Fall wird den Armen selbst die Schuld an ihrem Elend zugeschrieben. Weil jeder seines Glückes Schmied ist, haben manche (oder die meisten) eben nicht kräftig genügend zugeschlagen. Wem dies als zu simpel erscheint, vergleiche die Rhetorik der "Selbsthilfe", wie sie klassisch viktorianisch von Samuel Smiles 1856 in die Welt gesetzt wurde, mit der ganz aktuellen vom mobilisierenden Staat im Zusammenhang mit den Hartz-Programmen in Deutschland. Smiles suggerierte in seinem in zahlreiche Sprachen übersetzten und vielfach aufgelegten Buch, wer sich nur genügend anstrenge, könne es so weit bringen wie Caesar oder Napoleon. Der dabei implizierte Umkehrschluss ist höchst aktuell: Wer arm oder arbeitslos ist, ist demzufolge selbst schuld, und deswegen kommt es vor allem darauf an, den Leuten Beine zu machen.

Die andere Perspektive verortet die Problematik stärker in den wirtschaftlichen Zwängen und gesellschaftlichen Verhältnissen, unter denen die Armen versuchen, das Beste aus ihrer Lage zu machen, denen gegenüber sie unter Umständen aber auch resignieren. Wer helfen möchte, solche Resignation zu überwinden, muss demzufolge Menschen dabei unterstützen, (wieder) handlungsfähig zu werden und Wege zu finden, auf denen sie ihre Lage wirklich verbessern können.


Das BIG-Pilotprojekt in Otjivero

Vor diesem Hintergrund reicht die Bedeutung der Initiative, die eine Vereinigung von Kirchen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen in Namibia ergriffen hat, um einen Basic Income Grant (BIG) zu erproben und später im ganzen Land einzuführen, weit über den nationalen Rahmen hinaus. Nachdem seit Jahrzehnten über die Möglichkeiten eines garantierten Grundeinkommens oder eines Bürgergehaltes u.a. auch in Deutschland diskutiert wird, hat es die BIG Coalition unternommen, einmal praktisch auszuprobieren, was geschieht, wenn Menschen ein solches Grundeinkommen tatsächlich erhalten - ohne weitere Bedingungen, ohne Auskundschaften ihrer persönlichen Verhältnisse (man erinnere sich an die Revision von Kühlschränken und Schlafzimmern in deutschen Wohngemeinschaften), ohne Antragsstellung oder sonstige Barrieren und oft demütigende Schikanen.

Wie die BIG Coalition schreibt, geht es um "einen Akt der Ermächtigung, darum, den Menschen mehr Freiheit und persönliche Verantwortung zu geben. Es ist nicht eine Geste oder ein Akt der Mildtätigkeit, die Menschen abwerten könnte."(2)  

Namibia ist eine der Gesellschaften mit der weltweit größten sozialen Ungleichheit. Diese Ungleichheit bildet sich nach sozialer Klasse und Schicht ebenso ab wie nach Region und ethnischer oder Sprachgemeinschaft. Vor diesem Hintergrund wird seit 2002 über die Möglichkeit eines BIG diskutiert. Um diese Debatte auf praktischer Ebene voranzubringen, hat die BIG Coalition die Initiative zu einem Pilotprojekt ergriffen. Damit soll überprüft werden, ob die mit dem BIG-Konzept verknüpften Erwartungen realistisch sind und ob es damit sinnvoll ist, BIG auf ganz Namibia auszuweiten.

Für das Pilotprojekt wurden die informelle Siedlung Otjivero und die ehemalige Stadt Omitara 100 km östlich von Windhoek ausgewählt. In dessen Rahmen erhalten alle registrierten 930 Einwohner unterhalb des Rentenalters von 60 Jahren, wenn die allgemein gezahlte staatliche Rente eintritt, zunächst über die Kalenderjahre 2008 und 2009 pro Monat 100 N$. Für Personen unter 21 Jahren wird das Geld an eine "primäre Versorgungsperson" ausgezahlt, so dass Haushalte gemeinsam ein Vielfaches der personenabhängigen Zahlungen erhalten, die nach dem Wechselkurs Ende 2008 etwa 8,30 Euro entsprechen. Die reale Kaufkraft liegt allerdings höher, der UNDP-Bericht zur Menschlichen Entwicklung 2007/08 gibt sie mit dem Doppelten an.

Am 2. Oktober wurden in Windhoek die Ergebnisse der ersten Zwischenevaluierung nach einem halben Jahr Laufzeit vorgestellt. Die Zahlen waren beeindruckend, doch löste der Bericht auch kontroverse Reaktionen aus.


Überraschende Erfolge nach einem halben Jahr

Wie das Team, das das Pilotprojekt begleitet, betont, setzten weitreichende Veränderungen in Otjivero bereits vor dem Anlaufen des eigentlichen Projektes im Januar 2008 ein. Die Vorstellung des Projektes, die Registrierung der Berechtigten und die Durchführung einer baseline-Studie führten zu intensiven Diskussionen am Ort. Daraus entstand ein örtliches BIG Committee, das auf einer Versammlung gewählt wurde und es sich zur Aufgabe machte, das Projekt durch die Unterstützung der intendierten Ermächtigungseffekte zu begleiten. Nicht zuletzt kümmern sich die Mitglieder des Komitees um das in Namibia allgemein anzutreffende Alkoholproblem. Sie agieren aus der Einsicht heraus, das Pilotprojekt sei "ein kleines Projekt mit einem großen Ziel. Das Ziel besteht darin, das 'Leben' in Omitara zu VERBESSERN, dann in Namibia, dann in Afrika und schließlich in der ganzen Welt."

Zunächst geht es einmal um Otjivero-Omitara. Die vorgelegten Zahlen zeigen große Fortschritte in kurzer Zeit. Die Anzahl der Haushalte, die nach eigenen Angaben keinerlei Nahrungsmittelengpässe zu überstehen hatten, stieg von 20 Prozent auf 60 Prozent; war dies vor Projektbeginn bei 30 Prozent täglich der Fall, so traf dies jetzt nur noch 12 Prozent. Waren im November 2007 42 Prozent der untersuchten Kinder zumal im Alter von zwei bis drei Jahren unterernährt, so betrug diese Quote im Juli 2008 nur noch 17 Prozent. Schoben die Leute zuvor einen Besuch auf der Gesundheitsstation so lange wie möglich auf, weil sie die 4-Nam-Dollar-Praxisgebühr nicht zahlen konnten, so wird die Station jetzt viel intensiver genutzt. Die dort tätige Krankenschwester belegt anhand ihrer Buchhaltung den steilen Anstieg ihrer Umsätze, die unmittelbar die sehr viel zahlreicheren Konsultationen aufzeigen. HIV-Patienten können es sich nun leisten, ordentlich zu essen, um ihre Antiretroviren-Medikamente vertragen zu können.

Die Anzahl der Kinder, die nicht dem Schulunterricht fernblieben, ging nach Einführung des BIG zurück; die Lehrerinnen und Lehrer betonten, dass aufgrund des wesentlich besseren Ernährungszustandes die Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit der Kinder deutlich angestiegen sei. Die Schulabbruchquote sank von 30 bis 40 Prozent auf nur noch 5 Prozent.

Die Zwischenevaluation ergab insgesamt, wenn auch nicht einheitlich, einen Anstieg an Realeinkommen aus unterschiedlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten, in erster Linie aus selbständiger Arbeit, wie Herstellung von Ziegelsteinen, Schneiderei, Brotbacken oder Kleinhandel. Die Arbeitslosenquote sank von 64 Prozent auf 52 Prozent, und die Quote Arbeitsloser, die sich nicht um Arbeit bemühten, von 17 Prozent auf 7 Prozent.

So berichtet ein Mitglied eines Schneidereiprojektes: "Wir begannen letztes Jahr mit unserem Projekt, aber wir mussten aufhören, weil wir kein Geld und kein Material hatten. Wir fingen im Januar 2008 mit voller Kraft wieder an, nachdem wir das Geld von BIG bekommen hatten. Wir sind sechs Frauen im Projekt ... Wir machen Kleider, vor allem traditionelle Nama-Kleider ... Bei Anlässen wie Hochzeiten und Beerdigungen verkaufen wir eine Menge ... Ein Kleid kostet etwa 150 N$, und wir verdienen 1500-2000 N$ im Monat. Wir haben in Windhoek ein Konto eröffnet, auf das wir unsere Ersparnisse einzahlen."

Gerade die Ärmsten konnten ihr Einkommen abzüglich des BIG den Ergebnissen der Zwischenevaluation zufolge um das Dreifache steigern. Dementsprechend wurde deutlich mehr für Nahrungsmittel ausgegeben, obwohl ihr durchschnittlicher Anteil am gesamten Haushaltsbudget leicht sank, während die Anteile für Kleider, Wohnen und Gesundheit deutlich zunahmen. Zudem eröffneten 100 Leute ein Sparkonto bei der Post. Eine Frau berichtet: "Wenn die starken jungen Männer mit haufenweise Geld kommen, muss ich nicht mehr mit ihnen schlafen, um genug Geld zu haben, um Essen für meine Familie zu kaufen. Ich kann sie jetzt wegschicken."

Wenn es auch geringe Summen sind, so schaffen die BIG-Zahlungen doch ein Minimum an Autonomie. Eine Hausangestellte berichtet, dass sie sich endlich in der Lage sah, gegen ihre unerträglichen Arbeitsbedingungen zu protestieren, auch wenn dies den Rauswurf nach sich zog.

Eben darin, solche Möglichkeiten eigenständiger Entscheidung und Wahl zu eröffnen, besteht eine der wesentlichen Erwartungen, die mit der Debatte um Grundeinkommen verknüpft werden. Schließlich kam es zu einem drastischen Rückgang bei der mit Armut verknüpften Kriminalität, oft einfach Holzdiebstahl oder Jagd auf den benachbarten Farmen. Wurden in den fünf Monaten vor Projektbeginn 28 solcher Fälle registriert, so waren es in den fünf Monaten danach noch elf.

Den vielfach geäußerten Bedenken, zusätzliches Geld werde nur zu zusätzlichem Alkoholkonsum führen, hält die Evaluierungsstudie entgegen, dass einerseits "Alkoholprobleme" in Namibia allgemein verbreitet sind, so auch in Otjivero. Andererseits aber berichtet der Eigentümer einer shebeen, das BIG-Komitee habe sich nach der ersten monatlichen Auszahlung "einiger Fälle, wo jemand über die Stränge schlug", angenommen und danach sei es zu keinen ernsthaften Zwischenfällen mehr gekommen. Zudem habe eine der acht shebeens inzwischen zugemacht.

Diese Ergebnisse lassen es als gerechtfertigt erscheinen, dass die BIG-Koalition die zügige Einführung des Programms für ganz Namibia fordert und implizit die Gültigkeit des Konzeptes auch weit über den nationalstaatlichen Rahmen in Anspruch nimmt. Wie Bischof Zephania Kameeta bei der Vorstellung des Zwischenberichtes in biblischer Sprache formulierte: BIG sei vergleichbar mit dem Manna, das den Kindern Israel ermöglicht habe, nicht etwa auszuruhen, sondern sich zu stärken, um die Wüste auf dem Weg zum Gelobten Land zu durchqueren. Prosaischer ausgedrückt: Der Anstoß zur Ermächtigung scheint eine erstaunliche Wirkung zu zeitigen.


Fragwürdige Kritik - interessengeleitet?

Auf die Präsentation des Zwischenberichtes am 2. Oktober folgte zunächst eine mäßig interessierte Presseberichterstattung. Dann machte sich die deutschsprachige Allgemeine Zeitung (AZ) zum Sprachrohr von Kritikern, die entgegen der erhobenen Zahlen und auch der Aussagen von Polizeibeamten behaupteten, Otjivero sei ein Brennpunkt der Kriminalität, der Alkoholkonsum habe in Wirklichkeit drastisch zugenommen, und an alledem sei schuld, dass die BIG-Empfänger Geld ohne Gegenleistung erhielten.

Die Vertreter der BIG Coalition bestreiten nun keineswegs, dass es Kriminalität in Otjivero gibt. Die einzelnen, von der AZ an zwei aufeinander folgenden Tagen auf der Titelseite groß herausgestellten Fälle von Einbrüchen in Farmhäuser, die in der weiteren Umgebung von Otjivero liegen, wurden so dargestellt, dass sie zusammen mit "unzähligen Eseln", die angeblich im Straßenkorridor im Bereich des Squattercamps weideten und eine Gefahr für Autofahrer darstellten, als Inbegriff von Unordnung und Auflösung jeglicher Ordnung erscheinen mussten.

Nun wird man bei der erkennbar begrenzten Sprachkompetenz der AZ-Schreiber nicht jedes ihrer Worte auf die Goldwaage legen wollen, doch zeigt der Augenschein beim Durchfahren des Straßenkorridors, dass "unzählige" Esel etwa der gleichfalls bescheidenen Zahl von vielleicht 15 entsprechen.

Die Berichterstattung, die innerhalb von zwei Tagen von einem freundlich distanzierten zu einem offen feindseligen Ton wechselte, stützte sich zunächst fast ausschließlich auf die Berichte weniger deutscher Farmer aus der Umgebung des Squattercamps. Ihnen war die informelle Siedlung offenkundig schon seit längerem ein Dorn im Auge, und sie wünschten, sie möge verschwinden. Da war anscheinend wenig Zeit, etwa darüber nachzudenken, dass die Bewohner von Otjivero ihre Tiere bestenfalls 40 km weiter auf kommunalem Gebiet weiden können, zumal ihnen die umliegenden Farmen ganz selbstverständlich verschlossen sind. Warum die lokalen Polizeibeamten konsistent von den positiven Auswirkungen des BIG-Experimentes auf die Kriminalität berichten, kümmert die AZ und ihre Informanten offenkundig nicht, ebenso wenig wie die Polizeistatistik, die in einer Gegendarstellung der BIG Coalition zitiert wird und die für Juni bis Oktober 2008 einen Rückgang sowohl der armutsbezogenen wie der allgemeinen Kriminalität ausweist.


Ökonomische Orthodoxie und empirische Tatsachen

Die Gangart wurde dann Ende Oktober noch einmal verschärft, als sich die ansonsten renommierte Namibia Economic Policy Research Unit (Nepru) mit einer knappen Sekundäranalyse des Zwischenberichtes zu Wort meldete. In ihrem Quarterly Economic Review(3) wird auf knapp zwei Seiten das Zahlenmaterial des Zwischenberichtes weitgehend nacherzählt. Wenige Bemerkungen befeuerten jedoch die folgende Debatte.

In erster Linie gilt dies für die Behauptung, in Otijivero habe es ja eigentlich keine Armut gegeben, weil die namibische Regierung hierfür das Kriterium verwende, dass über 60 Prozent des Haushaltseinkommens für Nahrungsmittel ausgegeben würden, während dieser Anteil in Otjivero unter 30 Prozent liegt. Die auch von Nepru zitierte anfangs extrem hohe, nach dem Einsetzen des BIG drastisch rückläufige Quote der Fehl- und Mangelernährung von Kindern und die absolute Zunahme der Ausgaben für Nahrungsmittel um 40 Prozent scheinen die orthodoxen Ökonomen bei Nepru nicht zu beeindrucken, soweit es nur eine formalisierte Kennzahl und Statistiken gibt, die sie dagegen abgleichen können.

Bizarr wird die Argumentation, wenn Nepru darauf verweist, der soweit nicht bestrittene Wandel könne "auch durch andere Faktoren erklärt werden als allein durch Geldzahlungen", nämlich durch die Diskussionsprozesse im Vorfeld der Auszahlungen und die Wahl des BIG-Komitees, hier bezeichnenderweise als Ernennung von "Kontrollbeamten" dargestellt.

Dem als objektiver Ökonom auftretenden Analytiker zerfällt die Welt in einem Ausmaß in voneinander isolierte, allenfalls durch seine Modelle wieder in Beziehung zu setzende "Faktoren", dass klare Kausalbeziehungen anscheinend nicht mehr erkennbar sind - so wie hier der Zusammenhang zwischen dem Anstoß durch den BIG, die Eröffnung von Spielräumen und deren Nutzung für überwiegend konstruktive Ziele, die durch die Selbstorganisation der Beteiligten abgesichert werden. Um das zu verstehen, reicht vielleicht sogar der gesunde Menschenverstand; die Fiktion des homo oeconomicus, der allein auf persönliche Gewinnmaximierung aus ist und die das orthodoxe ökonomische Denken maßgeblich bestimmt, wäre zu solchen Leistungen freilich aller Wahrscheinlichkeit nach wirklich nicht in der Lage.

Dankbar wird solche Expertise dann jedoch von der AZ aufgegriffen, wo Allzweckwaffe Eberhard Hofmann die wahrhaft viktorianische Einsicht formulieren darf, das Problem liege darin, "dass Leute Geld empfangen, auch wenn es noch so wenig ist, ohne jegliche Gegenleistung verrichten zu müssen" (AZ, 8.10.2008). Das könnte von Samuel Smiles selbst sein, ist aber nach 150 Jahren auch nicht richtiger geworden. Die übrige namibische Presse als wesentliches Forum der Öffentlichkeit verhielt sich demgegenüber vorsichtiger, ließ aber gerade dadurch gleichfalls erkennen, wie eine solche Kampagne - mag sie nun koordiniert sein oder nicht - funktioniert: Plötzlich steht bestenfalls Expertise gegen Expertise, obwohl es sich einmal um eine langfristige, nach den Regeln der Kunst durchgeführte Forschung und das andere Mal um eine schnell hingeschriebene Sekundäranalyse handelt, die die Daten durch eine sehr spezifische Brille betrachtet, für die freilich seit langer Zeit immer wieder besondere Objektivität beansprucht wird.

Dass dies nicht zutrifft, belegen gerade die Zwischenergebnisse des Pilotprojektes. Sie stellen nicht nur eine Perspektive dar, wie Armut überwunden und Menschen zu einem würdigen Leben verholfen werden könnte. Sie sind gerade damit auch ein Angriff auf die ökonomische Orthodoxie, die allen Krisen und Börsencrashs zum Trotz nach wie vor beansprucht, entscheidende Vorgaben auch für politisches Handeln zu geben.

Die Reaktion von Nepru ebenso wie die Attacken in einem letztlich marginalen Presseorgan, das jedoch einen kleinen, aber einflussreichen und vergleichsweise extrem wohlhabenden Teil der namibischen Bevölkerung repräsentiert, können auch als Hinweis darauf verstanden werden, dass hier wirklich eine Bresche geschlagen wurde, die durch die von der BIG Coalition geforderte Ausweitung des Programms auf ganz Namibia erheblich erweitert werden könnte. Es gibt allen Anlass, ihr dabei viel Erfolg zu wünschen.


Anmerkungen

(1) vgl. Birgit Pfeiffer, Pilotprojekt für Grundeinkommen gestartet, in afrika süd Nr. 2, Apri/Mai 2008
[siehe auch unter www.schattenblick.de -> Infopool -> Politik -> Ausland ->
AFRIKA/666: Namibia - Pilotprojekt für Grundeinkommen gestartet (afrika süd)]

(2) Zitate sind, wenn nicht anders angegeben, den BIG-Materialien entnommen,
s. http://www.bignam.org/index.html;
Der Text beruht auch auf einem Besuch in Otjivero am 14.10.2008.

(3) http://www.nepru.org.na/fileadmin/download/NEPRU_Quarterly_Economic_Review/NVP66.pdf
(9.11.08)


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
37. Jahrgang, Nr. 6, Dezember 2008, S. 14 - 16
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2009