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AFRIKA/706: DR Kongo - Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Milizen (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, Dezember 2008

"Wir werden die Menschen des Kongo befreien"

Von Sabine Schulze


Vertreibung, Mord, Vergewaltigung - Die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Milizen im Osten der Demokratischen Republik Kongo haben nach einer kurzen Zeit der Ruhe wieder zugenommen. Die Rebellengruppe Laurent Nkundas hat weite Gebiete Nord-Kivus unter ihre Kontrolle gebracht und droht nun mit der Eroberung des ganzen Landes.


Lange schon sehnen sich die Menschen der Demokratischen Republik Kongo nach Frieden und Sicherheit. Spätestens mit den ersten freien Wahlen im Jahr 2006, so hofften viele, würde dieser Wunsch in Erfüllung gehen und sich das Land langsam von Krieg und Zerstörung erholen. Doch diesem Wunsch wurde durch neue massive Gewalt im Osten des Landes eine Absage erteilt. Noch immer beherrschen zahlreiche Rebellengruppen die Region und untergraben die Legitimität der Zentralregierung in Kinshasa. Seit August haben die Kämpfe wieder zugenommen und sich auch die Spannungen zwischen dem Kongo und dem Nachbarland Ruanda verschärft.

In der Provinz Nord-Kivu herrscht seit längerem der Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes (CNDP) des Tutsi-Generals Laurent Nkunda. Ende August haben die Rebellen die Stadt Rutshuru eingenommen und sind von hier bis vor die Tore der Provinzhauptstadt Goma vorgerückt. Vor Goma lieferten sie sich mit den Soldaten der UN-Mission (Monuc) schwere Gefechte. Anstatt an der Seite der UN-Truppen die Stadt gegen die Angriffe der CNDP zu verteidigen, trat die kongolesische Armee geschlossen den Rückzug an - nicht ohne Vergeltung an der Zivilbevölkerung zu üben: Sie plünderten, vergewaltigten und töteten auf ihrer Flucht aus der Stadt.

Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Hutu-Milizen auf der einen und der CNDP auf der anderen Seite finden seither fast täglich statt. Nach Schätzungen der UN wurden in Folge der Kämpfe bisher rund 250.000 Menschen zusätzlich zu den bereits vorhandenen Flüchtlingen aus ihren Dörfern und Städten vertrieben. Die Bevölkerung irrt seither zwischen den ständig wechselnden Fronten umher und ist den Kriegsverbrechen der Rebellen und Regierungssoldaten schutzlos ausgeliefert.

Der Wille zur friedlichen Lösung des Konflikts ist indessen in weite Ferne gerückt. In einem Gespräch mit der BBC vom 2. Oktober sprach Nkunda davon, die Operationen der CNDP vom Osten des Kongo auf das ganze Land auszuweiten. "Wir werden die Menschen des Kongo befreien", erklärte er im Verlauf des Gesprächs. Damit hat die CNDP erstmals öffentlich einen Agendawechsel bestätigt. Sahen sich Nkunda und seine Kämpfer bisher ausdrücklich als Schutzmacht der im Kongo lebenden Tutsi, die seit dem ruandischen Genozid von in den Kongo geflohene Hutu-Milizen bedroht werden, so ist das neu proklamierte Ziel ein Sturz der Regierung in Kinshasa. Es geht der CNDP also nicht mehr allein um die Sicherheit der Tutsi, sondern um die Ablösung einer Regierung, die nicht in der Lage ist, die Sicherheit der Menschen zu garantieren und Armut und Elend zu bekämpfen.

Bisher scheint diese Strategie aus Sicht der CNDP recht erfolgreich zu verlaufen. Mitglieder aus Militär und Politik, wie zum Beispiel der Provinzparlamentarier Francois Gatchaba aus Nord-Kivu, haben sich der Bewegung angeschlossen. Dabei dürfte das Übertreten in die CNDP eher Ausdruck der Verzweiflung der Menschen sein, denn die CNDP schafft in ihrem Einflussgebiet ein gewisses Maß an Sicherheit, das es ansonsten nicht gibt. Dass es die Rebellen aber wirklich schaffen sollten, bis nach Kinshasa vorzurücken, glaubt kaum jemand.


Neue Kämpfe in Ituri

Nicht nur in Nord-Kivu hat sich die Situation in der letzten Zeit dramatisch verschlechtert, auch in der nördlich gelegenen Region Ituri der Provinz Orientale kam es in den vergangenen Monaten vermehrt zu Übergriffen auf die Bevölkerung durch die ugandische Rebellentruppe der Widerstandsarmee des Herrn (LRA). Infolge der Kämpfe mussten tausende Menschen aus ihren Dörfern fliehen, Häuser, Märkte und Schulen wurden zerstört und Dutzende Kinder verschleppt.

Die LRA ist besonders berüchtigt für die gewaltsame Rekrutierung von Kindersoldaten, die sie als Kämpfer, Träger oder auch Sexsklaven benutzen. Die Gruppe, die seit über 20 Jahren den Norden Ugandas terrorisiert und der sudanesischen Regierung in ihrem Kampf gegen die südsudanesischen Rebellen viele jahre Unterstützung leistete, hat seit dem Ende des südsudanesischen Bürgerkriegs ein neues Rückzugsgebiet im Nordosten des Kongo gefunden. Den Schluss eines Friedensvertrages mit der ugandischen Regierung im April dieses jahres lehnte Joseph Kony, Rebellenführer der LRA, ab, da er sowie weitere LRA-Kommandeure vom Internationalen Strafgerichtshof per Haftbefehl gesucht werden.

Derweil machen Berichte über eine neue Rebellengruppe mit dem Namen Patriotische Front für Gerechtigkeit im Kongo (FPJC) die Runde. Anfang Oktober waren die Kämpfer der FPJC bis nach Bunia, der Hauptstadt der Ituri-Provinz, vorgedrungen und drohten die Stadt einzunehmen. Panik brach in der Bevölkerung aus, als die Rebellen am Rande der Stadt das Feuer eröffneten. Geschäftsleute schlossen ihre Läden und die Menschen machten sich zur Flucht bereit. Wahrscheinlich nur wegen der hohen Anzahl von Monuc-Soldaten, die in Bunia stationiert sind, konnte ein Angriff verhindert werden. Über die Ziele und Struktur dieser neuen Gruppe ist bisher kaum etwas bekannt.

Es ist möglich, dass die Konflikte in Ituri und Nord-Kivu enger miteinander verbunden sind, als es auf den ersten Blick erscheint. Der Militärchef der CNDP Bosco Ntanganda war nach Angaben des Internationalen Strafgerichtshof früher stellvertretender Stabschef der Milizengruppe Patriotische Kräfte für die Befreiung des Kongo (FPLC), die hauptsächlich in Ituri kämpfte. Dies lässt die Vermutung aufkommen, dass CNDP und die FPJC zusammenarbeiten und Letztere durch Nkundas Truppen unterstützt wird. Dies würde auch erklären, warum die junge Rebellengruppe ausgerechnet zu einem Zeitpunkt auf der Bildfläche erscheint, da die CNDP ihre neue Eroberungspolitik proklamiert.


Sorge vor einer Regionalisierung des Konflikts

Unterdessen verschlechtern sich auch die Beziehungen zwischen dem Kongo und seinen Nachbarländern, insbesondere zu Ruanda. Kabilas Regierung wirft Ruanda vor, die Rebellen der CNDP zu unterstützen. Kigali weist diese Vorwürfe von sich und beschuldigt Kinshasa, seinerseits mit verschiedenen Hutu-Milizen, wie der Front zur Befreiung Ruandas (FDLR), zusammenzuarbeiten. Die FDLR beabsichtigt, den Präsidenten des Nachbarlandes Ruanda Paul Kagame zu stürzen. Dieser gehört der Bevölkerungsgruppe der Tutsi an, die während des Völkermordes von 1994 zu Tausenden von Hutu-Extremisten ermordet wurden. Erst der Einmarsch der Tutsi-Rebellenorganisation Ruandische Patriotische Front (RPF) konnte das Massenmorden beenden. Sie übernahm später die Regierungsmacht in Ruanda und verfolgt seither einen harten Kurs gegen militante Hutu, die nach dem Völkermord in den Ostkongo geflohen sind und von dort immer wieder Übergriffe auf ruandisches Territorium verüben und unter anderem in der Rebellenorganisation der FDLR organisiert sind.

"Wenn die kongolesische Armee wieder einmal gemeinsame Sache mit den FDLR macht, sollte Monuc eigentlich auf Distanz gehen", kritisierte kürzlich die ruandische Außenministerin Rosemary Museminali. Mit dem Argument, gegen Hutu-Milizen vorgehen zu müssen, ist Ruanda bereits zwei Mal während der 1990er Jahre in den Kongo einmarschiert. Vertreter der ruandischen Armee sowie private Geschäftsleute haben sich damals an der Ausbeutung von Bodenschätzen beteiligt und ein lukratives Netzwerk aufgebaut, das auch heute noch funktioniert.

Die Konflikte in der ostkongolesischen Region waren schon immer eng verbunden mit der Ausbeutung von Ressourcen. Die Region ist reich an Mineralien wie Zinn, Zink, Koltan, Gold und Diamanten. Durch die illegale Ausbeutung der Bodenschätze, an der Soldaten der verschiedenen Rebellengruppen ebenso beteiligt sind wie die Regierungsarmee, Geschäftsleute und die Nachbarländer Uganda und Ruanda, fließen Millionen von Dollar in die Region - Geld, dass auch der Aufrüstung der Milizen dient. Die CNDP finanziert sich zu einem großen Teil über die Besteuerung von Zinn- und Koltan-Transporten aus der Region. Auch Gruppen der regulären kongolesischen Armee haben ganzen Minen unter ihre Kontrolle gebracht und besteuern und berauben die Bevölkerung.

Auf einem Kongo-Gipfel Anfang November in der kenianischen Hauptstadt Nairobi versuchten sieben Vertreter afrikanischer Staaten sowie der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon eine Lösung für den Konflikt zu finden. Der ehemalige nigerianische Staatspräsident Olusegun Obasanjo wurde als Vermittler zwischen den Fronten ernannt. Außerdem wurde beschlossen, falls nötig auch "friedenserzwingende" Truppen in den Kongo zu schicken. Die Bereitschaft, notfalls auch eine gemeinsame Kampftruppe in den Kongo zu entsenden, zeigt, dass man sich der Gefahr einer Regionalisierung des Konflikts bewusst ist und dies verhindern will. Gleichzeitig besteht die Gefahr, durch einen intensiveren regionalen Dialog den zwischenstaatlichen Konflikt zusätzlich zu verstärken und einer Eskalation der Gewalt Vorschub zu leisten.

Angesichts der dramatischen Sicherheitslage im Kongo fordern einige europäische Staaten eine Aufstockung der Blauhelmtruppen, um die Situation zu stabilisieren. Auch die deutsche Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul appellierte an die internationale Gemeinschaft, die UN-Friedenstruppe im Osten des Landes sofort zu erhöhen, "sonst besteht die Gefahr, dass Massaker und Ermordungen im großen Umfang" stattfänden. Mit 17.000 Soldaten und Polizisten ist Monuc zwar die größte UN-Friedenstruppe der Welt, aber verglichen mit dem Kosovo-Einsatz der UNO gering. In den Kosovo von der Größe Thüringens wurden 15.000 Blauhelme entsandt. Die DR Kongo ist so groß wie Westeuropa. Trotz der relativ großen Zahl ist die Monuc bisher nicht in der Lage, die Sicherheit der kongolesischen Bevölkerung im Osten des Landes zu gewährleisten. Es bleibt also die Frage, ob eine Verstärkung der Blauhelmtruppen überhaupt erfolgreich sein kann. Denn bisher gibt es weder einen konkreten Friedensfahrplan noch hat die kongolesische Regierung bislang den ernsthaften Willen gezeigt, den Konflikt lösen zu wollen.

Während des Sondergipfels in Nairobi gab es keine Beratungen zwischen Kongo und Ruanda, auch Gespräche mit Nkunda, der nicht zum Gipfel geladen war, lehnte die kongolesische Regierung ab. Gleichzeitig nutzte Präsident Kabila das Treffen, um den Vereinten Nationen Versagen vorzuwerfen. Diese schütze die Bevölkerung Ostkongos nicht ausreichend vor gewaltsamen Übergriffen: "Da werden Menschen abgeschlachtet und die Friedenssoldaten tun nichts", verkündete einer seiner Sprecher. Dass für die Sicherheit der Bevölkerung in erster Linie die kongolesische Regierung verantwortlich ist und diese damit ebenfalls versagt hat, erwähnte Kabila nicht. Nicht nur ist die Regierung nicht in der Lage, die Menschen vor der Gewalt der Rebellen zu schützen, sondern die kongolesische Armee selbst verübt immer wieder Verbrechen gegen die Bevölkerung.

Die Menschen sind unzufrieden mit der Regierung - aber auch mit den UN-Blauhelmen. Letzteren werfen sie vor, sie nicht ausreichend zu schützen und nicht genügend gegen die Rebellen von Laurent Nkunda vorzugehen. In Goma kam es bereits zu Demonstrationen gegen die Monuc, in dessen Verlauf aufgebrachte Demonstranten versuchten, auf das Gelände der UN-Truppen vorzudringen. Dabei wurden Autos und Einrichtungen der Blauhelmsoldaten zerstört und mehrere Menschen verletzt - einige sogar getötet.

Eine politische Lösung des Konflikts ist gegenwärtig nicht in Sicht. Mit dem Rücktritt des Premierminister Antoine Gizenga am 25. September rutschte die Regierung in Kinshasa in eine Krise, aus der sie sich nur langsam befreit. Als Nachfolger des zurückgetretenen Premiers wurde Alphonse Muzito, der bisherige Haushaltsminister des Landes, von Kabila ins Amt berufen und vom Parlament bestätigt. Wie auch Gizenga gehört der 51-Jährige der Vereinigten Lumumbistischen Partei (PALU) an. In der von Kabila und Gizenga gebildeten Regierung finden sich einige neue Gesichter. Die Krise im Osten des Landes werden auch sie kaum beheben können - zu viele Interessen sind dort im Spiel.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
37. Jahrgang, Nr. 6, Dezember 2008, S. 21 - 22
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2009