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AFRIKA/838: Südafrikas Regierung ohne Kompaß und Steuermann (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 2, April / Mai / Juni 2010

Schwere Zeiten
Südafrikas Regierung ohne Kompass und Steuermann

Von Hein Möllers


Als am 22. April In Südafrika der Tag der Freiheit, der Jahrestag der ersten freien und allgemeinen Wahlen im Land, begangen wurde, sahen die meisten Kommentatoren in den südafrikanischen Medien keinen Grund zum Feiern. Die Regierung sei außer Tritt und drohe, den Kredit des ersten Staatspräsidenten Nelson Mandela zu verspielen. Der jetzige Präsident Jacob Zuma lässt eine Richtung seiner Politik nicht erkennen. Kaum jemand rechnet mit einer zweiten Amtszeit für ihn, manche rechnen nicht einmal damit, dass er als erneut als Kandidat für das Präsidentenamt des regierenden ANC aufgestellt wird. Die Allianzpartner - Gewerkschaft und Kommunistische Partei -, aber auch ANC-Mitglieder gehen auf Distanz.


Oukasi, Sharpeville, Orange Farm, Siyathemba, Bondheuwel, KwaMashu... - kaum ein Tag, an dem die Tageszeitungen nicht von Gewaltausbrüchen in den Townships berichten. Die Menschen dort machen ihrer Empörung gewaltsam Luft, zünden Autos und Häuser an, werfen Steine gegen die Polizisten, rücken den Behörden vor die Türe. Es brennt in den Townships.

Die Empörung gilt der schlechten Versorgung. Es fehlen Häuser, Strom- und Wasseranschlüsse. Gewaltkriminalität macht den Alltag gefährlich. Die Menschen sind wütend darüber, dass Bauunternehmen sich lukrative Aufträge an Land ziehen und dann weniger bauen als vereinbart und am Bau pfuschen. Es geht vor allem um staatliche Dienstleistungen. 40.000 Häuser im sozialen Wohnungsbau mussten wieder abgerissen werden wegen mangelnder Qualität und Sicherheit. Neuen Aufträgen von der Kommune steht das nicht im Wege. Unternehmen wie Verwaltung sind auf kommunaler Ebene in der Korruption eng verbandelt.

Der Frust wächst. Die Forderungen bei den Protesten werden zunehmend schärfer. Die politischen Parteien haben die Sprache verloren, mit der sie sich verständlich machen könnten. Die Politiker verlieren an Einfluss und Führung. Neue Organisationen füllen die Lücke. Ihr Organisationsgrad wächst, ebenso die nationale Vernetzung.


Nach gutem Start ins Stolpern geraten

Nirgends wird die Sprachlosigkeit der Politiker deutlicher als bei Staatschef Jacob Zuma. Seit einem Jahr ist er im Amt, und schon jetzt wird offen innerhalb seiner Partei und in den Medien über seine Nachfolge diskutiert. Grund sind nicht nur die peinlichen persönlichen Entgleisungen.

Anders als sein Vorgänger Thabo Mbeki geht Zuma in die Townships, redet mit den Menschen. Doch was er dann an Erkenntnissen preisgibt, löst Kopfschütteln aus. Anfang Mai besuchte Zuma die informelle Siedlung Sweetwater im Süden von Johannesburg; anschließend erklärte er gegenüber den Premiers der neun Provinzen und seinem Stellvertreter Kgalema Motlanthe, er habe seine Tränen kaum unterdrücken können. Er kam zu "erstaunlichen" Feststellungen: "Es gibt keine angemessenen Wohnungen, keine sanitären Einrichtungen, keinen Strom, nicht einmal feste Straßen oder Krankenversorgung. Es gibt gerade mal eine völlig unzureichende öffentliche Wasserstelle. Ich bin in zwei Häusern gewesen. Die Leute schlafen wie Schweine auf blankem Boden." Seine Regierung schätze den Fehlbedarf auf 2,1 Millionen Wohnungen für 12 Millionen Menschen. Mindestens 2.700 Barackensiedlungen wie Sweetwater lägen allein im Weichbild der großen Städte. Patrick Bond, Mitarbeiter am Centre for Civil Society in Durban, kommentierte im Mercury lakonisch: Das müsse man sich von einem Politiker anhören, der seit 1994 im Zentrum der Macht stehe und nicht zum ersten Mal ein Township oder eine Blech- und Pappsiedlung besucht habe.

Und Staatspräsident Jacob Zuma goss zusätzlich Öl in einen Schwelbrand: Er warnte die Zuwanderer und Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten, als hätte es auf sie nicht vor erst zwei Jahren mörderische Übergriffe gegeben, als würden Fremde nicht immer noch hoch gefährdet sein; viele rechnen gar für die Zeit nach der Fußball-Weltmeisterschaft mit dem schlimmsten. Sie sollten - sagte Zuma bei dem erwähnten Treffen - aufhören, Dokumente zu "fälschen", um sich Dienstleistungen zu erschleichen. Er schloss immerhin mit der Warnung, ohne Veränderungen dürfte es schwer werden, Menschen wie in Sweetwater zu erklären, worin der "Fortschritt von zwei Jahrzehnten Freiheit" bestehe. "Nach 16 Jahren an der Macht müssten wir wissen, was klappt und was nicht. Wir können nicht einfach fortfahren wie gehabt. Wenn wir solche Orte wie Sweetwater gesehen haben und nichts tun, dann stimmt etwas nicht mit uns."


"Lahme Ente"

Eine treffende Lagebestimmung. Doch eine Antwort darauf wird schon zu lange erwartet. Dass Zuma die Richtung vorgibt, wird ihm mittlerweile nicht mehr zugetraut. Der Präsident verliert zunehmend und immer schneller den Rückhalt seiner Partei ANC. Manche nennen ihn bereits eine lahme Ente, die nichts mehr entscheiden kann und will. Es gibt - keineswegs nur hinter vorgehaltener Hand - erste Forderungen nach einen Rücktritt. Von einer zweiten Amtszeit redet kaum noch einer. Den Kredit der ersten Stunden nach dem Amtsantritt hat er verspielt.

Damals im Mai 2009 und den Monaten danach gewann er überraschend schnell an Ansehen. Er spielte seine große Stärke aus: Vermitteln und Moderieren. Die hatte er im Auftrag Mandelas erstmals 1994 unmittelbar vor den ersten freien Wahlen unter Beweis gestellt, als er erfolgreich den Inkatha-Chef Gatsha Buthelezi von seinen separatistischen Ideen abbrachte und zur Teilnahme an den Wahlen überredete. Zuma wurde seinem Ruf als guter Unterhändler und Brückenbauer gerecht.

Als neuer Staatschef ging er in die Townships und hörte die aufgebrachten Menschen an. Er konnte glaubhaft machen, dass er die Probleme der Menschen ernst nimmt. Er knüpfte auch Kontakte zum afrikaansen Teil der Bevölkerung, um die Afrikaaner für die Entwicklung des Landes einzubinden, die sich unter Mbeki unerwünscht zu fühlen begannen.

Zuma erhielt in den ersten Monaten seiner Präsidentschaft Beifall von Freund und Gegner, in den politischen Lagern wie in der Zivilgesellschaft. Er schnitt ein knappes Vierteljahr nach Amtsantritt in Umfragen besser ab als bei der Wahl.

Doch bald kamen die Zweifel. Wohin will Zuma? Mit Moderieren ist es angesichts der Lage in Südafrika nicht getan. "Er will immer alle glücklich machen, während wir jemanden brauchen, der auch unangenehme Entscheidungen fällt", meint Pieter Krokamp, Politologe an der Johannesburger Universität. "Wenn man jeden zu beschwichtigen sucht, hat man das Problem, dass man es niemanden recht macht", urteilte Jeremy Gordin im Daily Dispatch vom 9. Mai.

Zumas Kabinett vereinigt einige hoch kompetente Leute. Sie vertreten jedoch unterschiedliche Linien und können sie auch eloquent und argumentreich vertreten. Zuma versteht es jedoch nicht, den unterschiedlichen Vorstellungen Richtung zu geben. Das hat zu erheblichen Konfusionen geführt. Die Wochenzeitung Mail&Guardian umschrieb die Lage: "Wenn Präsident Zuma nicht willens ist, klare politische Vorgaben zu machen, treiben seine Minister auf der Kommandobrücke auf hoher See ohne zu wissen, wohin die Reise geht."

Drastisch zeigt sich die Richtungslosigkeit in der Wirtschaftspolitik. Hier geht es um die zentralen Fragen des makroökonomischen Kurses. Wie kann eine moderne international wettbewerbsfähige Wirtschaft aufgebaut werden, wie sieht der effektivste Wachstumspfad für eine immer noch gespaltene und höchst ungleiche Gesellschaft aus?

Gleich vier Instanzen befassen sich mit einer grundlegenden Bestimmung der Wirtschaftspolitik. Da ist der Finanzminister Pravin Gordhan, der einen Rückzug des Staates und eine Beschleunigung der Privatisierungen verfolgt. Der Minister für Handel und Industrie, Rob Davies, dagegen setzt stärker auf einen staatlich gelenkten Ausgleich zwischen den sozialen Schichten. Dazwischen stehen der Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Ebrahim Patel, und der Leiter der Planungskommission, Trevor Manuel, ein alter Mbeki-Mann.

Alle vier haben hochkarätige Kommissionen berufen. Der Generalsekretär der Cosatu, Zwelinzima Vavi, urteilt: Sie konkurrieren nicht, sie tauschen sich nicht aus; sie arbeiten nebeneinander her, ins Blaue.

Fragt man Staatspräsident Jacob Zuma nach dem Wirtschaftskurs seiner Regierung, verweist er auf die Kompetenz und Verantwortlichkeit der Ressorts.


Partner gehen auf Distanz

Die Allianzpartner des regierenden ANC, die Jacob Zuma gegen Thabo Mbeki auf den Schild gehoben haben, gehen längst auf Distanz. Den Linken im Gewerkschaftsverband Cosatu und in der Kommunistischen Partei SACP ist der Kurs der Regierung zu wirtschaftsfreundlich. Sie drohen mit dem Ausstieg aus dem Bündnis. Am weitesten wagte sich bisher Cosatu-Generalsekretär Zwelinzima Vavi vor.

Vavi warnte bereits Anfang März, Gewerkschafter, die auch Mitglied des ANC sind, planten beim Treffen des Nationalen Komitees im September, Zuma das Vertrauen zu entziehen. "Diese Leute machen die tägliche Arbeit vor Ort. Öffentlich unterstützen sie noch den Präsidenten. Aber sie wissen, dass er für die Arbeit an der Basis kontraproduktiv ist.

Anfang Mai bezichtigte Vavi namentlich hochrangige Mitglieder des ANC der Korruption. Das brachte ihm Androhungen eines Disziplinarverfahrens und Morddrohungen ein. Zuma schweigt sich aus. Wie immer bei internen Streitigkeiten geht er in Deckung. Dieser Regierungsstil mache Verantwortlichkeit vor Ort unmöglich, Korruption sei da ein "natürliches" Nebenprodukt, sagen die Kritiker.

Und wie reagiert der ANC? Zumas mangelnde Führung findet sein Gegenbild wieder im überproportionalen Einfluss des Vorsitzen der ANC-Jugendliga, Julius Malema zum Missfallen vieler ANC-Politiker. Richard Calland, politischer Beobachter der südafrikanischen Gesellschaft und Politik, schrieb im Mail&Guardian: "Der Groschen in der ANC-Hierarchie ist längst gefallen. Man konnte es geradezu hören: Wie kommen wir mit ihm zu einem Ende? Man hört es in den Gesprächen alter ANC-Mitglieder und Aktivisten. Angesichts einer lahmen Ente als Präsident lautet die Schlussfolgerung: Zuma sollte gehen - und zwar jetzt."

Kaum einer setzt noch darauf, dass Jacob Zuma 2012 als ANC-Vorsitzender wiedergewählt wird. Damit ist auch eine nächste Kandidatur für das Präsidentenamt praktisch ausgeschlossen. Die Frage ist, wird er mit dem Verlust des Parteivorsitzes auch sein Präsidentenamt niederlegen, wie es Mbeki getan hat? Ob er die Amtszeit übersteht, ist ungewiss.

Für die letzten vier Jahre der laufenden Amtszeit Zumas droht eine Lähmung der Politik. Im Augenblick hebt die Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land die Stimmung. Ke Nako, heißt das Motiv. "Es ist Zeit" wird danach eine andere Bedeutung erhalten. Die Zeit ist reif, wichtige und unausweichliche Entscheidungen zu treffen. Schwere Zeiten für Südafrika.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 2, April / Mai / Juni 2010, S. 8 - 9
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2010