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AFRIKA/870: Senegal - Betteln verboten, Menschenhändler und Koranschulen beuten Kinder aus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Oktober 2010

Senegal:
Betteln verboten - Menschenhändler und Koranschulen beuten Kinder aus

Von Bakary Coulibaly


Dakar, 11. Oktober (IPS) - Seit ein paar Wochen hat sich das Straßenbild in Dakars Zentrum deutlich gewandelt. Die bislang im Morgengrauen zu Tausenden ausschwärmenden Talibé - von ihren Koranlehrern zum Betteln ausgeschickte Koranschüler - sind verschwunden. Die Regierung des westafrikanischen Landes hat das Betteln auf öffentlichen Straßen verboten.

Seitdem hat sich der innerstädtische Verkehrsfluss in der senegalesischen Hauptstadt wesentlich verbessert. "Jetzt kommt man schneller durch die Innenstadt. Früher gab es auf den Hauptstraßen wegen der zahllosen Bettler kein Durchkommen", freut sich der Taxifahrer Babacar Diagne.

Nach einer im Mai 2010 von UNICEF angestellten Schätzung gab es allein in Dakar 7.600 Bettelkinder. Viele von ihnen waren von gut bezahlten Menschenhändlern aus Nachbarländern eingeschleust worden. Oft werden sie von armen Familien über die Grenze nach Senegal geschickt, damit sie dort in einer der zahllosen Koranschulen versorgt und unterrichtet werden. Senegal ist zwar ein säkularer Staat, doch gut 95 Prozent der 13,7 Millionen Menschen sind Muslime.


"Bettelei von Banden organisiert"

"Senegal wird von seinen Partnern verwarnt. Sie werfen uns vor, wir gingen nicht effizient genug gegen Schleuser vor, obwohl Senegal die internationale Konvention gegen Menschenhandel ratifiziert hat", begründete Ministerpräsident Souleymane Ndéné Ndiaye das gesetzlich verfügte Bettelverbot. "Die öffentliche Bettelei wird von Banden organisiert", fügte er hinzu. "Sie schicken die Kinder zum Betteln und kassieren die Almosen zum eigenen Nutzen."

Einschränkend erklärte Senegals Regierungschef: "Das Gesetz bedeutet nicht, dass Betteln grundsätzlich verboten ist. Wenn Koranschüler und andere Bettler sich in Moscheen und Kirchen einfinden, erhalten sie dort Spenden großzügiger Wohltäter." Der Koran hält die Gläubigen an, Bedürftige mit Almosen zu unterstützen.

Das Verbot ist umstritten, zumal es nicht zuletzt auch auf Druck internationaler Menschenrechtsorganisationen zustande kam. Seit langem klagten etwa 'Human Rights Watch' (HRW) und das Weltkinderhilfswerk UNICEF über zivile Koranschulen, die im Namen des Korans die in ihrer Obhut lebenden, oft bitterarmen Schüler zum Betteln auf die Straße schickten.

Zunächst ließen die landesweiten Proteste gegen das staatliche Bettelverbot nicht lange auf sich warten. Am Morgen nach Inkrafttreten des Verbots demonstrierte eine aufgebrachte Gruppe von Armen und Menschen mit sichtbaren Behinderungen in Dakars Innenstadt. Ihr Sprecher Mor Thiobane klagte: "Diese Willkürmaßnahme nimmt den Bedürftigen ihre einzige Einkommensquelle, das Betteln."


Religionsführer: "Koranschulen wurden nicht gefragt"

In Dakar und der Hauptstadtregion kritisierten die Leiter von Koranschulen sowie etliche Religionsführer die Regierung, bei der Entscheidung übergangen worden zu sein. "Um ein Bettelverbot durchzusetzen, sind begleitende Maßnahmen notwendig, vor allem die Einrichtung von Kantinen in den Koranschulen", erklärten sie.

Inzwischen nahm die Polizei etliche hunderte Bettler fest, und den ersten Koranlehrern ('Marabous') wurde der Prozess gemacht, weil sie gegen das Bettelverbot verstoßen hatten. Ein Gericht verurteilte sechs Marabous zu sechs Monaten Haft auf Bewährung und zu einer Geldstrafe von jeweils umgerechnet 150 Euro.

Senegalesische und andere afrikanische Menschenrechtsaktivisten begrüßen, dass Senegal das öffentliche Betteln unter Strafe gestellt hat. "Hier geht es um das nationale Wohlbefinden und die bürgerliche Verantwortung", erklärte Denise d'Erneville, die Präsidentin der zivilen Organisation 'Convergences'. Bettelei sei ein Delikt wie organisiertes Verbrechen oder Landstreicherei und müsse ebenso bestraft werden.

Als Präsident der afrikanischen Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte (RADDHO), begrüßt auch Alioune Tine die Bemühungen der Regierung, die organisierte Bettelei zu unterbinden. "Seit mehr als 25 Jahren hat die senegalesische Zivilgesellschaft mehr oder weniger erfolglos gegen den Kinderhandel und die schlimmsten Formen ausbeuterischer Kinderarbeit gekämpft", erklärte er. Dennoch forderte der Aktivist die Regierung auf, behutsam vorzugehen. "Der Akzent muss auf der Vermittlung gesellschaftlichen Einvernehmens liegen. Alle Betroffenen müssen beteiligt werden."

Ohne begleitende Maßnahmen ließe sich niemand vom Betteln abbringen, meinte Aissatou Diagne, die die Frauenforschergruppe GREFELS koordiniert. Senegals ehemaliger Regierungschef Idrissa Seck (2002-2004) ermahnte seine Landsleute: "Verurteilt aber die Koranschulen nicht und werft ihnen nicht vor, sie seien für Ausbeutung, Misshandlung und Bettelei verantwortlich." (Ende/IPS/mp/2010)


Links:
http://www.hrw.org
http://www.unicef.org
http://www.raddho.org/
http://www.grefels.org/
http://ipsinternational.org/fr/_note.asp?idnews=6125

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 11. Oktober 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2010