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AFRIKA/875: Angola - Vergangenheit und Zukunft neu erfinden (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Juli / August 2010

Vergangenheit und Zukunft neu erfinden

Von David Sogge


Angolas Elite stützt ihre politische und militärische Macht auf den Ölreichtum des Landes. Ihre Herrschaftsform, die sie nach dem Ende des langen Bürgerkrieges aufgebaut hat, verknüpft eine neoliberale Wirtschaftspolitik mit politischer Repression, die eine Umverteilung nach oben und ins Ausland sichern soll. Die gesellschaftspolitischen Ideale aus den Tagen der Befreiung vom Kolonialismus gehören längst der Vergangenheit an. Doch eine mit dem Versiegen der Ölquellen absehbare Wirtschaftskrise könnte in Zukunft eine Rückbesinnung auf die fortschrittlichen Ziele der Vergangenheit heraufbeschwören.


Was verbirgt sich hinter einem Namen? Für Angolas herrschende Partei offensichtlich viel. Im Dezember 2009 hat sich die Partei formell von ihrem Ursprungsnamen "Volksbewegung für die Befreiung Angolas" (Movimento Popular de Libertação de Angola) verabschiedet. Seither ist sie nur noch unter ihren Initialen MPLA bekannt. Mit den alten Bezeichnungen "Bewegung" und "Befreiung" wollte die Partei wohl nichts mehr zu tun haben. Schon lange zuvor hatte sie sich von der "Volksrepublik" verabschiedet, es heißt offiziell nur noch Republik Angola.

Solch glühende Begriffe aus einer überholten Zeit lassen viele Menschen kalt. Doch es war schon ein seltsamer Zeitpunkt, zu dem diese Zeichen vergangener Ideale über Bord geworfen wurden. Denn noch nie zuvor in ihrer 53-jährigen Geschichte hat sich der Anspruch der MPLA auf ein Mandat der Bevölkerung stärker gezeigt. Bei den Parlamentswahlen im September 2008 hat sie bei hoher Wahlbeteiligung mehr als vier von jeweils fünf Stimmen auf sich vereint. Sechs Jahre zuvor waren ihr Triumph über die von Kriegsherren geführte Unita und der anschließende Friedensvertrag auf überwältigende Erleichterung bei der Bevölkerung gestoßen, da auf eine Bestrafung verzichtet wurde. Selbst diejenigen, die auf der Verliererseite standen, waren erleichtert. Sicher, die Angolaner hegen eine deutliche Missachtung gegenüber ihrer politischen Klasse. Doch die Erwartungen der Bevölkerung steigen; die meisten Menschen blicken optimistisch in die Zukunft. Sie sind urbanisiert, sprechen Portugiesisch und sehen sich selbst nicht mehr vornehmlich als Mitglieder ethnischer Blöcke, sondern als Bürgerinnen und Bürger einer angolanischen Nation. Die MPLA hat mehr als jede andere politische Kraft zu einem solchen Ergebnis beigetragen.

Ein solches Szenario war 1973 weit von der Realität entfernt. Zu jener Zeit hing die Partei, geschwächt von der Aufstandsbekämpfung der Portugiesen und von internen Kämpfen, in den Seilen. Washington wie Moskau hatten sie aufgegeben. Doch nach dieser fast tödlichen Erfahrung feierte die MPLA ein erstaunliches Come-back als eine treibende neue Kraft Afrikas. Mit militärischer Hilfe kubanischer Kommunisten und einer Menge Petrodollars westlicher Kapitalisten gewann sie Zeit, Raum und Erfahrung, um sich zu erholen und die Oberhand zu gewinnen.

Nach ihrer Machtübernahme im Jahre 1975 baute sie drei Schlüsselinstitutionen auf: eine disziplinierte Armee und Sicherheitsapparat; eine professionell geführte Staatsfirma, Sonangol; und ein ölgeschmiertes Patronagesystem. Mit einem gewieften Management aller drei Institutionen konnte sich die MPLA Vorteile auf den Gebieten Herrschaftssicherung, Staatseinnahmen und Innenpolitik verschaffen. Kurz, die MPLA baut das auf, was das Washington des Kalten Krieges am wenigsten haben wollten: einen schwarzafrikanischen Staat, der Muskeln und "Haltung" zeigt.

Für seine Dreistigkeit musste das Land mit Blut bezahlen. Zwischen 1975 und 2002 sind etwa 1,5 Millionen Menschen in einem Krieg umgekommen, in dem die USA Antikommunisten unterstützt hat - eine erschütternde Zahl für ein Land, in dem 1975 nur sechs Millionen Menschen lebten. 160.000 davon sind bei direkten Kriegshandlungen gestorben - die schlimmste Anzahl von Kriegsopfern in einem afrikanischen Konflikt des 20. Jahrhunderts.


Dschungelkapitalismus

Der Krieg hat Angola völlig umgekrempelt. Während nahezu die Hälfte der Bevölkerung vor der Gewalt aus ihrem Heimatgebiet fliehen musste, schossen um die Städte und Großstädte herum urbane Hüttensiedlungen aus dem Boden. Als das ausgefeilte agro-industrielle System zusammenbrach, zog dies eine beträchtliche Zahl von Kleinproduzenten und den größten Teil des Proletariats mit sich, proportional eines der größten Afrikas. Als die Kriegsparteien tausende junger Menschen in ihre Kriegsmaschinerie hineinzwangen, begannen Jahre der Lehre in Berufsschulen für Gewalt. Viele dieser Veteranen stehen heute im Sold der Armee, Polizei und privater Sicherheitsfirmen.

Der Rest der im Krieg Entwurzelten und Enteigneten fristet sein Dasein in der Unterwelt von informeller Arbeit und Handel, dem neuen Schwerpunkt der Festlandökonomie. Wie überall im globalen Kapitalismus ist der freie Markt nur für Verlierer. Die wirtschaftlichen Gewinner, die sich untereinander politisch bestens vernetzt haben, teilen sich die reiche Ausbeute über lukrative Einfuhrmonopole. Die von ihnen kontrollierten Importströme versorgen den größten Teil der Märkte, wo das povo, das gemeine Volk, arbeitet, das Risiko auf sich nimmt und die Wirtschaftspolizei und andere Wegelagerer bezahlt, damit es in Ruhe gelassen wird. So sieht das Leben aus unter dem capitalismo selvagem, dem Dschungelkapitalismus.

Im Gegensatz zum Rest Afrikas hat die angolanische Elite dem Weltwährungsfonds IWF nie erlaubt, seine Wirtschaftspolitik zu überwachen. Dennoch hat sie 1990 die Kerngrundsätze des Washington Konsensus übernommen: Liberalisierung des ausländischen Kapitalverkehrs, Einsparungen bei öffentlichen Ausgaben und Privatisierung öffentlicher Anlagen. Damit hat sie jegliche verbliebene Hoffnung auf einen Sozialvertrag zunichte gemacht - "die Befriedung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung" in der Rhetorik der MPLA von 1975. Die Politik mündete in ein Bonanza für die politische Klasse und ihre ökonomischen Verbündeten im Ausland.

Die Einführung einer "marktfreundlichen" Politik löste eine erhebliche Kapitalflucht aus. Nach einer jüngsten Studie von Global Financial Integrity ("Illicit Financial Flows from Africa: Hidden Resource for Development", Washington DC 2010) beliefen sich die illegalen Kapitalabflüsse in den 1990er Jahren auf durchschnittlich 542 Mio. US-Dollar im Jahr, etwa sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts, zwischen 2000 und 2008 stieg diese Summe auf 2,7 Mrd. US-Dollar, etwa 14 Prozent des BIP. Angolas "Friedensdividende" bedeutete buchstäblich riesige Dividenden für Interessen im Ausland.

Bürgerrechtler wie die französische Juristin und Europa-Abgeordnete Eva Joly und Menschenrechtsgruppen wie Global Witness haben über solche Schattensysteme eine Menge aufgedeckt. Doch wo sich Angolas auf die Seite gebrachter Reichtum versteckt und wer ihn besitzt, darüber gibt es weitgehend nur Vermutungen. Alle Abflüsse laufen über dunkle und weit verzweigte Kanäle, über die verschiedensten geheimen Zuständigkeitsbereiche von London und Liechtenstein bis ins Steuerparadies Delaware (an der Ostküste der USA), um schließlich vornehmlich im Bestimmungsort Wall Street zu landen. Das fand ein Team von Ökonomen der US-Notenbank heraus, das eine Menge von Daten aus der undurchsichtigen Welt der Petrodollars durchstöbert hatte ("Recycling Petrodollars", Current Issues in Economics and Finance, Federal Reserve Bank, New York 2006). "Marktfreundliche" Politik hat sich also als genau das herausgestellt, was sie ist: freundlich für die Märkte.

Darüber hinaus erfährt das legal erwirtschaftete Geld in Angola eine Sonderbehandlung. Auslandsfirmen erfreuen sich niedriger Steuern und einer stromlinienförmigen Rückführung der Profite - eine Tatsache, die in einer Bewertung des Investitionsklimas in Angola durch die US-Regierung ebenso mit Aufmerksamkeit verfolgt wird wie in den Bewertungslisten für "Wirtschaftsfreiheit" von einflussreichen Denkfabriken in Washington DC.


Patronage und Kontrolle

Einheimisches Kapital auf der anderen Seite sieht sich anderen Regelungen ausgesetzt. Es kann nicht nach Gutdünken akkumulieren. Jeder Angolaner, der seriöse Geschäfte machen will, muss erst mit einem einschlägigen Politiker einen Deal eingehen. Jeder Versuch, außerhalb der Kontrolle der MPLA Kapital zu akkumulieren, ist für diese eine Frage von null Toleranz. Das könnte ja schließlich zu autonomen Machtgrundlagen führen. Deshalb findet sich keine Angolaner, die in einem größeren Umfang Geld erwirtschaften außerhalb des Einflussbereiches und der Beteiligung der politischen Klasse.

Zur Staatskunst der MPLA gehört die Kontrolle über die Medien und den Ideenfluss. Doch ihre Hauptstütze ist die Verteilung von Geld, Status und Staatsämtern. Die MPLA hat diese Pfeiler, unterstützt von Zwang und brachialer Gewalt, genutzt, um innerhalb der Elite informelle Bündnisse zu schmieden, Gegner zu kooptieren und zu neutralisieren und um sich vor Unberechenbarkeit zu schützen. Ungeachtet der Gerüchte über gegenseitiges Misstrauen - Geschichten über VIPs auf Dinnerpartys, die sich weigern, aus Flaschen zu trinken, die nicht vor ihren Augen geöffnet wurden, oder etwas zu essen, das nicht zuvor von ihren Lakaien getestet wurde - hält die politische Klasse ziemlich gut zusammen. Das Patronage- und Bündnissystem hat sich im angolanischen Falle als stabilisierend erwiesen.

In der Tat hat sich das zentral gelenkte Patronagesystem bislang als verlässlicher Weg erwiesen, Politik zu machen, wo die Fliehkräfte stark sind und eine Menge plünderbarer Reichtum im Spiel ist. Das System ermöglicht die Rekrutierung von Angehörigen früher ausgeschlossener ethnischer Gruppen in die Topriege des Militärs. Es funktioniert über die Beteiligung an Einkünften (wie in den ölreichen Provinzen Zaire und Cabinda und den diamantenreichen Lunda-Provinzen) und über die Zuteilung öffentlicher Posten mit entsprechenden Gewinnaussichten. Die befriedende Wirkung des Systems ist heute offensichtlich: Mit Ausnahme der abtrünnigen Miliz in Cabinda, welche die Regierung im Januar beschämte, als sie auf den Mannschaftsbus der togolesischen Fußballnationalmannschaft schoss, herrscht in Angola Frieden. Das Argument, dass Rohstoffe nur politisches Chaos hervorrufen, gilt für Angola nicht; bloßes Plündern und Unterdrückung, die zur Verwahrlosung der Staatlichkeit führen, war noch nie Politik der MPLA.

Die Partei vermochte es in geschickter Weise, unabhängige Ideen und den Aktivismus der Bürgerinnen und Bürger aufrecht zu erhalten. In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit hat sie versucht, zivilgesellschaftliche Räume mit Monopolorganisationen nach Sowjetvorbild für Frauen, Arbeiter, Bauern und die Jugend zu besetzen. Doch mit Ausnahme der Frauenorganisation hat sie damit nie wirkliche Legitimation erlangen können.

Heute setzt die MPLA in der Zivilgesellschaft Zuckerbrot und Peitsche ein. Zu den repressiven Maßnahmen gehören Eindämmung (die unabhängige Presse zum Beispiel ist hauptsächlich auf Luanda konzentriert), geheime Polizeiinfiltrierung und Gewaltaktionen etwa gegen einkommensschwache Bewohner von bestem städtischen Land in Luanda und Lubango. Zu den positiven Anreizen gehört die Verteilung von Hilfsgeldern durch ihre eigenen Nichtregierungsorganisationen, vor allem der Eduardo dos Santos-Stiftung. Patronage und Vergünstigungen, die von den Sonderkomitees der Partei angeboten werden, haben viele städtische Berufstätige von politischen Aktivitäten abgehalten. Luanda besitzt fortschrittliche Parteien und zunehmend dynamische Periodika in digitaler oder gedruckter Form, doch angesichts der Gerissenheit der MPLA müssen sie erst noch eine kritische Masse im politischen Leben bilden.


Noch schwache Justiz

Die Bürgerinnen und Bürger könnten stärkeren Gegendruck aufbauen, wenn es effektive Rechtswege und andere Kanäle für öffentliche Beschwerden und transparente Regeln gäbe. Tatsächlich finden einige Fälle vor ordentlichen Gerichten Gehör, und gelegentlich gibt es sogar Fortschritte in der realen Rechtsprechung. Solche Episoden könnten erklären, warum eine kleine Mehrheit von Angolanern in einer BBC-Umfrage von 2008 angegeben hat, dem Rechtssystem des Landes zu vertrauen. Im März 2010 hat ein Provinzgericht sieben Polizisten wegen ungesetzlichen Tötens von acht Jugendlichen in einem Stadtviertel von Luanda verurteilt, wenngleich das Gericht alles dafür tat, hohe Tiere von jeglicher Schuld freizusprechen. Es scheint in der Tat so, dass sich die meisten hochrangigen Personen effektiver rechtlicher Immunität erfreuen.

Ebenfalls im März verkündete die Regierung ein Gesetz (Lei da Probidade Pública), das Korruption unter Strafe setzt und Topfunktionäre verpflichtet, ihr persönliches wie im Ausland befindliches Vermögen zu deklarieren. Es gestattet jedem, Missbrauch durch Staatsbeamte anzuzeigen, zugleich stellt es aber jeden unter hohe Strafe, der/die Anschuldigungen macht, die sich als falsch erweisen.

Wird dieses wie auch andere eindrucksvolle Gesetze mehr Transparenz, Rechtschaffenheit und Respekt für Menschenrechte fördern? Die Führung hat jedenfalls keine Eile gezeigt, die Staatsanwaltschaft (die für die Umsetzung des Gesetzes für öffentliche Rechtschaffenheit zuständig ist) zu stärken oder ein schnell regierendes Rechtswesen auszubauen. Stattdessen zieht sie es vor, der Öffentlichkeit leichtgewichtige Strafverfolgungsagenturen anzudrehen. Das Amt eines Ombudsmanns, Menschenrechtskommissionen auf Provinzebene und Schlichtungsstellen mögen den Bürgerinnen und Bürgern Gelegenheit geben, ihre Beschwerden zu ventilieren, doch all diesen Einrichtungen fehlt es an einem Mandat, Gesetze durchzusetzen oder rechtlich bindende Ergebnisse zu verhängen. Sie helfen den Behörden, Probleme zu erkennen, ohne deren Lösung einzufordern. Doch weil sie, wenn auch nur schwach, das Prinzip wiedergeben, dass Bürger ihre Beschwerden ausdrücken können, sind solche Gremien nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Eine Tages könnten sie den Machtlosen vielleicht Orte bieten, an denen sie ein wenig Einfluss über die Mächtigen erlangen oder sie zumindest in Verlegenheit bringen könnten.

Doch was wird vom öffentlichen Bereich überleben? Die Privatisierung öffentlicher Dienste schreitet voran, das schließt die Anmeldung von Ansprüchen weitgehend aus. Private, an Gewinn oder nicht an Gewinn orientierte Anbieter sehen sich praktisch keinerlei Verpflichtungen gegenüber, öffentlich Rechenschaft darüber abzulegen, was sie tun oder lassen. Jedenfalls wurden öffentliche Dienste noch nie als ein Rechtsanspruch für Bürgerinnen und Bürger gesehen, sondern eher als Waren, für die man bezahlen muss, oder als Wohltaten, für die man seine Dankbarkeit zu zeigen hat. Neoliberale Wertmaßstäbe gelten landesweit und drängen alles zurück, was nach gerechtem Sozialvertrag schmeckt. Die Angolaner sind tatsächlich Gefangene einer seltsamen Verbindung von neoliberalen Rezepten mit einem Zwangsstaat.

Gleichwohl versuchen einige wenige Gruppen des emanzipatorischen Flügels der Zivilgesellschaft weiterhin, dem Fortschritt zum Durchbruch zu verhelfen. Auf nationaler wie lokaler Ebene drängen sie die Regierung, öffentliche Konsultation und Neuerungen bei staatlichen Diensten einzuführen, so zum Beispiel Schulen für Kinder und das Management von Viehweiden. Ob sich solche vereinzelten Bemühungen gegen eine weitere Vermarktung, die von der angolanischen Elite und den meisten ausländischen Gebern so vehement befürwortet wird, durchsetzen kann, bleibt abzuwarten.

Angolas Eliten haben innenpolitisch klar das Sagen. Dank der hohen Kaufkraft des Staates zeigen sie zunehmendes Selbstbewusstsein - oder Arroganz, wie manche Inlandskritiker es nennen. Eine Ölproduktion, die Nigeria mittlerweile überholt hat, und die immer noch hohen Ölpreise fordern ein demonstratives Konsumverhalten geradezu heraus. Das hat seine Spuren hinterlassen im Verkehrschaos, in der Hafenüberlastung und in winzigen Apartments mit Monatsmieten von 15.000 US-Dollar. Die Nachfrage hat ein Angebot von prestigeträchtigen Investitionen hervorgerufen: Superautobahnen, Einkaufszentren und bewachtes Wohneigentum.


Im Ausland einkaufen

Staatsfirmen haben eine alte angolanische Praxis wieder aufgenommen - im Ausland einzukaufen. Sonangol, Angolas wichtigster Staatskonzern, ist kürzlich zum größten, wenn nicht zum dominierenden Anteilseigner an portugiesischen Energiekonzernen, Banken und Medienunternehmen geworden. Hier geht es nicht zwingend um maximale finanzielle Ausbeute, nach Ansicht einiger Beobachter reicht der angolanischen Elite Genugtuung darüber, über ihre früheren Kolonialherren in Lissabon zu dominieren. Portugiesische Beamte ihrerseits versäumen es nicht, ihre Dankbarkeit gegenüber ihrer Klientel und Kundschaft aus Angola auszudrücken. Angola ist nach Spanien, Deutschland und Frankreich zum viertgrößten Abnehmer portugiesischer Waren geworden. Angolanische Firmeninteressen strecken indessen ihre Fühler auch auf die DR Kongo, Äquatorialguinea, Gabun und weitere Ziele im Golf von Guinea aus.

Die Banken haben in Angola Überstunden gemacht, um Darlehen und Warenkredite an den Mann zu bringen. Die Chinesen sind hierbei höchst erfolgreich. Der Druck, Kredite aufzunehmen, ist enorm, doch nicht immer wird er befriedigt. Die Hoffnungen der Regierung, auf dem europäischen Kapitalmarkt vier Mrd. US-Dollar aufzubringen - was als bislang größtes Anleihepaket eines afrikanischen Staates südlich der Sahara gilt -, haben sich aufgrund schlechter Ratingwerte vorerst zerschlagen. Vielleicht deshalb hat der IWF 2009 mit einem Kredit über 1,4 Mrd. US-Dollar seinen Fuß in die Türe bekommen. Der Kredit soll die Regierungsreserven abstützen und ein Finanzdefizit abfedern.

Auslandsanleihen und -dienste dienen dem Zweck, ein klassisches hochmodernes, nach außen orientiertes Entwicklungsmodell aufzubauen. Die Armutsbekämpfungsstrategie der Regierung mag bespickt sein mit Begriffen wie soziale Gleichheit und gerechte Verteilung, doch heute ist dieses aufrichtig gemeinte, im Jahre 2005 aber totgeborene Politikpapier still und leise in der Versenkung verschwunden. Verschiedene führende angolanische Entwicklungsexperten wie Fernando Pacheco, Casaltina Abreu und Carlos Figuereido haben die Auffassung verworfen, Angola könnte bis zum Jahre 2015 auch nur eines seiner acht Millenniumsentwicklungsziele erreichen - obwohl sie angesichts der finanziellen Möglichkeiten Angolas alle erreichbar wären, wie Figuereido in dem Beitrag "Angola fica a meio do caminho" (Correio do Patriota, 15. Oktober 2009) anmerkte. Angesichts des (politischen) Gewichts der Entscheidungsträger sei die Aussicht auf eine wirksame Bekämpfung der Armut noch pessimistischer zu bewerten.


Grotesker Optimismus

Die politische Ökonomie von heute gleicht in einiger Hinsicht der Kolonialordnung von gestern: Eine kleine staatliche Elite lenkt in Kooperation mit ausländischen Firmen die Wirtschaft, um ein Entwicklungsmodell voranzutreiben, das den Reichtum nach oben und ins Ausland verteilt. Um öffentliche Unzufriedenheit klein zu halten, nutzt die Elite vom Ausland ausgerüstete Zwangsmethoden und ein Minimum an Sozialdiensten und staatlicher Hilfe. Zur gleichen Zeit untersuchen fortschrittliche Aktivisten aus der in- und ausländischen Zivilgesellschaft die Verbindungen, bringen die Herrschenden mit ihren Enthüllungen in Verlegenheit und ermuntern soziale und intellektuelle Antworten.

In zwei grundlegenden Dingen unterscheidet sich die Situation von heute aber: Erstens bestehen die herrschenden Eliten aus Afrikanern und sind in ihrer Territorialmacht durch Wahlen legitimiert. Zweitens hängt das nationale Wirtschaftsleben heute weit mehr von Konsumenten und Produzenten in reicheren Ländern ab. So paradox es klingt: Die angolanischen Bürgerinnen und Bürger besitzen formal das Wahlrecht wie auch einen informellen Anspruch gegenüber den Machthabern, doch als Konsumenten und Produzenten zählen sie so gut wie nichts. Das Entwicklungsmodell sieht für die meisten von ihnen keinen Platz vor. Die Gleichsetzung von Wirtschaftswachstum und Entwicklung durch die Eliten ist in den Worten von Fernando Pacheco "schmerzhaft und extrem benachteiligend für die Angolaner" (Correio do Patriota, 25. Januar 2009).

Doch wie sieht die Zukunft aus? Einige sagen einen Entwicklungsstaat vergleichbar mit den asiatischen Tigern voraus. Eher zurückhaltend sieht der Mainstream-Ökonom Paul Collier Angola "mit seinem Öl und der Atlantikküste" auf dem Weg zu einem "anderen Malaysia". Andere äußern sich enthusiastischer über die Stärke eine Ökonomie, die "auf dem Gipfel eines real-ökonomischen Aufbruchs" sei, ohne spezifische Szenarien zu beschwören.

Da herrscht also ein grotesker Optimismus, genährt von Aufschwüngen am Ölmarkt. Im heutigen Kapitalismus denkt man ja nur kurzfristig. Doch Experten, die sich auf längerfristige Ziele konzentrieren, erzählen andere Geschichten, nämlich von sinkenden Öleinnahmen. "Da seine wichtigsten Ölfelder ihre Reichweite erreichen", so der Londoner Business Monitor International (14. Dezember 2009), "wird die Produktion wahrscheinlich um 2015 herum ihren Höhepunkt erreichen. Zu diesem Zeitpunkt werden alle seine Leistungsbilanzüberschüsse und Finanzrücklagen mit Sicherheit verschwinden." Kurz, Angolas glänzende Aussichten werden sich bald in Staub auflösen.

Wenn Angola von einer Finanz- und Schuldenkrise betroffen wird, ist eine politische Krise nicht mehr fern. In der städtischen Schicht der Festangestellten, vor allem unter denen, die auf der Gehaltsliste von Staat und Militär stehen, sind die Erwartungen an Lebensstil und Karriere ständig gestiegen. Doch auch mehr am Rande stehende Mitglieder der politischen Klasse und ihre Trittbrettfahrer am Ende der Kette der Patronagezahlungen hegen Erwartungen. Kürzungen solcher Geldflüsse würden die Erwartungen in unangenehmer Weise dämpfen. Einige würde es stärker treffen als andere. Die Grundlage für den Pakt der Eliten wäre dann sehr fragil.

Sollten diese Bündnisse auseinanderbrechen und Unzufriedenheit sich in organisierten Druck ergießen, könnten einige Politiker ihrer mutwilligen Amnesie abschwören und sich wieder auf das fortschrittliche Projekt der MPLA, von dem einst die Rede war, besinnen. Den Wunsch der neuen Bourgeoisie Angolas, ihre Biographien zu beschönigen, hat José Eduardo Agualusa in seiner Erzählung "O Vendedor de Passados" von 2004 ("Der Verkäufer von Vergangenheiten"; deutsch unter dem Titel "Das Lachen des Geckos" im A1 Verlag, München 2008, erschienen) bereits satirisch aufs Korn genommen. Heute stehen die Mitglieder des angeschlagenen, aber belastbaren fortschrittlichen Lagers Angolas vor der Herausforderung, dieses politische Projekt wieder zu beleben.


Der Beitrag von David Sogge, Autor zahlreicher Beiträge zu Angola, Mosambik und anderen afrikanischen Staaten, gehört zu einer Reihe von Aufsätzen, die AfriaFiles seit Mai 2010 unter dem Thema "The Liberation of Southern Africa" ins Netz stellt (www.africafiles.org).


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 3, Juli / August 2010, S. 8 - 11
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2010