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AFRIKA/903: Uganda - Regierung lässt im Krieg geschändete Frauen im Stich, Opfer fordern Rechtshilfe (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. November 2010

Uganda: Regierung lässt im Krieg geschändete Frauen im Stich - Opfer fordern Rechtshilfe

Von Rosebell Kagumire


Kampala, 18. November (IPS) - Anne Grace Nakasi gibt nicht auf. Obwohl die Uganderin HIV-positiv und damit stigmatisiert ist, bewirbt sie sich bei den im Februar anstehenden Lokalwahlen im nordöstlichen Distrikt Soroti um einen Sitz im Bezirksrat von Tubur. Mit politischer Arbeit will sie, die wie viele tausende Frauen während des langen, brutalen Krieges zwischen der ugandischen Armee und den Rebellen der LRA ('Lord's Resistance Army') im Norden und Nordosten des ostafrikanischen Landes geschändet worden war, ihren Leidensgenossinnen zu mehr Gerechtigkeit verhelfen. Von der Regierung in Kampala und von der Justiz fühlt sie sich im Stich gelassen.

Zwischen 1987 und 1990 wurde Nakasi dreimal Opfer von Massenvergewaltigungen. "1987 fielen neun Soldaten einer in meinem Dorf stationierten Patrouille über mich her, bis ich das Bewusstsein verlor", berichtete sie IPS. "Erst in einem Krankenhausbett kam ich wieder zu mir. Dennoch erinnerte ich mich genau an die Täter. Es waren Armeeangehörige."

Nakasi wurde mit HIV infiziert. Die schweren Verletzungen führten zur Ausbildung einer Unterleibsfistel. Von Ehemann und Familie verstoßen, lebte sie viele Jahre allein lang im Busch. Dank verschiedener Hilfsorganisationen überwand Nakasi schließlich ihr Trauma. Seit Jahren engagiert sie sich für die wirtschaftliche Eigenständigkeit von Frauen, kämpft gegen Straflosigkeit, sexuelle Gewalt und gegen die Diskriminierung von HIV-Patienten. Die Unterstützung ihrer Kandidatur für den Bezirksrat ist groß.

Es ist ihr sogar gelungen, einen ihrer Peiniger ausfindig zu machen. "Jetzt sitzt er wegen Vergewaltigung im Gefängnis", berichtete Nakasi. Mit ihrer eigenen Erfolgsgeschichte vom Opfer sexueller Gewalt zur unerschrockenen Aktivistin ist Nakasi allerdings allein.


Schutzlose im Flüchtlingslager

Während des zwei Jahrzehnte, bis 2007 dauernden Bürgerkriegs im nördlichen Uganda waren etwa 1,5 Millionen Menschen von Haus und Hof vertrieben worden. Tausende überlebten den bewaffneten Konflikt nicht. In den für Binnenflüchtlinge errichteten Lagern fanden Frauen keinen Schutz vor sexueller Gewalt. Auch wenn offizielle Zahlen fehlen, so gibt es viele Berichte über Übergriffe von Soldaten und Zivilisten.

Zudem waren und sind die LRA-Rebellen, die 2007 nach Westen in die benachbarte Demokratische Republik Kongo abgedrängt wurden, berüchtigt für ihre Brutalität. Sie verschleppten Kinder und zwangen sie, für sie zu kämpfen. Mädchen wurden als Sexsklavinnen missbraucht.

In einem kürzlich von der ugandischen Regierung gestarteten Wiederaufbauprogramm für die ehemaligen Konfliktregionen ist Hilfe für Opfer sexueller Gewalt nicht vorgesehen. Auch frühere Empfehlungen einer Kommission, die Menschenrechtsverletzungen in Uganda seit der Unabhängigkeit des Landes (1962) bis zum Ende der fünfjährigen Regierung von Milton Obote (1985) untersucht und Entschädigungen für Opfer sexueller Gewalt gefordert hatte, wurden bislang nicht umgesetzt.

Am 9. November veröffentlichte das in Kampala ansässige unabhängige 'Center for Women in Governance' (CEWIGO) einen Bericht und kritisierte darin, dass in Uganda viele sexuelle Übergriffe straflos bleiben. Vergewaltigung ist das am seltensten gemeldete Verbrechen, und in der Ehe gilt sie nicht als Straftat. Nur die Hälfte der angezeigten Vergewaltigungsfälle kam vor Gericht, und nur die wenigsten Täter landeten im Gefängnis.

2009 wurden in Uganda 619 Vergewaltigungsfälle angezeigt und untersucht. In 228 Fällen kam es zu einer Anklage, doch nur fünf Prozent der Täter erhielten eine Strafe. In nur 467 Fällen der mehr als 7.000 Anzeigen wegen Vergewaltigung von Kindern wurden die Täter bestraft.


Eine Frage des Geldes

Maude Mugisha vom CEWIGO kritisierte, dass Anzeigen wegen sexueller Gewalt mit einem kostspieligen, von einem Polizeiarzt ausgestellten Gutachten untermauert werden müssen. Die meisten Familien könnten die Kosten für diese obligatorische Untersuchung, die 15 bis 25 US-Dollar kostet, ebenso wenig aufbringen wie die für den Transport der Polizei zum Tatort. Deshalb einigten sich die betroffenen Familien häufig außergerichtlich mit dem Täter, stellte die Frauenaktivistin fest.

Auch die stellvertretende Parlamentspräsidentin Rebecca Kadaga kritisierte diese Praxis. "Ebenso gut könnte eine Hebamme vor Ort das Opfer untersuchen, das würde weniger kosten", erklärte sie. In Uganda werden Vergewaltigungsprozesse ausschließlich vor Oberen Gerichten geführt, die es nur in fünf Regionen gibt. Für viele Klägerinnen bedeutet dies lange Anfahrtswege. Häufig fehlt am Prozessort auch noch der als Gutachter benötigte Polizeiarzt, so dass sich da ein Verfahren über Jahre hinziehen kann.

Von der Umsetzung der vor zehn Jahren vom UN-Sicherheitsrat verabschiedeten Resolution 1325 zum Schutz von Frauen besonders in Kriegszeiten sei in Uganda bislang nichts auszumachen, klagte Miria Matembe, eine der Gründerinnen des CEWIGO. Besonders in der Region der großen afrikanischen Seen müssten die Frauen die Regierungen stärker unter Druck setzen. "Diese Resolution ist für uns außerordentlich wichtig", erklärte sie. "Wir leben immer noch auf einem Kontinent, auf dem Konflikte auch mit schweren sexuellen Gewalttaten ausgetragen werden." (Ende/IPS/mp/2010)


Links:
http://www.cewigo.org/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=53581


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. November 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2010