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AFRIKA/911: Minister überdenken Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit der EU (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. November 2010

Afrika: Minister überdenken Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit der EU

Von Martin Khor


Genf, 30. November (IPS/IDN*) - Die Handels- und Außenminister Afrikas, die Repräsentanten der ärmsten Region der Welt, sind für eine Revision der umstrittenen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs), zu denen sie von der Europäischen Union gedrängt werden. Wie sie auf zwei Konferenzen im November in Kigali und Brüssel erklärten, sollte die EU vom bisherigen EPA-Kurs abrücken.

Im Rahmen der EPAs ist vorgesehen, dass die afrikanischen Länder ihre Märkte für europäische Produkte, Dienstleistungen und Unternehmen öffnen. Als Gegenleistung stellt ihnen die EU den fortgesetzten zollfreien Zugang zu den europäischen Märkten in Aussicht. Doch die Afrikaner sind zu Recht besorgt, dass ihre kleinen Industrien und Dienstleistungsfirmen dem Wettbewerb europäischer Unternehmen, Banken und Handelfirmen nicht verkraften werden.

So haben afrikanische Farmer bereits ihre Marktanteile an europäische Bauern und deren hoch subventionierten Importen von Hühnerfleisch, Tomaten und anderen Agrarerzeugnissen abtreten müssen. Sollten sie dazu gezwungen werden, ihre Schutzzölle für ihre Agrarprodukte zu verringern oder gar abzuschaffen, hätte dies negative Folgen für ihre Lebenssituation und Ernährungssicherheit.

Die Befürchtungen wurden auf einem Treffen der Handelsminister in der ruandischen Hauptstadt Kigali laut. Durch die EPAs seien die afrikanischen Länder wie zu Kolonialzeiten den EU-Ländern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, hieß es auf der Veranstaltung. Zudem äußerten die Minister in ihrer gemeinsamen Abschlusserklärung ihre "tiefe Sorge" über den Druck, den die Europäische Kommission auf einige Länder und Regionen ausübe, um sie zur Unterzeichnung des Abkommen zu bewegen.


Am liebsten weg von den EPAs

Darüber hinaus veröffentlichten die Kommission der Afrikanischen Union und die regionalen Wirtschaftsgemeinschaften des östlichen, zentralen, westlichen und südlichen Afrikas ein Positionspapier, in dem sie die vielen Probleme aufführten, die den Ländern der Region durch die EPAs entstehen. Auch unterbreiteten sie Vorschläge, wie sie sich im Hinblick auf die EPAs am besten aus der Affäre ziehen könnten.

Der wachsende Widerstand gegen die EPAs ist die bisher letzte Etappe einer Entwicklung, die ihren Anfang nahm, als die langjährigen Arrangements aus der Kolonialzeit, die den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP) besondere Handelspräferenzen einräumten, ihr Ende nahmen. Unter den alten Bedingungen waren die AKP-Staaten nicht dazu verpflichtet, den Europäern Sonderkonditionen einzuräumen.

Im Rahmen des Cotonou-Abkommens von 2000 und eines Zugeständnisses, das die Länder der Welthandelsorganisation (WTO) auf der Doha-Konferenz 2001 abtrotzten, wurde den AKP-Staaten bis Ende 2007 Handelspräferenzen gewährt. Danach sollten die EPAs greifen, die für eine Kontinuität der Vorzugsbedingungen sorgen sollten.

Doch die EPAs folgen, anders als die früheren Arrangements zwischen Europa und den AKP-Staaten, dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Sie sehen vor, dass die AKP-Staaten ihre Importregelungen lockern und ihre Märkte für europäische Dienst-, Finanz-, Investitionsleistungen öffnen. Die karibischen Staaten haben bereits ein umfassendes EPA mit der EU 2008 unterzeichnet, das all diese Komponenten beinhaltet.

Doch die afrikanischen Staaten sind zurückhaltender. So haben sich erst zehn auf ein Interims-EPA für Waren eingelassen. Neun weitere Länder stehen in Verhandlungen über ein ebenso reduziertes Abkommen. Insgesamt sind 47 afrikanische Staaten von den EPAs betroffen, doch keine einzige Regierung ist ein umfassendes EPA - also inklusive Dienstleistungen, Investitionen, Wettbewerb und staatliche Auftragsvergabe - eingegangen.


K.O. durch EU-Konkurrenten

Zunächst fürchten die afrikanischen Staaten, dass ihre eigenen Industrien und ihre Landwirtschaft Schaden erleiden, weil ihnen die EPAs eine Abschaffung der Zölle für 80 Prozent aller EU-Importe abverlangen. Etliche lokale Produkte könnten sich gegen die Importware nicht behaupten oder würden Marktanteile einbüßen.

Zudem stören sich die afrikanischen Länder an vielen anderen, in den EPAs vorgesehenen Handelsbedingungen wie dem Verbot oder der Einschränkung von Exportsteuern. Die meisten Staaten erheben auf einige ihrer Rohstoffe Exportsteuern, die lokale Unternehmen befähigen sollen, ihre Rohstoffe industriell weiterzuverarbeiten und somit einem Mehrwert zu schaffen. Der Verlust der Import- und Exportzölle würde sich zudem im Etat der Regierungen niederschlagen.

Drittens wären die afrikanischen Staaten gezwungen, ihre Dienstleistungen - vom Telekommunikations- über den Einzelhandel bis zum Bankensektor - für europäische Firmen zu öffnen. Gerade die kleinen afrikanischen Anbieter fürchten jedoch von den großen europäischen Unternehmen vom Markt verdrängt zu werden.

Viertens verlangen die EPAs die Liberalisierung und die Deregulierung von Finanzflüssen und Investitionen. Diese Auflagen würden den Ländern die Möglichkeit nehmen, die Kapitalflüsse zu regulieren, was angesichts deren Volatilität durchaus sinnvoll ist.

Fünftens würden die EPAs europäische Firmen afrikanischen Unternehmen gleichstellen, wenn es um den Zugang zu afrikanischen Aufträgen geht. Dadurch würde die Regierung ihrer Möglichkeit beraubt, lokalen Firmen beim Kauf von Gütern und Dienstleistungen oder bei der Vergabe von Aufträgen und Projekten den Vorrang zu geben. Mit den EPAs ginge somit ein wichtiger Stimulus verloren, die staatlichen Ausgaben zur Ankurbelung der einheimischen Wirtschaft vor allem in Zeiten des ökonomischen Niedergangs zu nutzen.

Ferner befürchten die Afrikaner, dass sich die EPAs negativ auf die regionalen Integrationsbemühungen auswirken könnten. Der Handel zwischen den afrikanischen Ländern würde so zum Teil auf europäische Güter und Dienstleistungen ausgeweitet. Die EPA-Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission und den subregionalen Blöcken Afrikas könnte zudem die regionale Konstellation verrändern.


Zahlungsbilanzprobleme und Einbußen

Ferner würden sich die EPAs nachteilig für afrikanische Länder in globalen Krisenzeiten auswirken. Ihre Handelsbilanz mit Europa würde aller Voraussicht nach leiden und einigen Staaten erhebliche Zahlungsbilanzprobleme verursachen. Die Verringerung und Eliminierung der Zölle schmälert die staatlichen Einkünfte, ihre Fähigkeiten, Kapitalflüsse zu regulieren und sich auf die heimische und regionale Nachfrage auswirken.

* Der von 'Global Cooperation Council' und 'Globalom Media' erstellte Informations- und Analysendienst IDN-InDepthNews ist Partner von IPS-Deutschland. Martin Khor ist Geschäftsführer des 'South Centre' mit Sitz in Genf. (Ende/IPS/kb/2010)


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 30. November 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2010