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AFRIKA/943: Äthiopien - Landraub im großen Stil, Regierung soll Entwicklungshilfe überdenken (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Januar 2011

Äthiopien: Landraub im großen Stil - Regierung soll Entwicklungshilfe überdenken

Von Karina Böckmann


Berlin, 10. Januar (IPS) - Angesichts anhaltender Menschenrechtsverletzungen in Äthiopien hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) an die Bundesregierung appelliert, ihre Entwicklungshilfe für das ostafrikanische Land zu überdenken. Sie forderte Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel auf, bei seinem Äthiopien-Besuch vom 11. bis 14. Januar die geplante Umsiedlung von 225.000 Ureinwohnern zur Sprache zu bringen, deren Land an internationale Investoren verpachtet wurde.

Im Verlauf des Jahres sollen in der Region Gambella im Südwesten des christlich geprägten Vielvölkerstaates drei Viertel der 300.000 Bewohner einschließlich 60.000 indigene Anuak - die gesamte ethnische Gruppe - und 100.000 Nuer in 49 neue Dörfer 'umziehen'. Nach Angaben der lokalen Behörden findet die Umsiedlung auf freiwilliger Basis statt. Doch ein Anuak, der die Pläne im Dezember 2010 gegenüber dem Radiosender 'Voice of America' kritisierte hatte, wird inzwischen von den Behörden gesucht, wie Vertreter der Anuak berichteten. Darüber hinaus kamen mindestens zehn Bauern bei Landkonflikten in den vergangenen Monaten ums Leben.

Die Lokalbehörden hatten den Bauern eine bessere Versorgung mit Krankenhäusern und Schulen in Aussicht gestellt. Doch diese Begründung hält die GfbV für unglaubwürdig, zumal Dörfer, in denen Kliniken und Schulen existierten, zerstört worden sind.


Ausverkauf riesiger Landflächen

Mit der Umsiedlung im fruchtbaren Tiefland soll Platz geschaffen werden für neue Reis-, Weizen- und Zuckerrohrplantagen indischer und saudi-arabischer Firmen. Das indische Unternehmen Karaturi Global will in der Region auf 300.000 Hektar Weizen anbauen. An die indische Firma BHO Agro wurden 27.000 Hektar und an den indischen Ruchi-Konzern 25.000 Hektar verpachtet. Das saudiarabische Unternehmen Saudi Star sicherte sich 10.000 Hektar, heißt es in einer Mitteilung von GfbV vom 10. Januar.

In den kommenden fünf Jahren soll eine Fläche in der Größe Belgiens an ausländische Agrarkonzerne verpachtet werden. Rund 750.000 Menschen droht die Umsiedlung. Auch die bayerische Firma Acazis AG hat nach eigenen Angaben 56.000 Hektar im Osten Äthiopiens für den Anbau von Energiepflanzen gepachtet und sich für weitere 200.000 Hektar Konzessionen gesichert.

"Wenn Niebel Afrika als 'Chancenkontinent' bezeichnet, kann dies nicht für die äthiopischen Bauern gelten, denn der Landraub ist ein Generalangriff auf die ländliche Bevölkerung", sagte Delius gegenüber IPS. "Er birgt für die Betroffenen nur die 'Chance' zum Untergang." Äthiopiens Regierung warf er vor, für die Besserung der Handelsbilanz die traditionellen Landrechte der Indigenen zu ignorieren.

Doch auch generell ist es mit den Menschenrechten in Äthiopien schlecht bestellt. So beklagt Amnesty International seit Jahren schwere Verstöße durch die Regierung von Premierminister Meles Zenawi und seiner EPRDF ('Ethiopian People's Revolutionary Democratic Front').

Zenawi war einer der führenden Kräfte, die 1991 die 17-jährige marxistisch-leninistische Herrschaft von Präsident Mengistu Hailemariam gewaltsam beendeten. Doch trotz der Einführung eines Mehrparteiensystems und der in der Landesverfassung von 1994 verankerten Menschenrechte wird die Arbeit von Oppositionellen und Menschenrechtlern erbarmungslos unterdrückt.


Hilfsgelder als Druckmittel

Dies geschieht auch mit Hilfe der Entwicklungshilfe. Denn wie die internationale Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) in einem im Oktober 2010 veröffentlichten Bericht anprangerte, werden internationale einschließlich deutsche Hilfsgelder zweckentfremdet, um politische Gegner gefügig zu machen.

Äthiopien gehört zu den ärmsten Länder der Welt. Die Hälfte der 85 Millionen Einwohner lebt unterhalb der Armutsgrenze. Das ostafrikanische Land ist nach Indonesien der größte Hilfsempfänger der Welt - Irak und Afghanistan ausgenommen - und wird von Gebern wie Weltbank, USA, Europäische Kommission und Großbritannien und Deutschland mit insgesamt drei Milliarden US-Dollar unterstützt.

Die Gelder würden jedoch politisch instrumentalisiert, um die Vormachtstellung der EPRDF zu sichern, heißt es in dem HRW-Bericht 'Development without Freedom: How Aid Underwrites Repression in Ethiopia'. Dem Report liegen die Aussagen von mehr als 200 Menschen in 53 Dörfern in drei äthiopischen Regionen und in der Hauptstadt Addis Abeba zugrunde.

2005 hatte die Regierung Unruhen im Anschluss an die Parlamentswahlen gewaltsam niedergeschlagen. Dabei wurden mehr als 200 Menschen getötet und etwa 30.000 Demonstranten, darunter Dutzende Oppositionspolitiker, verhaftet. Damals setzten die Weltbank und andere Geber ihre direkten Finanzhilfen an die äthiopische Regierung vorübergehend aus.

Doch wenig später wurde die Hilfe im Rahmen eines neuen Programms zur 'Sicherung grundlegender Leistungen' wieder aufgenommen. Die finanziellen Mittel wurden direkt an die Bezirksregierungen vergeben, die wie die Zentralregierung jedoch unter der Kontrolle der EPRDF stehen.

"Beamte auf lokaler Ebene verweigern Oppositionellen und Bürgerrechtlern routinemäßig staatliche Hilfen, selbst wenn sie in ländlichen Gebieten leben und dringend Lebensmittel benötigen", protestierte HRW. " Um Schulkinder mit der Ideologie der Regierungspartei zu indoktrinieren, Lehrer einzuschüchtern und den Staatsdienst von Menschen mit unabhängigen politischen Ansichten zu säubern, missbraucht die Regierung Capacity-Building-Programme, die durch Gelder aus dem Ausland finanziert werden und für die Entwicklung des Landes förderliche Handlungskompetenz vermitteln sollen."


Geber sollen Vorwürfe prüfen

HRW warf den Geberstaaten vor, "in ihrem Eifer, Fortschritte in Äthiopien zu vermelden, die Augen vor der Unterdrückung zu verschließen, die sich hinter den Statistiken verbirgt". Geberländer, die den äthiopischen Staat finanzieren, müssten der Tatsache ins Auge blicken, dass ein Teil ihrer Hilfen zu Menschenrechtsverletzungen beitrage.

In einem Schreiben Ende Dezember an die 'Development Assistance Group', eine Koordinierungsstelle von 26 ausländischen Institutionen, die in Äthiopien Entwicklungshilfe leisten, rief HRW die Geber auf, eine unabhängige Untersuchung des Missbrauchs von Hilfsgeldern durch die äthiopische Regierung durchzuführen. "Die Geberländer tragen nicht nur gegenüber den Steuerzahlern im eigenen Land, sondern auch gegenüber den hilfsbedürftigen Menschen in Äthiopien die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Hilfe nicht zu Menschenrechtsverletzungen beiträgt." (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.gfbv.de/pressemit.php?id=2532
http://www.hrw.org/node/93605
http://www.hrw.org/en/news/2010/12/17/ethiopia-donors-should-investigate-misuse-aid-money

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. Januar 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Januar 2011