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AFRIKA/969: Wie immer doch anders - Wahlen in Tansania (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 5/6, November/Dezember 2010

Wie immer doch anders
CCM einmal mehr Wahlsieger in Tansania

Von Richard Whitehead


Am 30. Oktober 2010 wurden in Tansania zum vierten Mal Wahlen in einem Mehrparteiensystem durchgeführt. Ähnlich wie bei den Wahlen von 1995, 2000 und 2005 hat die regierende CCM die Oppositionsparteien in die Schranken gewiesen und sich als dominierende Kraft in Legislative und Exekutive behauptet. Dennoch zeichnen sich neue Trends auf der politischer Ebene in Tansania ab.


Wie in den früheren Wahlkämpfen hat die Chama Cha Mapinduzi (CCM) sich auch 2010 als "Verteidigerin der Nation" und als Bollwerk gegen "Unordnung und Chaos", in die Tansania bei einem Sieg der Opposition stürzen würde, herausgestellt. Die Opposition dagegen führte die Korruption und eine verfehlte Entwicklung ins Feld, wofür sie die Regierungspartei verantwortlich machte. Wie diese wechselseitigen Vorwürfe das gängige Muster vorheriger Wahlen wiederholten, so glichen sich auch die Aussagen nationaler und internationaler Wahlbeobachter in der Beurteilung des Wahlprozesses. Sie reichten von "frei und fair" über "frei, aber nicht fair" bis hin zu den ausweichenden Antworten "ruhig" und "friedlich". Kurz und gut - die Partei, die seit der Unabhängigkeit Tansania regiert, hat es wieder einmal geschafft, ihre dominante - manche nennen es hegemoniale - Position zu behaupten und gleichzeitig ein vernichtendes internationales Urteil zu vermeiden.

Und doch haben sich die Wahlen in diesem Jahr radikal von jenen von 2000 und 2005 unterschieden. Bei der Auszählung der Stimmzettel konnte die führende Oppositionspartei Chama Cha Demokrasia na Maendeleo (Chadema) bemerkenswerte Zugewinne verzeichnen. Der Kandidat der CCM, Amtsinhaber Jakaya Kikwete, konnte 2010 zwar mit einem beeindruckenden Vorsprung von 35,7 Prozent die Präsidentschaftswahlen für sich vor seinem Konkurrenten Dr. Wilbrod Slaa von der Chadema entscheiden, doch bei seiner ersten Wahl 2005 hatte Kikwete noch einen Vorsprung von 68,6 Prozent. Sein Vorgänger Benjamin Mkapa erzielte 1995 bei den ersten Präsidentschaftswahlen mit Gegenkandidaten einen Vorsprung von knapp 56 Prozent.


Opposition mobilisiert Jugendliche

Der Herausforderer hat es geschafft, der dahin siechenden Opposition neues Leben einzuhauchen und bei diesen Wahlen die politische Landschaft in vielen städtischen Gebieten zu verändern. Damit gelang es ihm, die Grenzen der Regierungspartei aufzuzeigen, die es sich bequem eingerichtet hatte und ein Abonnement auf Wahlsiege zu haben schien.

Auch andere Entwicklungen können als Zeichen für eine stärkere Konkurrenz auf politischem Feld gewertet werden. Man muss sich allerdings davor hüten, diese ersten Tendenzen schon als Kurs auf eine vertiefte Demokratisierung zu interpretieren.

Eine dieser Tendenzen, die für die CCM bei den nächsten Wahlen 2015 eine Herausforderung bedeuten könnten, ist die wachsende Bedeutung der Jugend. Nach den Zählungen des staatlichen Statistikamtes sind 31 Prozent der Bevölkerung zwischen 20 und 40 Jahre alt. Nur 18 Prozent erinnern sich an die Euphorie, die bei der Unabhängigkeit herrschte. Die hohe Wahlbeteiligung der Jugend hat zum Zugewinn der Chadema beigetragen. Der Kampf um die Stimmen der Jugendlichen wird mit Sicherheit die Themen des Wahlkampfs 2015 bestimmen. Die CCM wird dann zusätzlich mit internen Konkurrenzkämpfen um die Nachfolge Kikwetes beschäftigt sein, der nach zwei Amtsperioden nicht mehr kandidieren kann. Eine weitere Tendenz, die sich bei den diesjährigen Wahlen abzeichnete, hängt damit zusammen. Internet und soziale Medien ganz allgemein gewinnen zunehmend an Bedeutung. Jamii Forum, Facebook und Twitter werden immer stärker genutzt, um sich auch über Politik und Informationen über Wahlen auszutauschen. Diese neuen Möglichkeiten sind den Oppositionsparteien, besonders der Chadema, zugute gekommen. So hat beispielsweise ein online-Wahlumfrage eine hohe Beteiligung verzeichnet. Slaa lag danach mit 60 Prozent vor Kibaki. Das zeigt, dass die Opposition in bestimmten gesellschaftlichen Sektoren einen hohen Zulauf hat. Und es sind sicherlich die jüngeren Leute, die dieses neue Medium nutzen und ein Votum für die Opposition abgegeben haben. Zu den Internet-Nutzern gehören auch bestimmte Berufsgruppen in städtischen Gebieten. Auch diese dürften mehrheitlich zur Opposition neigen.

Und schließlich zeigt diese Wahl 2010, dass die auf wechselseitigem Nutzen gegründeten Beziehungen zwischen der regierenden CCM und der reichen Geschäfts- und Unternehmerklasse zu bröckeln beginnen. Bei allen bisherigen Wahlen im Mehrparteiensystem konnte man feststellen, dass die CCM sich erfolgreich als "Wächterin der nationalen Einheit" präsentieren konnte und damit wie durch Vorzugsbehandlung die Wirtschaftselite an sich binden konnte. Diese Beziehungen wurden auch über eine hohe Korruption geschmiert. Die Opposition hat diese Korruption zum Thema gemacht und im Wahlkampf die größten Skandale veröffentlicht. Die Bande zwischen Regierungspartei und Wirtschaft lockern sich aber auch deshalb, weil die Wirtschaft die Zeichen erkannt hat und ihr parteipolitisches Netzwerk zu erweitern beginnt. So spendete etwa im Juli 2010 Mustafa Jaffar Sabodo, einer der größten Magnaten, der Chadema 100 Mio. Tanzania-Shilling (ca. 50.000 Euro). Bis dahin hatte er ausschließlich die CCM unterstützt.

Diese drei Trends zeigen, dass es der Opposition gelungen ist, neue Adressaten und Netzwerke zu erreichen und auszubauen. Die wachsende Kraft der Opposition könnte auch die regierende CCM stärker dazu anhalten, sich ernster mit "guter Regierungsführung" und "Rechenschaftsablegung" zu befassen.


Hohe Wahlenthaltung

Es gibt allerdings kaum Anlass, von diesen Trends auf den Beginn eines demokratischen Prozesses zu schließen. Dagegen spricht als erstes die geringe Wahlbeteiligung. Nur 42,8 Prozent der registrierten Wahlberechtigten sind zu den Urnen gegangen, ein drastischer Einschnitt gegenüber der Beteiligung von 76,7 Prozent bei den Wahlen 1995, von 84,4 Prozent 2000 und 72,5 Prozent 2005. Die Gründe für die niedrige Wahlbeteiligung sind unklar. Im Jamii-Forum reichen die Spekulationen von mangelhafter Wahlorganisation bis hin zur Resignation weiter Bevölkerungsteile, die seit Einführung des Mehrparteiensystems keine Verbesserung ihre Situation erkennen können. Die hohe Wahlenthaltung muss als ein Schritt weg von mehr Demokratie gewertet werden, vor allem dann, wenn sie Unzufriedenheit und Entfremdung reflektiert.

Überall in Afrika fehlt es - jenseits von allgemeinen Versprechen liberalerer Demokratie - den Parteien oft in hohem Maß an der Fähigkeit, breite soziale Bedürfnisse zu artikulieren und in Politik umzusetzen. Werden in den Wahlkämpfen noch zentrale Themen aufgegriffen, versäumen es die Parteien und Politiker zwischen den Wahlen ganz allgemein, dauerhaft Verbindungen zu halten zu jenen, die kein Geld haben und den Politikern nichts zu bieten haben. Das ist nicht nur ein Problem in Afrika. Doch hier auf diesem Kontinent wirken hochgradige Armut und eine überproportionale Einflussnahme auswärtiger Mächte auf die internen Angelegenheiten ein. So hat sich zwischen neuen oder schon lange regierenden Parteien und den verarmten Massen ein tiefer Graben aufgetan, der ein Hindernis für eine vertiefte Demokratie bildet.

Diese Trennung spielt auch in Wahlkämpfen eine Rolle, in denen die Parteien darum konkurrieren, den Ton der Spender zu treffen, um ihre Wahlkampfkassen zu füllen. Der Spagat zwischen enormem Reichtum und verbreiteter Armut verleitet zu Lippenbekenntnissen an die Adresse derer, die nichts haben, während die reale Politik die Interessen der Wirtschaftseliten bedient.

Wie Wahlen in Nachbarstaaten Tansanias zeigen, ist Parteienkonkurrenz in Staaten mit extremen sozialen Ungleichheiten keine gute Voraussetzung für eine Demokratie im Dienste der Mehrheit. Regierungsparteien wie die Movement for Multi-Party Democracy (MMD) in Sambia oder die Party of National Unity (PNU) in Kenia sehen sich durchaus harter Konkurrenz ausgesetzt, es bleibt aber höchst fraglich, ob sich diese Konkurrenz auch zugunsten der breiten Bevölkerung auswirkt. Diese Frage wurde kürzlich in einem Artikel der Tageszeitung The East African aufgegriffen, der das politische Umfeld in Tansania als einen Wettbewerb der Eliten um die Früchte des Sieges beschrieb, während die breite Mehrheit der tansanischen Bevölkerung aus dem politischen Prozess ausgeklammert würde.


Neue Medien und Demokratie

Diese Kluft zwischen einer breiten Beteiligung der Bürger an der Macht auf der einen Seite und den Wettbewerbsbedingungen in einem Mehrparteiensystem auf der anderen lässt sich auch in den neuen Medien ablesen. Ohne Zweifel stellen diese neuen Foren eine demokratische Macht dar, indem sie den Austausch von Meinungen und Informationen unter den Bürgerinnen und Bürgern fördern und auch sozialen Bewegungen im Kampf gegen Missbrauch von Menschenrechten eine Plattform bieten. Doch dabei darf man nicht außer acht lassen, dass die Nutzung der neuen Medien in weiten Teilen Afrikas nur einem kleinen, wenn auch einflussreichen Teil der Bevölkerung vorbehalten ist. Nach Angaben der International Telecommuncation Union (ITU) haben nur 520.000 Tansanier - 1,3 Prozent der Bevölkerung - das Internet wenigstens einmal im Jahr 2008 genutzt. 31 Prozent der Bevölkerung haben nach den ITU-Daten einen Handy-Vertrag abgeschlossen, doch nur ein kleiner Teil von ihnen dürfte die Verbindung für Internet-Foren nutzen. Dieser Trend wird sich auf absehbare Zeit kaum dramatisch verändern.

Es liegt mir fern, angesichts der Verhältnisse in Tansania abzustreiten, dass mehr Wettbewerb auf parteipolitischem Feld unterm Strich auch mehr realen Nutzen bringt. Allein schon, dass die konkurrierenden Parteien sich mit Argusaugen beobachten, setzt die Parteien unter Druck, kritische Punkte wie Korruption ernsthafter zu thematisieren. Neue Medien öffnen - lässt man mal die erwähnte extreme Armut und Ungleichheit der Einkommen beiseite - Wege, trotz allem gesellschaftliche Teilnahme und Einflussmöglichkeiten zu verbreitern.

Wettbewerb unter politischen Akteuren kann durchaus eine stärkere Einbeziehung ärmerer Bevölkerungsschichten mit sich bringen. Wo jedoch Armut überwältigend ist und die Ressourcen auf einige wenige beschränkt bleiben, mag man sich fragen, wie lange eine solche Einbeziehung anhalten wird. Angesichts der gegebenen Verhältnisse und Asymmetrien in Tansania können die letzten Wahlen für sich nicht als ein Beleg für eine Bewegung hin zu mehr Demokratie gewertet werden, die für das tägliche Leben der Tansanierinnen und Tansanier von Belang ist.


Der Autor hat vergleichende Politik studien und sich vor allem mit politischen Parteien und Wahlen in Ostafrika beschäftigt. Er arbeitet als freiberuflicher Gutachter und Berater.
Quelle: Pambazuka News 505, 18.11.2010


*


Präsidentschaftswahlen in Tansania
KANDIDAT FESTLAND

STIMMANTEIL 2005  
STIMMANTEIL 2010   
Jakaya Kikwete (CCM)
80,23  
62,8   
Ibrahim Lipumba (CUF)
11.61  
8,3   
Freeman Mbowe (CHADEMA)
5,92  

Willibrod Peter Slaa (CHADEMA)
-   
27,1   
Sonstige
2,1   
1,78  

KANDIDAT SANSIBAR


STIMMANTEIL 2005   

STIMMANTEIL 2010   
Amani Abeid Karume (CCM)
53,2   
-   
Seid Sharif Hamad (CUF)
46,1   
49,14  
Dr. Ali Mohammed Shein (CCM)
-   
50,11  

Parlamentswahlen in Tansania
Partei
Sitze 2005
Sitze 2010
Chama Cha Mapinduzi (CCM)
206   
180   
Civic United Front (CUF)
19   
24   
Chama Cha Demokrasia na
Maendeleo (CHADEMA)
5   

22   

Tanzania Labour Party (TLP)
1   
1   
United Democratic Party (UDP)
1   
1   
National Convention for
Construction and Reform-
Mageuzi (NCCR-Mageuzi)
-   


4   


Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung


*


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 5/6, November/Dezember 2010, S. 42 - 43
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
E-Mail: issa@comlink.org
Internet: www.issa-bonn.org

"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
Jahresabonnement Euro 35,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2011