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ASIEN/634: Indien - Umstrittener Plan für Zensus, Bevölkerung soll nach Kasten erfasst werden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. August 2010

Indien: Umstrittener Plan für Zensus - Bevölkerung soll nach Kasten erfasst werden

Von Ranjit Devraj


Neu-Delhi, 19. August (IPS) - In Indien hat die von der Kongresspartei geführte Regierungskoalition mit der Forderung, bei der laufenden Volkszählung auch die Kastenzugehörigkeit der Bürger zu erfassen, eine heftige Kontroverse ausgelöst. Die Gegner wollen nun erreichen, dass der Plan erst von einem Parlamentsausschuss aus Vertretern aller Parteien geprüft wird.

Seit 1931 hat das Kastenwesen bei Volkszählungen auf dem Subkontinent keine Rolle mehr gespielt. Auch verbietet die 1950 verabschiedete Verfassung eine auf das Kastenwesen beruhende Diskriminierung. Doch im gesellschaftlichen und politischen Alltag Indiens hat die Kastenhierarchie mit den Priestern (Brahmanen) an der Spitze und den Handwerkern und Tagelöhnern (Shudras) am unteren Ende der Skala bis heute große Bedeutung. Das gilt vor allem für die ländlichen Regionen, wo etwa 70 Prozent der rund 1,2 Milliarden Inder leben.

Die meisten Ehen finden nach wie vor unter Mitgliedern derselben Kaste statt, und die Zeitungen veröffentlichen Heiratsanzeigen nach Kasten getrennt. Jungen Paaren, die sich dieser Tradition widersetzen, droht die gesellschaftliche Ächtung. Im schlimmsten Fall werden sie Opfer von Ehrenmorden.

Parteien machen sich diese Form der sozialen Diskriminierung häufig politisch zunutze. In einigen Regionen identifizieren sie sich gar mit bestimmten Kasten. So sprechen die Samajwadi-Partei (SP) aus dem nördlichen Bundesstaat Uttar Pradesh und die Partei Rashtriya Janata Dal (RJD) im östlichen Staat Bihar jeweils gezielt Mitglieder einer Kaste an.

Der SP-Vorsitzende Mulayam Singh Yadav und Lalu Prasad Yadav von der RJD umwerben die Yadav-Kaste, der vorwiegend Bauern angehören. Diese Kaste ist allerdings nicht so scharf wie andere nach oben hin abgegrenzt. Beide Politiker haben in ihren Staaten bereits wichtige Ministerämter bekleidet.


Strategische Allianzen

Die SP und die RJD befürworten vehement, dass die Kasten bei der Volkszählung berücksichtigt werden. Sie unterstützen damit das Parteienbündnis 'United Progressive Alliance' (UPA), das die von der Kongress-Partei geführte Zentralregierung trägt. Sie werfen der Kongresspartei allerdings vor, ihr Vorhaben zu zögerlich voranzutreiben. Die Minister, die mit der Ausarbeitung des Plans betraut sind, argumentieren jedoch, dass zunächst alle nötigen Angaben über die Zahl der Kastenangehörigen erhoben werden müssten.

So steht bisher beispielsweise nicht fest, wie viele Menschen zu den sogenannten 'unterentwickelten Klassen' ('other backward classes' ) gehören. Die meisten von ihnen sind der Sudra-Kaste der Dienstboten zuzurechnen. Unterschiedliche Schätzungen reichen von 40 bis 60 Prozent des Gesamtbevölkerung Indiens. Große Kasten wie die Yadav fallen darunter.

Die Mitglieder der OBC müssten so rasch wie möglich gezählt werden, damit Unstimmigkeiten beseitigt werden könnten, sagte der Bevölkerungsforscher Yogendra Yadav vom 'Centre for the Study of Developing Societies' in Neu-Delhi. Da diese Gruppen politisch und juristisch anerkannt seien, hätte die Zählung ihrer Mitglieder bereits beim letzten Zensus 2001 stattfinden müssen.

Zu den erklärten Gegnern der Volkszählungsreform gehört die Gruppe 'Sabal Bharat' (Starkes Indien), in der sich einflussreiche Persönlichkeiten zusammengeschlossen haben. Saal Bharat fordert den Plan so lange zu verschieben, bis er von einem Parlamentsausschuss aus Vertretern aller Parteien geprüft worden ist. Meinungen von Juristen, Demografen, Politikern und Wissenschaftlern sollten dabei berücksichtigt werden.


Folgen für kommende Generationen

Mit der Angelegenheit dürfe sich nicht nur eine kleine Gruppe von Politikern befassen, die zurzeit im Parlament das Sagen hätten, meinte der Gründer von Sabal Bharat, Ved Prasad Vaidik, im Gespräch mit IPS. Die Folgen würden schließlich auch kommende Generationen betreffen. Den großen Parteien gehe es im Moment aber nur darum, sich die Unterstützung vieler Wähler zu sichern.

Die Kongress-Partei und ihre stärkste Rivalin, die pro-hinduistische Bharatiya-Janata-Partei (BJP), konnten in den vergangenen zwei Jahrzehnten keine nennenswerte Unterstützung in Uttar Pradesh und Bihar finden, wo insgesamt 273 Millionen Menschen leben. Umso nötiger brauchen sie den Rückhalt der SP und RJD, die ihnen dort Zugang zu neuen Wählergruppen eröffnen könnten. (Ende/IPS/ck/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2010