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ASIEN/646: Afghanistan - Erschwerte Berichterstattung vor den Wahlen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. September 2010

Afghanistan: Schließungen und Verbote - Erschwerte Berichterstattung vor den Wahlen

Von Ashfaq Yusufzai


Peshawar, Pakistan, 3. September (IPS) - Gute Nachrichten kommen selten aus Afghanistan, daran hat sich im Schlussspurt vor den Parlamentswahlen am 18. September nichts geändert. Und die Journalisten, die die guten Nachrichten vermelden könnten, sehen sich in der Arbeit behindert. So wurde erst im Juli wieder ein TV-Sender geschlossen. Kein Einzelfall, aber möglicherweise ein gefährlicher Präzedenzfall. Das Ende von 'Emroz TV' zeigt nach Ansicht vieler Berichterstatter, wie es die Regierung Karsai mit der Meinungsfreiheit wirklich hält.

Emroz TV wurde Ende Juli vom Netz genommen, angeblich, weil es gegen das Gesetz verstoßen hatte. "Die Schließung selbst verstieß gegen geltendes Recht", meint dazu der Medienexperte Sediqullah Tawhidi. "Die Staatsanwaltschaft hätte eingehend ermitteln und Beweismittel sammeln müssen, dann hätte ein Gericht entscheiden sollen", so der Leiter des 'Media Watch'-Büros in Kabul. "Dann hätten wir nichts einzuwenden."

So aber habe Emroz TV noch nicht einmal die Chance erhalten, sich gegen die Vorwürfe des Kultur- und Informationsministeriums und der Staatsanwaltschaft zu verteidigen. Der Ministerrat (Kabinett) hatte die Schließung am 27. Juli angeordnet. Er war "Staatanwalt, Richter und Polizei in einer Instanz, das steht nicht im Einklang mit der Verfassung", so Tawhidi.

Gleichzeitig verbot die Regierung die Programme 'Del und Nadel' und 'Bazi Bakhat', die auf zwei anderen Programmen liefen. Die politischen Diskussionsformate wurden für "unislamisch" befunden, ohne dass bisher eine Erläuterung erfolgte.


Spaltungsvorwurf

Die Vorwürfe gegen Emroz sind noch nebulöser. Der stellvertretende Informationsminister Jalal Norani sagt im Interview, der Sender habe "religiöse Zweitracht genährt und religiöse Probleme geschaffen". Präsident Hamid Karsai wird mit dem Vorwurf des "Staatsverrats" zitiert. "Als Afghane und als Präsident sehe ich es als meine Pflicht, die nationale Einheit zu schützen, die die Afghanen unter den schwierigsten Umständen und unter großen Kosten bewahrt haben", so Karsai.

Angesichts einer klaren Stellungnahme der Regierung gehen viele Journalisten und Beobachter in Afghanistan davon aus, dass Emroz vor allem wegen seiner klaren Anti-Iran- und Anti-Schia-Position geschlossen wurde. Der Sender hatte Vizepräsident Karim Khalili, den einflussreichen schiitischen Geistlichen Scheich Asif Mohseni und einen Parlamentsabgeordneten als Agenten des Iran bezeichnet.


Keine Anhörung

Der Besitzer der Station sitzt ebenfall im Parlament. Najibullah Kabuli hat immer wieder gegen Iran-freundliche Kräfte in der afghanischen Führung agitiert. "Seit zwei Jahren arbeiten wir gegen die pro-iranische Politik der Regierung", sagt er. "Das hat schließlich zu unserem Verbot geführt." Die Schließung des Senders sei auf Betreiben der iranischen Botschaft in Kabul zustande gekommen, sagt Kabuli - ein Vorwurf, den die Botschaft zurückweist.

Kabuli aber will nicht klein beigeben. "Ich bin Parlamentsabgeordneter. Ich vertrete eine Partei. Ich bin Kabuler, kein Terrorist. Als das Kabinett seinen einsamen Entschluss fasste, hätte es wenigstens meine Sicht der Dinge hören müssen."

Auf seiner Seite weiß er 'Reporter ohne Grenzen'. Die Organisation hat die Schließung von Emroz ebenso verurteilt wie das Verbot der beiden Programme. "Die Regierung darf unter keinen Umständen gegen das Medienrecht verstoßen, das dem Medienausschuss die alleinige Entscheidungshoheit gibt, wenn ein Medium mutmaßlich gegen Gesetze verstößt." 'Reporter ohne Grenzen' fordert die Regierung Karsai auf "die Entscheidung zurückzunehmen und sich niemals wieder in Sendeinhalte afghanischer TV-Kanäle einzumischen".


Medialer Stellvertreterkrieg

Gleichzeitig weist die Hilfsorganisation aber darauf hin, dass Medienunternehmen, "hinter denen verschiedene Parteien und Staaten stehen, seit 1998 einen Nachrichten- und Informationskrieg austragen". Insbesondere hätten sich Emroz zusammen mit einem anderen Sender und 'Tamadon', eine pro-schiitische Station, gegenüber gestanden. Insgesamt verfügt Afghanistan derzeit über 18 Sender, alle befinden sich in privater Hand.

Auf der 'Reporter-ohne-Grenzen'-Website heißt es zu dem Medienkonflikt, er spiegele einen "Kampf um Einfluss zwischen verschiedenen Staaten" wider, "insbesondere Iran und Pakistan".

Berichten zufolge hat die unabhängige Wahlkommission jetzt beschlossen, dass Journalisten, die bei den Wahlen am 18. September kandidieren, nicht gleichzeitig journalistisch arbeiten dürfen. Eine klare Stellungnahme, ob das das Ende der Kandidatur Karbulis bedeutet, steht aus.

Der Vorsitzende des Unabhängigen Journalistenverbands des Landes, Rahimullah Samandar, hält eine derartige Verfügung für "illegal". Das Wahlgesetz mache lediglich über öffentliche Angestellte und Beamte eine Aussage. Sie müssten in der Tat ihr Amt niederlegen, wenn sie kandidierten. Im Falle von Mitarbeitern von Privatunternehmen müsse im Einzelfall einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer entschieden werden. Weder die Regierung noch die Wahlkommission sollten sich da einmischen. (Ende/IPS/sv/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2010