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ASIEN/785: China - Kulturelle Front gegen den Westen, offizieller Vorstoß umstritten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Januar 2012

China: Kulturelle Front gegen den Westen - Offizieller Vorstoß umstritten

von Antoaneta Becker


London, 17. Januar (IPS) - Nach Ansicht des chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao befindet sich das Reich der Mitte in einem zunehmenden Kulturkampf mit dem Westen. Um den Angriff aus dem Westen abzuwehren, müsse die kulturelle Produktion gestärkt werden, so Hu Anfang des Monats. Doch chinesische Kulturschaffende fürchten, dass die staatlich propagierte kulturelle Entwicklung in erster Linie darauf abzielt, Kultur zu 'industrialisieren'.

"Kultur ist vielleicht Chinas letzter Wirtschaftssektor, der noch nicht ausgebeutet wurde", meinte dazu Zhu Dake, Kulturwissenschaftler an der Tonji-Universität in Schanghai. In einem unruhigen Jahr des politischen Übergangs, aus dem im Herbst 2012 eine neue politische Führung hervorgehen wird, erscheine die Förderung der Kultur ein wenig kontroverses Thema zu sein. Dass jedoch alle am staatlich geförderten Kulturboom mitverdienen wollten, verheiße nichts Gutes.

Die Pekinger Kunstkritikerin Carol Lu ist ebenfalls skeptisch. Ein solcher Vorstoß werde vor allem zum Bau großer Galerien und Ausstellungshallen führen, erklärte sie. Das bedeute aber nicht zwingend, dass dort qualitativ hochwertige Werke zu sehen seien.


Kultur als einende Kraft

Präsident Hu Jintao, der gleichzeitig Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas ist, hatte seine Kulturoffensive erstmals auf dem Parteitag der Kommunisten im Oktober vorgestellt, auf dem die Prioritäten für das Jahr 2012 festgelegt wurden. Die Ankündigung, Kultur ins Ausland zu exportieren und die Vermarktung der chinesischen Kultur zu einem Pfeiler der chinesischen Wirtschaft zu machen, traf die Genossen völlig unvorbereitet. Kultur sei die Quelle nationaler Einheit und der Schlüssel, um sich weltweit erfolgreich als Wirtschaftsmacht zu positionieren, wurde ihnen erklärt.

In seiner Januaransprache weitete Hu das Thema weiter aus und warnte vor feindlichen internationalen Kräften, die darauf aus seien, China zu verwestlichen und zu spalten. Vor allem die ideologischen und kulturellen Bereiche sollten langfristig infiltriert werden, warnte Hu in der Zeitschrift 'Die Wahrheit suchen', einem Flaggschiff der Kommunistischen Partei.

"Es ist das erste Mal, dass die Führung die kulturelle Entwicklung auf die gleiche Stufe mit der Wirtschaft stellt", kommentierte Zhang Guoxiang, Wissenschaftler am Chinesischen Forschungszentrum für kulturelle Soft Power. "Wir sprechen von Wirtschaft als Hard Power, ohne die unser Land leicht dominiert werden kann. Doch nun gibt es die Einsicht, dass ohne Soft Power unser Land in sich zusammenfällt."

Die Kommunistische Partei sieht sich in jüngster Zeit mit einer Reihe von Sicherheits- und Korruptionsskandalen konfrontiert. Zudem geben die sozialen Unruhen im Vorfeld des größten Führungswechsels der letzten zehn Jahre Anlass zur Sorge. Auch der Arabische Frühling in Nordafrika und Nahost und Online-Rufe nach einer chinesischen Jasmin-Revolution haben Peking alarmiert.

Trotz dieser Ereignisse breitet sich Chinas kultureller Einfluss in Übersee kontinuierlich aus. Mit staatlich geförderten Wanderausstellungen und Veranstaltungen und einem immer größer werdenden Netz von Konfuzius-Instituten wirbt Peking fleißig für die Tugenden der traditionellen chinesischen Kultur.


Kulturelle Schwäche selbst gemacht

Hu Jintao zufolge ist die internationale Kultur des Westens stark, "während wir schwach sind". Die Schwäche sei jedoch selbst verursacht, kommentieren chinesische Schriftsteller und Künstler und verweisen auf die staatliche Zensur. Der 29-jährige landesweit bekannte Blogger Han Han sorgte unlängst mit seinem Essay 'In Freiheit' für Aufregung, in dem er die Gründe anführte, warum seiner Meinung nach die Volksrepublik nicht zum Kulturgiganten aufsteigen kann.

"Die Einschränkungen unserer kulturellen Aktivitäten machen es für China unmöglich, Literatur und Kunst auf globaler Ebene zu beeinflussen. Sie verhindern zudem, dass wir Kulturschaffende unsere Häupter stolz erheben", schrieb Han Han in seinem Blog.

Zhu Dake zufolge ist Zensur allerdings nur eines von vielen Problemen. Die Partei glaube an die Macht des Geldes und schrecke nicht davor zurück, es zu ihrem Vorteil zu nutzen, sagte er. "Die Partei ist daran gewöhnt, sich mit Geld Einfluss zu verschaffen. Sie ist fest davon überzeugt, dass Kreativität und Intellektuelle ebenfalls käuflich sind."

Chinas Lokalregierungen haben ihre eigenen Vorstellungen, wie kulturelle Entwicklung auszusehen hat. Ihnen zufolge heißt Kulturförderung die Einrichtung lukrativer kultureller Experimentierzonen. Wie aus einer Untersuchung des Instituts für kulturelle Industrien der Universität in Peking hervorgeht, gab es 2010 bereits 1.300 solche kulturindustriellen Zonen, die der Studie nach jedoch "uniform" und "langweilig" sind. (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2012