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ASIEN/798: Taiwan - "Substanzlos", erster staatlicher Menschenrechtsreport in der Kritik (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. April 2012

Taiwan: "Substanzlos" - Erster staatlicher Menschenrechtsreport in der Kritik

von Dennis Engbarth



Taipeh, 25. April (IPS) - Vertreter der Zivilgesellschaft in Taiwan haben enttäuscht auf den ersten nationalen Menschenrechtsbericht der Regierung reagiert. Der Report sei substanzlos und vermeide eine ehrliche Auseinandersetzung mit fundamentalen Menschenrechtsfragen und Menschenrechtsverstößen.

Staatspräsident Ma Ying-jeou, der zugleich Vorsitzender der Regierungspartei Kuomintang (KMT) ist, hatte den Bericht am 20. April vorgestellt - drei Jahre nachdem das Parlament den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) ratifiziert hatte.

Da Taiwan kein UN-Mitgliedsland ist, konnte die Regierung die Ratifizierungen nicht beim Sekretariat der Vereinten Nationen hinterlegen. Stattdessen wurden die beiden Verträge durch ein am 10. Dezember 2009 in Kraft getretenes Umsetzungsstatut direkt in nationales Recht überführt.

Der dreibändige 'Nationale Menschenrechtsbericht der Republik China' schildert, wie sich der Beitritt Taiwans zu den Verträgen vollzogen hat. Außerdem gibt er einen Überblick über die wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Lage der Insel, die von der Volksrepublik China als abtrünnige Provinz betrachtet wird. Zudem wird die Einhaltung der beiden Verträge und der Bestimmungen zu deren Umsetzung artikelweise kommentiert.

Präsident Ma begrüßte die Veröffentlichung des Reports. Dieser sei erstellt worden, um die einheimischen Menschenrechtsstandards auf internationales Niveau zu bringen. Seine Regierung werde mit weiteren Maßnahmen auf die Einhaltung der beiden internationalen Pakte hinarbeiten, um die Menschenrechtslage in Taiwan zu verbessern. Außerdem sollen Regierungsvertreter in Menschenrechtsfragen fortgebildet werden.


Nichtstaatliches Bündnis sieht zahlreiche Menschenrechtsverstöße

Kao Yung-cheng, ein ehemaliges Mitglied der Menschenrechtskommission des Präsidialamts, warf der Regierung jedoch vor, in Sachen Menschenrechte den "Scheck platzen gelassen zu haben". Stellvertretend für das Bündnis 'Covenants Watch' aus 53 nichtstaatlichen Organisationen, das die Umsetzung der beiden Verträge in Taiwan überwacht, erklärte Kao, der Report vermeide eine substantielle Diskussion über die zahlreichen Menschenrechtsprobleme und sogar über aktuelle Verstöße gegen die Grundrechte.

Die Veröffentlichung des Berichts entbehre angesichts der kürzlich von Regierungsbehörden begangenen Menschenrechtsverletzungen nicht der Ironie, erklärte er. Dazu gehörten "die juristische Verfolgung von Bürgern, die Beschränkung der freien Meinungsäußerung, die erzwungene Aneignung landwirtschaftlicher Nutzflächen und die Zwangsräumung im Zuge von Stadterneuerungsprojekten".

Kao kritisierte weiter, dass sich die Regierung nicht an die im Umsetzungsstatut vorgesehene Frist gehalten habe. Danach hätten bis spätestens Dezember 76 von 263 Gesetzen und Regelungen reformiert oder abgeschafft sein müssen, die man als unvereinbar mit den beiden Pakten identifiziert hatte. Kao verwies in diesem Zusammenhang vor allem auf die geltenden Gesetze zu Versammlungen und Aufmärschen, zur Arbeitsversicherung und zu den Gewerkschaften sowie zum Strafrecht. Die Meinungs- und Pressefreiheit wird durch mehrere Gesetze begrenzt.

Menschenrechtsaktivisten vermissen in dem Bericht ferner eine klare Aussage, wie es nach dem Ende des fünfjährigen Hinrichtungsmoratoriums weitergeht. Das Moratorium stammt noch aus der Regierungszeit der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP), wurde aber von der Ma-Administration im April 2010 und im Mai 2011 gebrochen.

Ma erklärte bei der öffentlichen Vorstellung des Berichts lediglich, dass "die Todesstrafe nach und nach abgeschafft wird", indem sie bei bestimmten Verbrechen nicht mehr zur Anwendung komme. Außerdem sollen Staatsanwälte aufgefordert werden, die Todesstrafe seltener zu fordern.


Keine Reaktionen auf Begnadigungsgesuche

Lin Hsin-yi, die Exekutivdirektorin der Taiwanesischen Allianz zur Abschaffung der Todesstrafe, sieht auch das geltende Amnestiegesetz im Widerspruch zu den zwei ratifizierten Verträgen. Sie wies darauf hin, dass die frühere Regierung bereits 2006 gesetzlich geregelt habe, dass die Todesstrafe nicht mehr obligatorisch sei. Wie Lin kritisierte, wird sich der Verzicht auf die Todesstrafe in Zukunft nur auf Delikte beschränken, die ohnehin selten mit der Kapitalstrafe geahndet wurde.

Der Aktivistin zufolge ist der Präsident Antworten auf Petitionen zur Begnadigung von 44 Todeskandidaten schuldig geblieben. Sie kritisierte ferner, dass das Berufungsverfahren von einem der vier Ende April 2010 hingerichteten Gefangenen noch nicht abgeschlossen gewesen sei.

Kao kündigte für den 20. Mai einen 'Gegenbericht' seines Bündnisses zur Menschenrechtslage in Taiwan an. An diesem Tag beginnt Mas zweite vierjährige Amtszeit. Die Wahlen am 14. Januar hatte der Präsident mit 51,6 Prozent der Stimmen für sich entschieden. Seine Herausforderin Tsai Ing-wen von der DDP kam auf 45,6 Prozent.

Nach seiner Wiederwahl sank der Rückhalt für Ma jedoch rapide unter 20 Prozent, nachdem seine Regierung die Strom- und Benzinpreise erhöht und umstrittene Rindfleischimporte aus den USA genehmigt hatte. Das Fleisch enthielt Spuren des Wachstumshormons Ractopamin. (Ende/IPS/ck/2012)

Links:
http://www2.ohchr.org/english/law/ccpr.htm
http://www.taedp.org.tw/p/171
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107530

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 25. April 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2012