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ASIEN/803: Kooperation und Konfrontation - USA und China (JW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 3. Mai 2012

Kooperation und Konfrontation

Die neue Strategie der Vereinigten Staaten im asiatisch-pazifischen Raum und die Bedeutung der Volksrepublik China für die Stabilität in der Region

von Jürgen Heiducoff



Durch das schnelle Wirtschaftswachstum Chinas, aber auch Indiens und anderer Staaten Ost- und Südasiens ist die ökonomische Balance der ostasiatisch-pazifischen Region und der Welt durcheinander geraten.

Die USA versuchen durch wirtschaftliche, politische und militärische Maßnahmen, diese Entwicklung zu ihren Gunsten zu nutzen und ihren Einfluß in der strategisch wichtigen Region Ost- und Südasien zu verstärken. Die Vereinigten Staaten unterhalten ein globales System von Militärbasen. Gegenwärtig sind sie dabei, den Ring dieser Basen um die Volksrepublik China herum auszubauen und zu verdichten. Und in den USA gibt es einflußreiche Kräfte, die an einer Auf- und Umrüstung sowie an immer neuer Anwendung militärischer Gewalt interessiert sind, weil dies maximale Profite verspricht. Zudem zeigt die US-Marine verstärkt Präsenz im Pazifischen und Indischen Ozean. Eine starke amerikanische Präsenz in der Region ist dort allerdings weder von der Bevölkerung, noch seitens der Regierungen erwünscht. Und das mit gutem Grund: Denn seit Jahren führen die USA Kriege in großer Entfernung vom eigenen Territorium - während etwa China in seiner langen Geschichte nie weitab vom eigenen Land militärisch aktiv wurde und seit fast 33 Jahren an keinem Krieg beteiligt ist.


Globale Machtverschiebung

Seit vielen Jahren gelten die USA als der Motor der Weltwirtschaft mit der größten Wirtschaftskapazität. Außenpolitisch tritt die selbsternannte Weltmacht sehr dominant auf. Washington versucht durch Druck, einschließlich militärischen, seine Interessen weltweit durchzusetzen und führt zu diesem Zweck auch Kriege. Es ist aufgrund dieser Grundkoordinaten der US-Politik nicht verwunderlich, daß die Vereinigten Staaten mit Abstand die höchsten Militärausgaben haben und der größte Rüstungsexporteur sind.

Der Militärhaushalt Chinas dagegen beträgt absolut nur etwa 20 Prozent des amerikanischen. Setzt man diese Zahlen ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl oder zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), verändert sich das Verhältnis weiter zuungunsten der USA. Laut einer Analyse des »Stockholmer International Peace Research Institute« (SIPRI) liegt der Anteil der Waffenexporte der USA bei mehr als 30 Prozent des Weltmarktes, der Chinas dagegen nur bei drei Prozent.

Allerdings ist Chinas Wirtschaftskraft in den letzten Jahren stark gestiegen. Zweistellige Zuwachsraten waren selbst in Krisenzeiten keine Ausnahme. Der Aufstieg Chinas zur Kernmacht des asiatisch-pazifischen Raumes leitete eine globale Verschiebung der Kräfteverhältnisse ein. Auch Peking vertritt die eigenen nationalen Interessen zunehmend selbstbewußt. Jedoch betrachtet China die Androhung von Gewalt nicht als Mittel der internationalen Politik. Militärische Abschreckung dient nur der Sicherheit der unmittelbaren Land- und Seegrenzen sowie des Luftraumes der Volksrepublik. Fast 33 Jahre - seit den Auseinandersetzungen und Grenzgefechten mit Vietnam - war China an keinem Krieg beteiligt. Das Land hat andere - vor allem finanzielle und ökonomische - Mittel gefunden, um seine außenpolitischen Interessen zu vertreten. So investieren chinesische Unternehmen und der Staat in Projekte in Entwicklungsländern in Afrika und Asien. Natürlich dient dieses Engagement auch der Sicherung von Rohstoffen und Energie für das eigene Land. Chinas Außenpolitik beruht aber auch hier auf dem Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten und steht für ein friedliches Krisenmanagement. Wirtschaftliche Unterstützung ist an keinerlei politische Forderungen gebunden. Peking diktiert weder politische Bedingungen noch übt es Druck auf die jeweiligen Regierungen aus. Das chinesische Engagement in Afrika und Asien, z.B. auch in Afghanistan, trägt rein wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Charakter.

Hinzukommt, daß die chinesischen Investitionen im Ausland nicht militärisch flankiert werden. Selbst in Afghanistan betreibt China das umfangreichste Investitionsprojekt, ohne einen einzigen Soldaten dort zu stationieren - die Erschließung der Kupfervorkommen bei Aynak 35 Kilometer südöstlich von Kabul (625 Millionen Tonnen Erz). Die »China Metallurgical Group Corporation« (MCC) hat vertraglich zugesagt, zur infrastrukturellen Anbindung der Kupfermine eine Eisenbahnstrecke von der usbekischen bis an die pakistanische Grenze zu bauen.(1)


Grundlinien der US-Strategie

Die Neuausrichtung der Strategie Washingtons ist unter dem Titel »Amerikas Pazifisches Jahrhundert« in der Novemberausgabe 2011 des Magazins Foreign Policy durch die US-Außenministerin Hillary Clinton verkündet worden. »Die Zukunft der Politik wird in Asien (...) entschieden werden, und die Vereinigten Staaten werden direkt im Zentrum des Geschehens sein.« So lautet die Leitthese.(2)

Im weiteren wird ausgeführt, daß Asiens bemerkenswertes Wirtschaftswachstum wesentlich von der Sicherheit und Stabilität abhängt, die lange vom US-Militär sichergestellt worden seien. Die USA hätten, so Clinton weiter, ihre Stützpunkte bei den nordostasiatischen Partnern zu modernisieren und gleichzeitig ihre Präsenz in Südostasien und im Indischen Ozean zu verbessern. Eine breit verteilte militärische Präsenz im Raum zwischen dem Indischen und Pazifischen Ozean biete große Vorteile, so die Außenministerin. Auf diese Weise würden die Vereinigten Staaten besser positioniert sein, um robuster gegen Bedrohungen für den regionalen Frieden und für die Stabilität vorzugehen. Der Beitrag schließt mit dem Ausblick ab, daß Amerika für die nächsten 60 Jahre in der asiatisch-pazifischen Region präsent und dominant bleiben werde.

Die Pläne der US-Administration werden hier sehr offen formuliert, ihre praktische Umsetzung hat bereits begonnen. Diese neue Strategie hat wirtschaftliche, politische und militärische Aspekte. Den USA geht es zunächst um ihren verstärkten Einfluß auf die Staaten der APEC (Asia-Pacific Economic Cooperation). Dies soll den freien Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit im asiatisch-pazifischen Raum den US-Interessen konform ausrichten.

Washington sucht dabei Verbündete und bildet Allianzen. Dies geschieht sowohl durch Kooperation und Partnerschaft wie auch durch militärischen Druck. US-Flottenverbände operieren immer wieder auch unweit der Territorialgewässer Chinas. Ein Ring amerikanischer Militärbasen, der weiter ausgebaut wird, umschließt das Reich der Mitte. Die Stationierung von Marines in Australien hat begonnen. Gemeinsame Übungen mit australischen und philippinischen Soldaten werden durchgeführt.

Diese neue Militärstrategie beschränkt sich jedoch nicht nur auf eine geographische Schwerpunktbildung. Sie wird zugleich von der Generierung eines völlig neuen Kriegsbildes begleitet. Der Krieg neuen Typus wird eine Kombination von Cyber- und kosmischen Operationen mit dem massiven Einsatz effektiver, auch unbemannter Vernichtungsmittel sein. Völlig neue operative Ansätze und taktische Verfahren werden entwickelt. Die Eroberung fremder Territorien durch Heeres- und Marineinfanteriekräfte mit Luftunterstützung soll durch den massierten Einsatz von Marschflugkörpern, Kampfflugzeugen, Hubschraubern, Raketen und die grenzüberschreitende Vernichtung von »harten« wie »lebenden« Zielen mit unbemannten Kampfdrohnen auf der Basis einer weltraumgestützten globalen Aufklärung abgelöst werden.

Die Konzentration auf militärische Schläge aus der Luft, zunehmend mit unbemannten Kampfmitteln, das »abstrakte« Töten auf Distanz, soll zu einer weiteren Absenkung der Hemmschwelle bei der Vernichtung von Leben führen. Die Entpersonalisierung des Krieges wird die ethische und moralische Verantwortung der kriegführenden Seiten in den Hintergrund drängen.

Der Angriff auf Libyen war die Generalprobe einiger Komponenten und operativer Ansätze dieser neuen Kriegsform. Dieser Waffengang und auch die derzeitigen Machtdemonstrationen gegenüber Syrien und dem Iran laufen nach dem Drehbuch der neuen US-Strategie. Es geht, wenn auch verdeckt, im Grunde um die Schwächung des Einflusses Chinas und Rußlands.


Schulter an Schulter

Die USA bereiten langfristig die strategische Umgruppierung ihrer Truppen in den asiatisch-pazifischen Raum und den Ausbau der Infrastruktur in der Region vor.

Vor wenigen Tagen begann Washington mit der Verlegung militärischer Verbände in ihren künftigen Handlungsraum. Durch die deutschen Medien kaum wahrgenommen, sind Anfang April die ersten 180 der geplanten 2500 US-Marineinfanteristen im nordaustralischen Darwin angekommen. »Als Teil des Abkommens treffen US-Marines in Australien, in Chinas Hinterhof ein« überschrieb die New York Times am 5.4.2012 einen Artikel, in dem es heißt, daß nach einem bilateralen Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Australien neben der Stationierung der Marineinfanterieeinheiten auch die Nutzung australischer Militärflugplätze durch US-Flugzeuge sowie eine verstärkte Schiffs- und U-Boot-Präsenz in der Marinebasis Perth an der australischen Westküste vorgesehen sei. Des weiteren werde noch die Stationierung von amerikanischen Langstreckenaufklärungsdrohnen auf den zu Australien gehörenden Kokos-Inseln im Indischen Ozean verhandelt.3

Die USA intensivieren auch die militärische Zusammenarbeit mit Singapur, den Philippinen, Thailand, Taiwan, der Republik Korea, Australien, Vietnam und anderen Staaten der Region. Weitere gemeinsame Ausbildungsmaßnahmen militärischer Verbände und Flottenmanöver sollen das Vertrauen zwischen den Streitkräften dieser Länder vertiefen und nebenher das gemeinsame Feindbild pflegen.

Im Zentrum steht auch der Zugriff auf die Spratly-Inseln, kleine unbewohnte Inseln zwischen den Philippinen und Vietnam. Es geht um Bodenschätze, Fischgründe und die Kontrolle über Handelsrouten. Auf etwa 40 der mehr als hundert Eilande befinden sich militärische Stellungen verschiedener Staaten.

In der zweiten Aprilhälfte fand zudem die gemeinsame maritime Übung »Balikatan 2012« (»Schulter an Schulter«) mit bis zu 7000 Mann US- und philippinischer Truppen im Südchinesischen Meer statt. Zeitgleich übten im Gelben Meer vor der chinesischen Küste die Besatzungen von mehr als 20 chinesischen und russischen Kampf- und Versorgungsschiffen die gemeinsame Luftabwehr, die Bekämpfung von U-Booten sowie Such- und Rettungseinsätze. Diese chinesisch-russische Marineübung »Maritimes Zusammenwirken 2012« soll, so ein Sprecher des chinesischen Außenamtes, dazu beitragen, »den Frieden und die Sicherheit in der Region« zu bewahren.

Das Bestreben der USA indes ist wohl eher, die Meerengen und Seegebiete zwischen dem Pazifischen und Indischen Ozean militärisch zu kontrollieren. Das Gebiet ist eine der Hauptschlagadern für die exportorientierte chinesische Wirtschaft. Die Sicherheit der Handelsschiffahrt von und nach China ist von vitalem Interesse für die Volksrepublik. Der Absatz vieler Produkte und der Import der Rohstoffe wird hauptsächlich über den Schiffsverkehr abgewickelt. Dessen Beeinträchtigung würde zu empfindlichen Störungen ökonomischer Prozesse führen.

Genau an diesem Punkt setzen die Vereinigten Staaten mit ihrer neuen Strategie an. Admiral Samuel Locklear, Chef des amerikanischen Pazifikkommandos, hatte im Februar im Verteidigungsausschuß des US-Senats erklärt: »Wir sind eine Großmacht in Asien. Die Chinesen und die anderen Länder der Region müssen begreifen, daß die USA bereit sind, dort ihre nationalen Interessen zu verteidigen.«(4)


Aktive Verteidigung

Analogien zu einem derartigen Verhalten findet man im Vorgehen Chinas nicht. Peking hat nicht vor, die USA auf den Weltmeeren oder auf anderen Kontinenten militärisch zu bedrohen. Zwar bedürfen die durch das andauernde Wirtschaftswachstum und durch die gewaltigen Investitionen geschaffenen Werte (moderne Infrastruktur, hochmoderne Produktionsanlagen etc.) eines sicheren Schutzes. Das Wirtschaftswachstum ruft zudem ein wachsendes politisches und militärisches Selbstbewußtsein hervor. Die chinesische Militärstrategie ist aber auf aktive Verteidigung ausgerichtet und sieht keine Angriffskriege vor. Es geht dem Land allein um die Bewahrung seiner Souveränität und der Sicherheit der Land- und Seegrenzen sowie des Luftraumes.

Auch für China sind dabei nicht mehr nur die Anzahl der Kampfpanzer, gepanzerten Kampffahrzeuge, Kampfflugzeuge und -hubschrauber, deren Feuerkraft oder Operationen im Verbund aller vier Teilstreitkräfte sicherheitsrelevant, sondern auch die Beseitigung des technologischen Rückstandes sowie eine dementsprechend moderne Ausbildung des militärischen Personals. Immer wichtiger wird auch die Abwehr von Attacken im Cyberwar.

Es geht Peking um den Umbau der Streitkräfte zu mehr Flexibilität und um die Verbesserung von Führung, Kommunikation, Aufklärung, elektronischer Kampfführung und Logistik. Generalmajor Jin Yinan, Mitglied der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes und Direktor des Instituts für strategische Studien der Universität für Landesverteidigung der Volksbefreiungsarmee sagte in einem Interview mit der Peking Rundschau im März 2012: »Unsere Militärdoktrin geht vom Gewinnen regional begrenzter Kriege unter den Bedingungen der verstärkten Anwendung der Informationstechnologie aus. Unsere Verteidigungsstrategie und das Weißbuch für Verteidigung betonen vor allem die aktive Verteidigung. Seit der Antike, aber vor allem auch in der Neuzeit hat sich China hauptsächlich verteidigt. China hat keine militärischen Interventionen großen Umfangs unternommen. China hat nicht angekündigt, im Ausland Militärstützpunkte zu errichten. China braucht dies auch gar nicht, weil wir kein Interesse daran haben, ein Sprungbrett für Interventionen in anderen Ländern zu schaffen. Es geht darum, in einer begrenzten Region die eigenen Interessen zu verwirklichen und zu schützen. Wir streben nicht nach globaler Herrschaft. Wir müssen die Abschreckungskraft unserer Armee verstärken. Denn Abschreckung heißt nicht, Krieg zu führen, sondern dem Gegner Einhalt zu gebieten, bevor er das Risiko des Kampfes auf sich nimmt. Durch so ein Gesamtkonzept wird Krieg vermieden.« (5)


Grenzen des US-Expansionismus

Zur Verwirklichung ihrer Ziele versuchen sich die US-amerikanischen Eliten in einem Doppelspiel von Kooperation und Konfrontation. Die Neuausrichtung der US-Strategie auf den asiatisch-pazifischen Raum stellt nichts anderes dar als die Sicherung der eigenen Flexibilität und Bewegungsfreiheit sowie die Einnahme einer günstigen Ausgangslage, um, wenn es notwendig ist, die Zugänge Chinas und anderer Staaten zu den Weltmeeren beeinträchtigen zu können.

Hier entsteht die ernsthafte Sorge, daß es in dieser strategisch relevanten Region auf Grund des offensiven Auftretens der USA zu ernsthaften Konfrontationen kommen kann. Immerhin sind unter den Anrainern mehrere nuklear hochgerüstete Staaten.

Die Moskauer Tageszeitung Nesawissimaja Gaseta setzte sich am 4. April 2012 mit der Frage auseinander, ob es in zehn oder 15 Jahren zu militärischen Spannungen oder gar zu einem bewaffneten Konflikt zwischen den USA und China kommen könnte. Dazu kamen Kenneth Lieberthal, früher der für Asien zuständige Direktor für nationale Sicherheit in der Administration von Präsident William Clinton, und Wang Jixi, derzeit Dekan der Fakultät für internationale Studien an der Pekinger Universität und Mitglied des Beraterkomitees für Außenpolitik des chinesischen Außenministeriums, zu Wort. »Wir beide haben unsere tiefe Besorgnis über die jetzige Entwicklung geäußert«, sagte Lieberthal. Das Mißtrauen zwischen Peking und Washington nehme zu, in den kommenden Jahrzehnten werden die Beziehungen zwischen China und den USA immer feindseliger - zu diesem Schluß gelangten beide. Im Unterschied zu den Vereinigten Staaten wachse in China der Glaube an die eigene Stärke im wirtschaftlichen und im militärischen Bereich, stellte Wang fest. 2003 war das BIP der USA achtmal, heute ist es nur mehr dreimal so groß wie das chinesische. Lieberthal warnte vor einem Antagonismus zwischen den beiden Staaten, zu dem es in 15 Jahren kommen kann. Dies würde zu größeren Verteidigungsausgaben und im schlimmsten Fall auch zu einem realen bewaffneten Konflikt führen.«6 Vor allem die Staatsfinanzen der USA setzen jedoch Politik und Militär Grenzen. Die Krise des Finanzsystems ist aufgrund der Höhe der Staatsverschuldung keine vorübergehende Erscheinung, sondern ein permanentes Problem. Dies sind die systemimmanenten, inneren Grenzen der Macht der Vereinigten Staaten.

Daneben gibt es äußere Kräfte, die die Fähigkeiten und die Implementierung der offensiven Außen- und Sicherheitspolitik der USA einschränken. Diese entstehen in den Staaten, auf die die amerikanischen Ambitionen gerichtet sind. Und da sind vor allem die BRICS-Länder (Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika) zu nennen. China und die Russische Föderation setzen auf den weiteren Ausbau der »Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit« (SOZ) und die gemeinsamen Initiativen der BRICS-Staaten.

Zudem wissen die USA, daß ihr größter Dollargläubiger die Volksrepublik ist. Auch das dürfte die Ambitionen einschränken, China militärisch zu bedrängen. Diese enge Verquickung zwischen den Kontrahenten USA und China und ihre daraus resultierende gegenseitige Abhängigkeit stellen eine Chance dar. So könnte ein Gleichgewicht der Kräfte, eine Art Pattsituation entstehen, die eine militärische Auseinandersetzung verhindern könnte. Ein stabiler Frieden ist damit aber noch nicht garantiert.


Politik der Vernunft

Zwei Giganten zwischen Konfrontation und Kooperation: Wohin neigt sich die Waage? Eine Politik der Weitsicht, Vernunft und Verantwortung möglichst vieler Staaten ist erforderlich, wenn ernst zu nehmende Friktionen vermieden werden sollen. Entscheidend wird sein, welche politischen Kräfte künftig in den beiden rivalisierenden Staaten die jeweilige Außen- und Sicherheitspolitik prägen werden.

In den USA könnten die demokratischen Befürworter einer Außenpolitik des Neustarts, des »resets« für eine Zukunft der Entspannung im asiatisch-pazifischen Raum stehen. Sie müssen den Kräften, die mit Rüstungs- und Kriegsprofiten rechnen, Alternativen bieten können.

In China muß, wie das jetzt bereits der Fall ist, auch künftig garantiert bleiben, daß keine Eliten und Interessen entstehen oder Einfluß gewinnen, die privat von Rüstung und Krieg profitieren könnten.

Noch immer haftet politischen Analysen und Untersuchungen der Vorbehalt an, China sei eine unverbesserliche Diktatur, von der man sich besser distanzieren sollte.

Viele westliche Wirtschafts- und Außenhandelsexperten haben sich allerdings von einer solchen einseitigen Betrachtung längst gelöst. Sie wissen die Gewinne zu schätzen, die durch die wirtschaftliche Kooperation mit dem Reich der Mitte zu erzielen sind. Zunehmend setzen sich die Auffassungen von objektiv über China urteilenden Analysten durch - auch in Deutschland.

Dies zeigte sich u.a. während des Berliner Kolloquiums, das die Clausewitz-Gesellschaft und die Bundesakademie für Sicherheitspolitik im März zum Thema »Europas Platz im asiatisch-pazifischen Jahrhundert - Ziele, Strategien, Handlungsoptionen« durchführten.

Oft ist das China-Bild vor allem in den USA von mangelndem Vertrauen getragen und dadurch von überlebten Feindbildern bestimmt. »China versucht weder den Maoismus als Weltanschauung, noch die Weltrevolution oder sein Wirtschaftssystem zu exportieren. Die USA sind die ideologische Macht, die ihre Demokratie und ihr Wirtschaftssystem exportieren wollen«, so Professor Dr. Eberhard Sandschneider, Direktor des Forschungsinstitutes der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, während der Konferenz.7

Es ist für Deutschland und Europa an der Zeit, in Anbetracht der gewaltigen Potenzen für Sicherheit und Stabilität, die der chinesischen Gesellschaft innewohnen, noch mehr die Zusammenarbeit mit dem Reich der Mitte zu suchen. Die ewige Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Volksrepublik sind unangemessen und nicht zielführend.


Jürgen Heiducoff ist nach mehr als 39 Jahren Dienst in der NVA und Bundeswehr zu einem Anhänger der Friedensbewegung geworden.


Anmerkungen

(1)‍ ‍Ministry of Mines: Ten reasons to invest, 2011, S. 3; Reuters 19.10.2011 - aus dem »Fortschrittsbericht der Bundesregierung 2011«, S.67

(2)‍ ‍www.foreignpolicy.com/articles/2011/10/11/americas_pacific_century

(3)‍ ‍www.nytimes.com/2012/04/05/world/asia/us-marines-arrive-darwin-australia.html

(4)‍ ‍lde.rian.ru/politics/20120406/263284572.html

(5)‍ ‍german.beijingreview.com.cn/german2010/Video/2012-03/19/content_442359.htm

(6)‍ ‍de.rian.ru/politics/20120404/263267901.html

(7)‍ ‍www.baks.bund.de/DE/Veranstaltungen/Rueckblick/Rueckblick2012

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Quelle:
junge Welt vom 03.05.2012
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2012