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ASIEN/851: Afghanistan - Zivilgesellschaft fürchtet Rückkehr der Taliban an die Macht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Juli 2013

Afghanistan: Zivilgesellschaft fürchtet Rückkehr der Taliban an die Macht

von Giuliano Battiston


Bild: © Giuliano Battiston/IPS

Afghanischer Graffitikünstler
Bild: © Giuliano Battiston/IPS

Jalalabad, Afghanistan, 9. Juli (IPS) - Während US-Präsident Barack Obama und sein afghanischer Amtskollege Hamid Karsai den Friedensprozess in Afghanistan bis zum Abzug der NATO-Soldaten 2014 festigen wollen, geht in der Bevölkerung die Angst um. Befürchtet wird, dass die radikal-islamistischen Taliban den Rückzug der Truppen nutzen könnten, um erneut die Macht zu ergreifen.

Obwohl die NATO nach zwölf Jahren Militärpräsenz das Kommando im Juni an die 352.000 Mann starken afghanischen Sicherheitskräfte übergeben hat, sind viele Fragen offen geblieben. Darüber hinaus gehen die Angriffe der Extremisten unvermindert weiter. Noch bevor die Zeremonie der Machtübergabe abgeschlossen war, explodierte eine Autobombe nahe dem Sitz der Unabhängigen Menschenrechtskommission Afghanistans (AIHRC) im Westen der Hauptstadt. Drei Menschen wurden dabei getötet und 20 verletzt.

Die Taliban übernahmen rasch die Verantwortung für das Blutbad. Das war zwar keine Überraschung, löste aber bei Zivilisten und Aktivisten angesichts der Pläne über eine mögliche Beteiligung der Taliban an der Regierung nach 2014 Empörung aus.

Dass die Taliban ein neues Hauptquartier im Golf-Emirat Katar eröffnet haben, legt nahe, dass sie längst Pläne für ihre Rolle in einem bald unabhängigen Afghanistan geschmiedet haben und sich an zentraler Stelle als künftige Unterhändler und Vertreter des Staates sehen. Doch damit dürften die 35 Millionen Afghanen, die jahrelang unter der Knute der Islamisten gelebt haben, nicht einverstanden sein.

In Jalalabad, der Hauptstadt der östlichen Provinz Nangarhar, wo nahe der Grenze zu Pakistan die Flüsse Kabul und Kunar zusammenfließen, üben die Menschen lautstark Kritik an den laufenden Verhandlungen. Sie fordern zudem Einsicht in die Pläne für die Zukunft des Landes, die bisher unter Verschluss gehalten werden.


Frieden noch in weiter Ferne

Kabul steht noch immer unter Schock, seitdem bei einem Angriff auf das örtliche Büro des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) am 29. Mai ein Wächter getötet und drei Beschäftigte verletzt worden waren. Die Attacke zeigt, dass es bis zum Frieden im Land noch ein langer Weg sein dürfte.

Nach Ansicht von Hambullah Arbab, Kunstschaffender und regionaler Koordinator der Vereinigung 'Jugend in Aktion', wird der Friedensprozess an den falschen Methoden scheitern. Er wies darauf hin, dass Konflikte in Afghanistan traditionell durch die lokalen Räte 'Jirga' und 'Shura' geregelt würden. Dahinter stehe die Idee, dass neutrale Dritte zwischen Streitparteien schlichten sollten.

In dem derzeitigen Friedensprozess wurde diese Rolle jedoch dem Hohen Friedensrat (HPC) übertragen. Die Taliban erkennen das Gremium jedoch nicht an, weil es 2010 von Karsai eingesetzt worden ist. Vorsitzender ist der ehemalige afghanische Präsident Burhanuddin Rabbani, der die Partei 'Jamiat-e-Islami' anführt. Diese Partei steht seit Langem in einer schwierigen Beziehung zu den Taliban.

Andere befürchten, dass die Extremisten, die für Gewalt und Terrortaktiken bekannt sind, sich nicht dem Demokratieprozess und dem Willen der 35 Millionen Staatsbürger unterwerfen werden. "Teil der Regierung darf nur sein, wer ehrlich an einem Frieden interessiert ist", meint Ezatullah Zawab, Gründer und Chefredakteur des alle zwei Monate erscheinenden Kulturmagazins 'Meena'. Die Zivilgesellschaft sei den Taliban gegenüber aufgeschlossen, sofern diese ihrem Wort treu blieben und ihre Ziele mit friedlichen Mitteln verfolgten.

Seit Ende April hat Karsai die Taliban-Führung mehrfach eingeladen, bei den kommenden Präsidentschaftswahlen im April 2014 zu kandidieren. Diese Wahlen sollen es den Afghanen ermöglichen, die Zukunft ihres Landes ohne ausländische Beteiligung zu bestimmen.

Mohammed Anwar Sultani, ein ehemaliger Professor an der Universität von Nangarhar und respektierter Älterer in Jalalabad, rechnet im unwahrscheinlichen Fall, dass die Taliban tatsächlich Kandidaten aufstellen sollten, nicht mit deren Unterstützung durch die afghanischen Wähler. "Die Taliban hatten bereits ihre Chance, das Land zu regieren. Und sie haben versagt", erklärt er. Sultani bezieht sich auf die Zeit zwischen 1996 und 2001, als die Taliban von der im Süden gelegenen Stadt Kandahar und von Kabul aus die totale Kontrolle über Afghanistan ausübten, bis sie bei einer US-geführten Invasion vertrieben wurden.


Taliban stellten sich als Friedensbringer dar

Die Taliban, denen mehrheitlich Paschtunen angehören, sind inmitten von Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Mudschaheddin-Gruppen an die Macht gekommen. Sie stellen sich selbst als Retter des afghanischen Volkes und Garanten für Sicherheit dar. "Wir waren überzeugt, dass sie Friedenstauben waren", meint Sultani. Doch die Brutalität, mit der die Taliban regierten, haben ihn und andere eines Besseren belehrt. Das Misstrauen gegenüber den Taliban ist in dem Land weit verbreitet. Niemand weiß genau, wer dieser militanten Bewegung angehört.

Asadullah Larawi vom Entwicklungszentrum der Zivilgesellschaft (CSDC), ist der festen Überzeugung, dass Afghanistan "ausländische Elemente" zurückweisen sollte. Viele sind davon überzeugt, dass die Taliban vom pakistanischen Geheimdienst unterstützt werden und von ihm Anweisungen erhalten. Larawi befürwortet allerdings auch einen Dialog mit den afghanischen Taliban, sofern diese die Errungenschaften der vergangenen zehn Jahre wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit sowie die Wahrung von Menschen- und Frauenrechten akzeptieren.

Derzeit tragen die Afghanen die Hauptlast des ineffizienten Friedensprozesses. Nach Angaben von Ján Kubis, dem Sondergesandten des UN-Generalsekretärs in Afghanistan, ist im ersten Halbjahr 2013 die Zahl der getöteten und verletzten Zivilisten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 24 Prozent gestiegen (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.aihrc.org.af/
http://www.icrc.org/eng/
http://en.futurepeace.org/the-civil-society-development-center-csdc/
http://www.ipsnews.net/2013/07/civil-society-fears-taliban-return/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. Juli 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2013