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ASIEN/866: Muskelspiele im Meer (Leibniz-Journal)


Leibniz-Journal
Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft 3/2013

Muskelspiele im Meer

Von Christoph Gurk



Ein Dutzend Staaten ringt im Chinesischen Meer erbittert um eine Handvoll Felsinseln. Es geht um Rohstoffvorkommen, Fischgründe und die geostrategische Vormacht in der Region. Und um tiefe historische Wunden.


Auf den ersten Blick spricht nichts für eine Bootsfahrt zu den Senkaku-Inseln. Auf der Landkarte sind sie kaum zu finden, nur ein paar graue Punkte im weiten Blau des Chinesischen Meers deuten auf ihre Existenz hin. Auch von Nahem gibt es kaum mehr zu sehen: unbewohnte Felsen, die schroff aus dem Ozean ragen, darauf ein paar Sträucher, Ziegen und Maulwurfshügel, mehr nicht. Doch davon ließ sich eine kleine Gruppe japanischer Nationalisten nicht beirren, als sie im August 2012 die 150 Kilometer Meer überquerte, die zwischen der japanischen Präfektur Okinawa und den Senkaku-Inseln liegen. Die Aktivisten hatten eine Mission: Eine japanische Flagge hissen. Auf einem Felsen mitten im Ozean.


Säbelrasseln auf See

Sie waren nicht die ersten, die das versuchten. Schon wenige Tage zuvor war eine Gruppe Chinesen mit einer Fahne der Volksrepublik auf den Senkakus gelandet. Man könnte dies nun als bizarre Regatta abtun, doch der Flaggen-Wettstreit hat einen brisanten Hintergrund: Neben Japan beanspruchen auch China und Taiwan die Inseln, die sie Diaoyu-Inseln nennen. Seit Jahrzehnten streiten die Staaten erbittert um die Felsbrocken. Immer wieder kommt es zu gegenseitigen Provokationen und Drohgebärden: Fahnen werden mal gehisst, mal verbrannt, gegnerische Schiffe ins Fadenkreuz genommen und Kampfjets in Richtung der Inseln entsandt.

Doch nicht nur vor den Senkaku- beziehungsweise Diaoyu-Inseln wird mit Säbeln gerasselt: Eine ganze Reihe Gebietskonflikte brodelt im Chinesischen Meer, dem Seegebiet, das an China, die koreanische Halbinsel, Japan und Taiwan sowie - im Süden - an die Philippinen, Brunei, Indonesien, Malaysia, Thailand, Kambodscha und Vietnam grenzt. Um die kleinen Paracel-Inseln streiten sich China und Vietnam; weiter südlich beanspruchen gleich sechs Nationen die Spratly-Inseln für sich. Hinzu kommen weitere Riffe, Felsen und versunkene Atolle sowie ein halbes Dutzend Staaten, die Besitzansprüche darauf anmelden. Anderen Ländern wie den USA und Russland geht es um Handelswege und Einfluss in der Region.

Auch in anderen Teilen der Welt gibt es ähnliche Territorialstreitigkeiten: Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate zanken um eine Insel im Persischen Golf; Großbritannien, Dänemark, Irland und Island liegen sich seit Jahrzehnten wegen eines einsamen Felsens im Nordatlantik in den Haaren. Nirgends aber häufen sich die Konflikte so sehr wie im Chinesischen Meer.

Kein Wunder, denn hier verläuft eine der Hauptschlagadern des Welthandels. Ein Drittel des globalen Warenverkehrs passiert den südlichen Teil des Chinesischen Meeres. Doch auch was unter der Wasseroberfläche liegt, weckt Begehrlichkeiten. Von "Rohstoffnationalismus" spricht Torsten Geise vom Hamburger Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA). Der Politikwissenschaftler und Friedensforscher beschäftigt sich schon lange mit der Region. Auf monatelangen Forschungsreisen in das Gebiet hat er in den vergangenen Jahren Interviews mit Politikern, Reedern, den Mitarbeitern von Küstenwachen und anderen Experten geführt und parallel umfangreiche Medienrecherchen betrieben: "Die Gebiete um die Inseln sind sehr fischreich und im Meeresgrund werden fossile Rohstoffe wie Erdöl, Erdgas oder Mangan vermutet."

Seit Jahrzehnten wächst die Wirtschaft in der Region um das Chinesische Meer. In Ländern wie den Philippinen, Malaysia und Japan wird damit auch das Bedürfnis nach Energie und Rohstoffen stetig größer - vor allem aber in China. "Chinas Entwicklung ist sicher verantwortlich für die Dynamik des Konflikts im Moment und seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit", meint Geise. Die Wurzel des Problems liege jedoch an anderer Stelle.


Konflikt mit Geschichte

Denn zu den rein wirtschaftlichen Ursachen kommt eine Reihe historischer Faktoren, die den Streit bis heute beeinflussen und so schwer lösbar machen. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren viele Staaten der Region als Kolonien fremdverwaltet. Die Kolonialmächte zogen willkürlich Grenzen, sie dominierten die Kultur und das politische System. "So gab es in der Region nie einen Austausch und es konnte sich keine gemeinsame südostasiatische Identität entwickeln", sagt Geise. "Bis heute spielt dieses Erbe der Kolonialzeit eine große Rolle für den Konflikt, weil es deswegen immer wieder zu gegenseitigen Ressentiments kommt." Gleichzeitig sorgte die aggressive Expansionspolitik des japanischen Kaiserreichs bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs für historische Traumata, die die Beziehungen von Japan zu China, Korea und Taiwan bis in die Gegenwart belasten.

Schlussendlich hat ausgerechnet das internationale Seerecht die Konflikte im Chinesischen Meer verschärft, obwohl es genau das Gegenteil bewirken sollte. 1982 wurde im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen die Einführung einer "Ausschließlichen Wirtschaftszone" (AWZ) beschlossen. Sie räumt Küstenstaaten in einer 200 Seemeilen breiten Zone das alleinige Recht zur wirtschaftlichen Nutzung des Meeres ein. Sie dürfen dort also beispielsweise Fischfang betreiben und Rohstoffe fördern. "In den meisten Teilen der Welt war die Durchsetzung dieser AWZ unproblematisch", sagt Torsten Geise, "aber in der Region um das Chinesische Meer liegen viele Staaten eng beieinander, die Ansprüche überlappen sich." Statt den Streit zu schlichten, brachte das Seerechtsübereinkommen ungewollt neue Konfliktparteien hervor: Während etwa China, Japan, Vietnam oder Taiwan ihre Ansprüche auf Inseln vor allem historisch begründen, konnten nun Länder wie die Philippinen oder Brunei die AWZ als Argument heranziehen.


Fakten schaffen mit Beton

Vor allem China versucht seither, seine Position im Streit um die Inseln zu untermauern - und zwar wortwörtlich, mit Zement und Beton: So entstehen chinesische Marinebasen und Leuchttürme auf bis dato unbewohnten Felsen. Mit seinen Wirtschaftseinnahmen rüstet die Volksrepublik gleichzeitig ihre Armee auf. Allein dieses Jahr sollen die Ausgaben um elf Prozent steigen. In den Nachbarländern wecken die chinesischen Muskelspiele Ängste. Auch Länder wie Japan oder Taiwan bauen deshalb ihre Streitkräfte aus. In spektakulären Manövern demonstriert man sich gegenseitig militärische Stärke: China im Schulterschluss mit Russland, Japan dafür gemeinsam mit den USA, die erst kürzlich ihre Militärpräsenz im Südchinesischen Meer verstärkt haben.

Dennoch hält Torsten Geise eine Eskalation derzeit für unwahrscheinlich. Man dürfe die Brisanz des Konflikts zwar nicht unterschätzen, so der GIGAForscher - sie aber auch nicht überbewerten. "Die Rhetorik ist sicherlich schärfer geworden - von einigen Scharmützeln abgesehen, sind die Bilder, die wir sehen, aber meist friedlich."

Entwarnung also? Nicht ganz. Denn auch wenn der Konflikt nicht überkocht, bringt er schon jetzt negative Konsequenzen mit sich. "Speziell für die Bekämpfung von Piraterie und Schmuggel ist der Konflikt ein Hindernis", meint Geise. Denn Patrouillenboote meiden strittige Gebiete, um Nachbarländer nicht zu provozieren. Davon profitieren Umweltsünder, Schmuggler und Piraten. Sie können sich in den Gebieten bewegen, als würden sie ihnen gehören.

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Quelle:
Leibniz-Journal 3/2013
Herausgeber: Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2013