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ASIEN/874: Afghanistan - Wenn die NATO abzieht, US-Angebot eines Sicherheitsabkommens umstritten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Dezember 2013

Afghanistan: Wenn die NATO abzieht - US-Angebot eines Sicherheitsabkommens umstritten

von Giuliano Battiston


Bild: © Giuliano Battiston/IPS

Eine Straße in Jalalabad
Bild: © Giuliano Battiston/IPS

Jalalabad, Afghanistan, 18. Dezember (IPS) - Die afghanische Bevölkerung ist in der Frage, ob Staatspräsident Hamid Karsai ein bilaterales Sicherheitsabkommen (BSA) mit Washington unterzeichnen soll, gespalten. Die Übereinkunft sieht US-Militäreinsätze auch nach dem Abzug der NATO-Truppen 2014 vor.

Die Befürworter argumentieren, dass das BSA im Lande für Stabilität sorgen würde. Die Gegner befürchten, dass es die Probleme mit den Taliban verschärfen und Staaten wie Pakistan und den Iran verärgern würde.

"Wir sind ein schwaches Land - militärisch, wirtschaftlich und politisch. Aus diesem Grund brauchen wir ein solches Arrangement", meint der Unternehmer Hedayatullah Amam. "Wir sollten pragmatisch denken: Lieber akzeptieren wir die US-Amerikaner hier, als uns mit einer ungewissen Zukunft konfrontiert zu sehen, in der kein Land gewillt ist, uns zu helfen." Amam zufolge spielt Karsai ein politisches Spiel, um sich selbst als Verfechter der nationalen Souveränität darzustellen. "Doch dieses Spiel dürfte bald aus sein."

Die USA sind bestrebt, den Vertrag möglichst rasch unter Dach und Fach zu bringen. Doch Karsai will erst noch die Wahlen im April abwarten. "Er wird das Abkommen so oder so unterzeichnen. Daran geht kein Weg vorbei", sagt Amam in einem Taxi auf dem Weg von Kabul ins 120 Kilometer entfernte Jalalabad. "Ich wette, dass er allerspätestens in zwei Monaten unterschreiben wird."

Nach der Vertreibung der Taliban aus Kabul 2001 hatte der UN-Sicherheitsrat die ISAF-Schutztruppe der NATO mit dem Mandat ausgestattet, die afghanische Regierung im Kampf gegen die Rebellen zu unterstützen und beim Aufbau der nationalen Sicherheitskräfte zu helfen.


US-Nutzung von neun Stützpunkten

Das BSA, das bereits die Zustimmung der 'Loya Jirga' genießt, der großen Versammlung der Älteren und von Provinzvertretern, sieht nicht nur die Möglichkeit vor, dass US-amerikanische Truppen nach 2014 in Afghanistan verbleiben. Auch sollen die US-Militärs mindestens neun Militärbasen einschließlich des strategisch wichtigen Bagram- Luftwaffenstützpunktes nutzen dürfen.

"Die USA sind das stärkste Land der Welt", betont Asadullah Larawi vom 'Civil Society Development Centre'. "Eine Partnerschaft mit Amerika würde unsere Nachbarn davon abhalten, sich in unsere Belange einzumischen. Unsere Regierung muss ihnen klarmachen, dass für sie von den Stützpunkten keine Gefahr ausgeht."

Nach Angaben der NATO sind derzeit 84.000 internationale Soldaten in Afghanistan im Einsatz. 60.000 allein aus den USA. Das BSA hätte zur Folge, dass bis zu 15.000 US-Soldaten in Afghanistan verbleiben.

Die afghanischen Sicherheitskräfte sind noch relativ neu. Sie waren 2002 gegründet worden. Der Armee gehören inzwischen 200.000, der Luftwaffe rund 6.800 und der Afghanischen Nationalpolizei 50.500 Mitglieder an. Die Zahl der in den Bezirken eingesetzten lokalen Polzisten bewegt sich bei 24.200.

Karsai steht unter einem wachsenden Druck, seitdem er überraschend seine Zustimmung zum BSA verschoben hatte. Am 3. Dezember, zu Beginn eines zweitägigen NATO-Außenministertreffens in Brüssel, verdeutlichte der NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, dass das Engagement der NATO ohne die Zustimmung zum BSA hinfällig sei.

Nach einem Kabul-Besuch der US-Sicherheitsberaterin Susan Rice am 25. November hatte das Weiße Haus in einer Mitteilung ebenfalls betont: "Kommt das BSA nicht zustande, könnten die Hilfszusagen der NATO und anderer Länder, die auf den Treffen 2012 in Chicago und Tokio gemacht worden sind, hinfällig werden."

Nach Ansicht von Kate Clark, Wissenschaftlerin am 'Afghanistan Analysts Network' in Kabul, ist die US-Botschaft klar. "Unterschreib oder riskiere eine Null-Option, die dem Statement zufolge bedeuten könnte, dass es keine US-Truppen, keine NATO-Truppen, keine Unterstützung für die afghanischen Sicherheitskräfte und keine Hilfsgelder in Milliardenhöhe geben wird - weder zur Zahlung der Polizei- und Militärgehälter, noch zur Durchführung der Hilfsprojekte, die in Tokio zugesagt worden waren."

Im Juli 2012 hatten die internationalen Geber in der japanischen Hauptstadt Afghanistan über einen Zeitraum von vier Jahren 16 Milliarden Dollar an humanitärer Hilfe zugesagt.


Sorge um nationale Souvedränität

Doch viele Afghanen sind der Meinung, dass das BSA die ohnehin fragile Souveränität Afghanistans weiter aushöhlen wird. Zu ihnen gehört Naqibullah 'Saqib', Leiter der Fakultät für Politikwissenschaften der Nangarhar-Universität. Er fürchtet, dass mit einem solchen Abkommen Länder wie Pakistan und der Iran, aber auch Russland Afghanistan noch größere Probleme als die derzeit existierenden bescheren werden. Die Sorge ist nicht unbegründet. So hat der iranische Präsident Hassan Ruhani unlängst erklärt, dass sein Land entschieden gegen die Präsenz ausländischer Truppen in Afghanistan sei.

"Ob es uns nun gefällt oder nicht: Die USA werden einige Basen behalten", unterstreicht Baz Mohammad Abid, ein bekannter Journalist, der für den lokalen Radiosender 'Mashaal' arbeitet. Auch wenn sich Präsident Karsai mit der Unterzeichnung des Abkommens schwer tue - die afghanische Regierung habe dem Abkommen bereits grundsätzlich zugestimmt.

Doch auch er befürchtet, dass die US-amerikanischen Militärstützpunkte Afghanistan einen hohen Preis abverlangen werden. "Unsere Nachbarn werden sauer sein und versuchen, die US-Amerikaner mit der Bewaffnung der Rebellen aus dem Land zu treiben. Ich bin der Meinung, die US-Streitkräfte sollten gehen", meint Abid.

Andere Stimmen weisen darauf hin, dass die Anwesenheit internationaler Truppen die Nachbarländer nicht davon abgehalten habe, sich in die inneren Angelegenheiten Afghanistans einzumischen.

"US-amerikanische Stützpunkte ins unserem Land sind für unsere Nachbarn und für die Rebellen, die einen neuen Jihad gegen die Ausländer starten könnten, gänzlich inakzeptabel", versichert Wahidullah Danish vom Civil Society Development Centre. "Anstatt US-Stützpunkte zu akzeptieren, sollten wir lieber unsere eigene Armee stärken und bewaffnen." (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/12/nato-leaves-afghanistan/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2013