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ASIEN/896: Konflikt um Paracel- und Spratly-Inseln - Bemühung um Entspannung (Gerhard Feldbauer)


Nach Eskalation im Grenz-Konflikt Hanoi-Peking um Paracel- und Spratly-Inseln

Vietnams Premier Nguyen Tan Dung verurteilte scharf chinesische Aktivitäten in vietnamesischen Gewässern

Beide Seiten um Entspannung bemüht

von Gerhard Feldbauer, 16. Mai 2014



Mit der Verlegung einer chinesischen Ölplattform in das Gebiet der umstrittenen Paracel- und Spratly-Inseln eskalierte der seit Jahrzehnten zwischen beiden Staaten schwelende Grenzkonflikt seit Anfang Mai in bisher kaum gekannter Weise. Vietnam, das die Inselgruppe für sich beansprucht, hat das Gebiet zu seiner Wirtschaftszone erklärt. Als vietnamesischer Küstenschutz das Verankern der chinesischen Bohrplattform verhindern wollte, kam es zu Zusammenstößen mit chinesischen Kriegsschiffen, bei denen Wasserkanonen eingesetzt wurden. Hanoi meldete zahlreiche Verletzte. Ministerpräsident Nguyen Tan Dung verurteilte auf dem Gipfeltreffen der ASEAN-Staaten vergangene Woche in Myanmar die "extrem gefährliche Aktivitäten" Chinas, bei denen etwa 80 militärische und zivile Schiffe eingesetzt worden seien, auf das Schärfste. Die Zahl der territorialen Verletzungen habe zugenommen und sie werden "gefährlicher und ernster." Das nationale Territorium sei jedoch "unantastbar" und werde "entschlossen verteidigt", so der vietnamesische Regierungschef. Peking begnügte sich zunächst mit Erklärungen seines Außenministeriums, in denen der Einsatz von Kriegsschiffen dementiert und Vietnam aufgefordert wurde, "die chinesischen Handlungen nicht zu stören" und sich "den Realitäten zu stellen".

In Hanoi, Ho chi Minh-Stadt (das frühere Saigon) und weiteren Städten demonstrierten Tausende Vietnamesen gegen das chinesische Vorgehen und forderten vor der chinesischen Botschaft und vor Konsulaten in Sprechchören und auf Plakaten in Englisch "China get out of Vietnam". Chinesische Betriebe in Vietnam wurden besetzt, nach Agenturberichten Gebäude in Brand gesetzt und Einrichtungen demoliert. Wie Reuters berichtete, sollen bei den Protesten 20 Menschen ums Leben gekommen sein. Laut einem Bericht von Radio China International bemühen sich Peking und Hanoi inzwischen um eine Entspannung der Lage. Bei einem Treffen am Freitag berieten Handelsminister Gao Hucheng und der vietnamesische Minister für Industrie und Handel, Vu Huy Hoang, Maßnahmen, um die Gewalt gegen chinesische Unternehmen in Vietnam zu beenden. Nguyen Tan Dung rief die Polizei auf, die Sicherheit ausländischer Unternehmen zu gewährleisten.


Geostrategisches Gebiet mit immensen Vorkommen an Gas und Öl

In dem geostrategischen Gebiet um die Inselgruppen im Südchinesischem Meer gibt es reiche Fischfanggründe und immense Vorkommen an Gas und Öl. Peking macht rund drei Viertel des Vietnam vorgelagerten Meeresgebietes als "historisch" zu China gehörend geltend. Das ist mehr als fraglich, denn Vietnam war über 2000 Jahre eine chinesische Halbkolonie und Peking tributpflichtig, wogegen das Land zwischen Rotem Fluss und Mekong sich immer wieder zur Wehr setzte. Seit der Erringung seiner nationalen Unabhängigkeit in der Augustrevolution 1945 und ihrer Verteidigung gegen die Intervention Frankreichs und der USA beansprucht Vietnam die Inselgruppe als sein Hoheitsgebiet.


Enkel Dschingis Khans vertrieben

Der Expansionsdrang aus dem Norden brachte einen noch heute lebendigen starken Unabhängigkeitsdrang hervor. Im 13. Jahrhundert wehrten die Könige der Tran-Dynastie dreimal erfolgreich die Angriffe der Mongolen ab, die in dieser Zeit in China herrschten. Darunter fiel der Sieg des noch heute in Vietnam verehrten Nationalhelden Tran Hung Dao, der 1284 ein unter dem Enkel Dschingis Khans eingefallenes Heer verjagte. Während des Bauernaufstandes von Tay Son, der frühbürgerlichen Revolution in Vietnam, wurde 1789 in der Schlacht bei Hanoi ein in Vietnam zur Zerschlagung der revolutionären Erhebung eingefallenes Heer der Quing vernichtend geschlagen. Die Niederlage war so verheerend, dass der Hof in Peking Frieden schloss und die Ty Son anerkannte. Diese Traditionen muss man im Auge haben, wenn man die Empörung verstehen will, mit der die Vietnamesen gegen die chinesische Einmischung protestieren.


Seerechtsabkommen der UNO zugunsten Vietnams

Nach Meinung internationaler Rechtsexperten kann sich Hanoi auch auf das Seerechtsabkommen der Vereinten Nationen stützen, während Peking seinen Ansprüchen kaum Geltung verschaffen könne, da die Gewässer, die es beansprucht, sich größtenteils in Bereichen anderer Staaten befinden. Es handle sich dort eindeutig um "Vietnams exklusive Wirtschaftszone", in die China "nicht einfach mit dieser Ölplattform eindringen und ohne die Erlaubnis Vietnams Öl fördern kann", erklärt der Asien-Experte, Carl Thayer, Professor Emeritus der Universität South Wales. Kenner Chinas beobachten auch, dass im Rahmen des erweiterten Spielraums des Kapitalismus in China der alte Han-Großmachtchauvinismus der Beherrschung Asiens Auftrieb erhalte. Vergessen ist auch nicht der Einfall Chinas im Januar 1979 in Vietnam, der eine Reaktion auf den Sturz des von Peking ausgehaltenen blutigen Pot-Pot-Regimes in Kambodscha durch die Vietnamesische Volksarmee war und ganz offiziell "Strafaktion" genannt wurde. In den Verhandlungen zur Beilegung des Konflikts forderte Peking schon damals von Hanoi eine Erklärung über den Verzicht der Paracel- und Spratly-Inseln, was Hanoi ablehnte.


ASEAN um Distanz bemüht

Eine von Vietnam angestrebte gemeinsame Erklärung der ASEAN-Tagung gegen das Vorgehen Chinas kam in Myanmar nicht zustande. Besonders Vietnams Nachbarland Kambodscha, das unter starkem Einfluss Chinas steht, blockiert eine gemeinsame Haltung. Singapur und Thailand, die selbst keine Ansprüche auf die Inselgruppe erheben, tragen jedoch wie andere Mitgliedsstaaten auch der wachsenden - vor allem wirtschaftlichen - Rolle Chinas Rechnung und wollen keinen Affront mit Peking.


USA wollen Schutzmachtrolle spielen

Brisanz erhält der Konflikt dadurch, dass ihn die USA im Rahmen ihres strategischen Konzepts des Ausbaus ihrer militärischen Präsenz im Asiatisch-Pazifischen Raum gegen die Volksrepublik China zu nutzen suchen, um sich als Schutzmacht aufzuspielen. Seit 2010 ein Verband der US-Navy mit dem Flugzeugträger "George Washington" an der Spitze zu einem Flottenbesuch in der Hafenstadt Da Nang weilte, versuchen die USA den alten Kriegsgegner Vietnam als einen Verbündeten zu vereinnahmen, was Hanoi zurückweist und in normale Militär-Beziehungen einordnet, die in der letzten Zeit weiterentwickelt wurden. Das State Department nannte Chinas Vorgehen "eine Provokation", rief zur Zurückhaltung auf und zur Klärung der Ansprüche "in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht".

Mit den Philippinen ist am Ende eines Asienbesuchs Präsident Obamas in Japan, Südkorea und Malaysia Ende April ein neues "Verteidigungsabkommen" geschlossen worden. Manila, das ebenfalls Rechte auf die umstrittene Inselgruppe geltend macht, hatte kurz vorher während eines See-Manövers mit den USA vor den Spratley-Inseln chinesische Fischerboote aufgebracht und elf Besatzungsmitglieder festgenommen, die derzeit vor Gericht stehen.

Doch auch die Vereinigten Staaten wollen es nicht zu einer Eskalation kommen lassen, machte Jen Psaki vom US-Außenministerium deutlich: "Wir rufen alle beteiligten Parteien auf, sich angemessen und zurückhaltend zu verhalten, und die Ansprüche auf die Hoheitsrechte friedlich, diplomatisch und in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht zu klären."

Die Amerikaner, die an der Seite ihrer Bündnispartner Vietnam und Philippinen mit wachsender Sorge das Vordringen der Chinesen beobachten, haben dies als "provokativ" bezeichnet. Am Montag hatte Chinas Außenministerium gewarnt, dass Vietnams Versuch, auf diplomatischem Parkett Unterstützung zu finden, zum Scheitern verurteilt sei. "Wir hoffen, dass Vietnam die Lage richtig einschätzt, sich in Ruhe den Realitäten stellt, und aufhört, die chinesischen Handlungen zu stören", sagte Außenamtssprecherin Hua Chunying. Zugleich werfen die Chinesen Amerika vor, die Spannungen im Südchinesischen Meer anzuheizen und die Anrainerstaaten zu ermutigen, Risiken einzugehen. Der amerikanischen Außenminister John Kerry sprach dagegen von einem "aggressive Verhalten" der Chinesen.

Ginge es nach internationalem Recht, also hier dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, würden die Ansprüche Chinas nur in geringstem Maße gelten. Die Gewässer, die es beansprucht, befinden sich größtenteils in Bereichen anderer Staaten.

Dieser Vorfall mit Vietnam sei ungewöhnlich, meint Professor Thayer, denn Schiffe der chinesischen Marine seien beteiligt gewesen. Auch das Timining sei interessant: kurz vor einer ASEAN-Konferenz in Myanmar Ende Mai. "Die Kernstaaten von ASEAN, also des Verbands Südostasiatischer Nationen, werden sehr besorgt sein", sagt Thayer. "Denn es geht nicht nur um eine Ölplattform, sondern um die militärischen Muskeln, die China spielen lässt. Jeder Staat wird sich China gegenüber unterlegen fühlen."

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2014