Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → AUSLAND


ASIEN/950: Nepal - Proteste gegen neuen Verfassungsentwurf (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Juli 2015

Nepal: Proteste gegen neuen Verfassungsentwurf

von Post Bahadur Basnet


Bild: © Post Bahadur Basnet

Frauenrechtlerinnen sind strikt gegen den neuen Verfassungsentwurf, weil er sie in vielerlei Hinsicht benachteiligt
Bild: © Post Bahadur Basnet

KATHMANDU (IPS) - In Nepal ist der neue Verfassungsentwurf bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf massiven Widerstand gestoßen. So kritisieren ethnische Gruppen, Frauenaktivistinnen, Dalit ('Kastenlose') und Hindu-Nationalisten gleichermaßen, dass ihre Forderungen nach Anerkennung und Identität in der Vorlage nicht berücksichtigt wurden.

Jahrelang steckte der Himalaja-Staat in der politischen Sackgasse. Im Juni gelang den großen politischen Parteien erstmals seit Ende der Maoisten-Rebellion und dem Regimewechsel 2006 der Durchbruch. Auf der Grundlage ihres ausgehandelten 16-Punkte-Abkommens konnte die Verfassunggebende Versammlung (CA) einen neuen Verfassungsentwurf erstellen.

Doch seither reißt die Kritik an der Vorlage nicht ab. Diese war von den Parteien vorbereitet worden, die 90 Prozent der Sitze in der 601 Mitglieder zählenden CA halten. In der vorletzten Juliwoche kam es im Zuge der öffentlichen Anhörungen in einigen Teilen des Landes zu gewaltsamen Protesten und symbolischen Verbrennungen der umstrittenen Vorlage.

In dem Verfassungsentwurf heißt es, dass das Parlament gemäß der Empfehlung einer noch zu bildenden Expertengruppe einem föderativen Nepal seine Zustimmung geben werde. Doch Aktivisten, die für ein föderales System eintreten, halten den Entwurf für eine Farce.

"In dem Entwurf wird die Föderalismusfrage aufgeschoben, was einen Verstoß gegen die Übergangsverfassung bedeutet", erklärte Anil Kumar Jha von der Nepalesischen Sadbhawana-Partei (NSP), die die Interessen der ethnischen Madheshi im Süden des Landes vertritt. Er wittert ein politisches Manöver derjenigen, die keinen föderalen Staat haben wollen. "Wir brauchen starke autonome Provinzen. Wenn die Zentralregierung die Macht nicht abgeben will, kann von einem föderativen System keine Rede sein. Deshalb werden wir den Verfassungsentwurf nicht akzeptieren", erklärte Jha.


Autonomieforderungen

Vertreter der größten ethnischen Gruppen verlangen von der CA ein föderales System, dass sich längs der ethnischen Linien orientiert. Doch das ist in einem Land mit mehr als 125 Ethnien kein leichtes Unterfangen. In den meisten Regionen haben sich die Volksgruppen untereinander vermischt. Die großen Parteien versuchen mit der Verschiebung Zeit zu schinden. Sie hoffen, dass der ethnische Föderalismus an Unterstützung verliert und sie eine Kompromisslösung erarbeiten können.

Einige der ethnischen Gruppen werden seit Gründung des nepalesischen Staates Ende des 18. Jahrhunderts ausgegrenzt und diskriminiert. Sie versprechen sich von eigenen autonomen Provinzen mehr Mitsprache und Einfluss.

Während des Prozesses zur Staatsgründung waren die Sprache Nepali, der Hinduismus und die Bergkultur als Werkzeuge zugunsten einer Assimilierung gefördert worden. Dies führte dazu, dass sich die hinduistischen Kasten eine Vormachtstellung verschafften. So stellen die Angehörigen der Hochgebirgskasten, die 30,5 Prozent der Bevölkerung ausmachen, 61,5 Prozent aller Staatsbediensteten. Dies geht aus dem Multidimensionalen Index für soziale Inklusion hervor, der von der Abteilung für Soziologie und Anthropologie der staatlich geführten Tribhuvan-Universität in Nepal erstellt wird.

Erst nach dem Regimewechsel im Jahre 2006 entschloss sich das Land zu Inklusionsmaßnahmen. Doch die ethnischen Gruppen pochen auf Autonomie und Selbstbestimmung im Sinne ihrer Sprachen, Kulturen und wirtschaftlichen Rechte.

Frauenrechtlerinnen wiederum sind gegen den Verfassungsentwurf, weil er nicht auf die Gleichstellung der Geschlechter abzielt. So heißt es in dem Verfassungstext, dass nur diejenigen Kinder die Staatsbürgerschaft durch Geburt erhalten, deren Väter und Mütter nepalesische Bürger sind. Den Aktivistinnen zufolge muss es Mütter oder Väter heißen.

Die nepalesische Staatsangehörigkeit wird traditionell vom Vater vererbt. Kindern alleinerziehender Mütter droht die Staatenlosigkeit, wenn sie nicht bis zu ihrem 16. Lebensjahr, dem rechtlich vorgesehen Einbürgerungsalter, von ihren Vätern anerkannt werden.

Das Gleiche gilt für Kinder, die eine nepalesische Mutter und einen ausländischen Vater haben. Auch sie bleiben staatenlos, wenn es dem Vater nicht gelingt, vor ihrem 16. Lebensjahr die Staatsbürgerschaft zu erlangen.

Der Entwurf in seiner jetzigen Form verstoße gegen universelle demokratische Normen, empörte sich die Anwältin und Frauenrechtlerin Sapana Malla Pradhan, "Wenn es um die Nationalität von Kindern geht, sollen Frauen offensichtlich weiterhin in Abhängigkeit von Männern gehalten werden", protestierte sie. Es gebe viele Nepalesen, die von ihren Müttern großgezogen würden und verzweifelt um die nepalesische Staatsbürgerschaft kämpfen müssten, weil die Väter außer Reichweite seien oder ihre Vaterschaft nicht anerkannt hätten.


Frauen enttäuscht

"Der neue Verfassungsentwurf widerspricht dem Mandat der Volksbewegung, die den Regimewechsel in unserem Land erst möglich machte. Angetrieben von der Hoffnung, gleichberechtige Bürger zu werden, haben sich die Frauen in der Bewegung engagiert", fügte Pradhan hinzu.

Frauen, die mehr als die Hälfte der 27,8 Millionen Nepalesen stellen, sind in vielen Bereichen benachteiligt. So sind nur 57,4 Prozent alphabetisiert. Bei den Männern sind es hingegen 75 Prozent. Dem Multidimensionalen Index für soziale Inklusion zufolge besitzen keine 25 Prozent der Frauen in Nepal Land. Außerdem ist der Zugang der Frauen zu Verwaltungsämtern begrenzt. Nur jeder siebte Staatsbedienstete ist weiblich.

Die meisten Eltern würden liebend gern allen ihren Kindern eine Ausbildung an einer privaten Schule ermöglichen. Doch in der Regel besuchen die Jungen private englischsprachige Oberschulen, während die Mädchen zu den staatlichen Schulen geschickt werden. Auch die politische Beteiligung von Frauen ist gering.

Kritik an dem neuen Verfassungsentwurf kommt auch von den Dalit, den sogenannten Kastenlosen. Die vorherige CA habe anders als die neue den Dalit zusätzliche Parlamentssitze auf nationaler und lokaler Ebene als Entschädigung für die jahrhundertelange Diskriminierung der Bevölkerungsgruppe in Aussicht gestellt. "Deshalb sind wir gegen den neuen Entwurf", meinte Min Bishwakarma, ein CA-Mitglied der Dalit-Gemeinschaft.

Insgesamt 43,63 Prozent der im Gebirge lebenden Dalit, die 8,7 Prozent der Bevölkerung stellen, leben unterhalb der Armutsgrenze, wie aus der 2011 durchgeführten Nationalen Untersuchung des Lebensstandards hervorgeht.


Hindu-Nationalisten schießen quer

Der vierte große Gegner des neuen Verfassungsentwurfs ist die hindu-nationalistische Rashtriya-Prajatantra-Partei - Nepal (RPP-N).

Die erste, 2008 gewählte Verfassunggebende Versammlung war vier Jahre später aufgelöst worden, nachdem es keiner der darin vertretenen Parteien gelungen war, die erforderliche Zweidrittelmehrheit für eine neue Verfassung zustande zu bringen.

Die großen politischen Parteien hatten gehofft, die neue Verfassung Mitte August verkünden zu können. Doch steht zu befürchten, dass die Frist aufgrund des großen Widerstandes nicht eingehalten werden kann. (Ende/IPS/kb/28.07.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/07/key-constituencies-call-for-inclusion-in-nepals-draft-constitution/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 28. Juli 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang