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ITALIEN/012: EU-Spardiktat gibt "Los von Rom"-Sezessionisten neuen Auftrieb (Gerhard Feldbauer)


EU-Spardiktat gibt "Los von Rom"-Sezessionisten neuen Auftrieb

Lega-Chef Bossi droht mit Abspaltung Padaniens

von Gerhard Feldbauer, 27. Dezember 2011


Das EU-Spardiktat gibt Sezessionisten in Italien neuen Auftrieb. Die römische "Repubblica" gab am 27. Dezember die Drohungen des Lega-Chefs Umberto Bossi wider und warnte: Mit eigenem "Parlament, Armee und Währung. Die separatistische Lega kehrt zurück". Die Entwicklung findet vor dem Hintergrund der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise statt, deren Hauptlasten den arbeitenden Menschen, den Ärmsten und den Rentnern aufgebürdet werden. Ein Teil wird aber auch auf das Budget der Verwaltungen der Regionen (Länder) und Kommunen abgewälzt. Die Immobiliensteuer trifft auch unterschiedliche Kapitalkreise.

Historisch bedingt konzentriert sich bis heute das Industrie- und Finanzkapital im Norden des Landes, während der Süden seit der Nationalstaatbildung 1860/70 als Reservoir von Agrarprodukten und billigen Arbeitskräfte in bitterster Armut das Dasein eines Entwicklungslandes fristet, abhängig von den Almosen, die Rom ihm aus dem Norden zukommen lassen muss. In hanebüchener Umkehrung der Tatsachen, soll der Süden jetzt für den Staatsbankrott verantwortlich gemacht werden.

Mit einflussreichen Kapitalkreisen im Hintergrund wollen sich die wohlhabenden Regionen Norditaliens dem Spardiktat entziehen. Der Landtag des Alto Adige (Hohe Etsch/Südtirol) will sich den "finanziellen Belastungen" durch die Sparmaßnahmen widersetzen. In Wien, das Südtirol nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg an den Gewinner Italien verlor, verkündete die FPÖ im Nationalrat, Österreich müsse "Südtirol die Möglichkeit geben, sich dem italienischen Abwärtsstrudel zu entziehen". Als erster Schritt soll Südtirolern nach ungarischem Vorbild die österreichische Staatsbürgerschaft gewährt werden. Die Lega Nord, die bei den letzten Parlamentswahlen 2008 im Norden teilweise 25 und mehr Prozent der Stimmen erzielte und auch in zwei Regionen, mehreren Provinzen sowie Städten und Gemeinden regiert, hat angekündigt, die neue Immobiliensteuer zu boykottieren. Legachef Umberto Bossi, unter Berlusconi Vizepremier, will mit der Einführung einer eigenen Währung die Bildung eines norditalienischen Separatstaates Padanien einleiten. Lega-Abgeordnete wollen ein eigenes Parlament bilden, die Camice Verde (Grünhemden), eine bewaffnete Miliz der Lega, soll Grundstock einer eigenen Armee werden, führende Militärs zeigten, wie Bossi sich verhalten ausdrückte, Interesse an dem Projekt.

Das ist durchaus ernst zu nehmen, entstand die Lega doch 1991 unter dem Slogan "Weg vom Rom" und hin zu Deutschland. Den Hintergrund bildete die im Ergebnis des Zusammenbruchs des Ostblocks vor allem von Deutschland favorisierte Zerstückelung Jugoslawiens, die Spaltung der Tschechoslowakei und die nach der Einverleibung der DDR wiedererwachende deutsche Großmachtrolle. Die Lega entstand im Februar 1991 aus den sechs regionalen Ligen der Lombardei und des Veneto (beide einst Habsburger Besitz), Piemonts, Liguriens, der Emilia Romagna und der Toskana. Sie propagierte von Anfang an die Bildung eines Separatstaates, als dessen historische Wurzeln sie die Zugehörigkeit der Norditaliener zu Langobarden, Kelten und Franken anführte. Durch dieses Konzept schimmerte die berüchtigte faschistische Blut- und Boden-Ideologie, an deren Stelle lediglich die etwas weniger diskreditierten ethnischen und kulturellen Differenzen traten. Zum Programm der Lega wurde ein offener Rassismus der die Süditaliener einschloss. Er gipfelte beispielsweise in der Hetze gegen den Fußballclub von Neapel, der in Mailand von Lega-Anhängern mit Spruchbändern empfangen wurde, auf denen stand: "Was Hitler mit den Juden gemacht hat, wäre auch das Richtige für Napoli" oder "Keine Tierversuche - nehmen wir Neapolitaner". Zu den Kritikpunkten gehörte schon damals die Subventionierung des armen Mezzogiorno durch den reichen Norden. Die Forderungen der Lega, die streckenweise "abgeschwächt" wurden auf regionale Autonomie bis hin zu föderalen Strukturen, entsprachen schon damals den ökonomischen Interessen der großen Konzerne, sich am supranationalen "Alpengroßraum" der EU zu beteiligen. Unter diesen Gesichtspunkten zählte FIAT zu den Protegés der Lega.

Das Lega-Konzept ordnete sich in den neu entbrannten Kampf des europäischen und US-amerikanischen Kapitals um Einflusssphären ein. Das wurde an der Position des damaligen deutschen Außenministers Genscher sichtbar, der zu Italien betonte, sein nördlicher Teil werde entdecken, "dass er mehr gemeinsame Interessen mit Süddeutschland als mit Süditalien hat". Die "International Herald Tribune" gab die Meinung aus Washington wieder und warf Deutschland eine Ausdehnung seines Einflusses über Österreich nach Süden bis Mailand vor. Der Mailänder "Corriere della Séra" sprach ebenfalls unverblümt vom Stattfinden "der Neuaufteilung des europäischen Raumes und der Eroberung neuer Einflusssphären", die innerhalb eines "historischen Raumes" stattfänden.

Diese Aspekte haben sich im Zusammenhang mit der von Berlin vorangetriebenen Rettungsschirmpolitik der EU und der daraus resultierenden enorm vorangetriebenen deutschen Vorherrschaft noch mehr verstärkt. Unter dem Interimspremier Mario Monti sucht das italienische Kapital Anschluss an Deutschland, die führende europäische Wirtschaftsgroßmacht. Dabei wollen sie das eigene Gewicht stärken und den Ballast des Südens loswerden.


Zu historischen und aktuellen Aspekten verweisen wir auf das Buch unseres Autors "Geschichte Italiens. Vom Risorgimento bis heute", Papyrossa Verlag Köln 2008, besonders das Kapitel "Wende auf Italienisch", S. 251-274.


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Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2011