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ITALIEN/013: 100 Tage Regierung Monti - eine erste Bilanz (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Politikanalyse

100 Tage Regierung Monti: eine erste Bilanz

Von Sergio Grassi, März 2012


• Die Ablösung der Regierung Berlusconi durch den Wirtschaftsprofessor und ehemaligen EU-Kommissar Mario Monti Mitte November 2011 kam auf dem Höhepunkt der Refinanzierungskrise Italiens und sollte die Handlungsfähigkeit der italienischen Regierung im nationalen wie europäischen Kontext wiederherstellen.

• Die neue »Technikerregierung« unter Monti nutzte die Freude der Italienerinnen und Italiener über den Rücktritt Berlusconis, um ein Wachstums-, Spar- und Konsolidierungsprogramm aufzulegen. Das Maßnahmenpaket zeichnet sich bislang jedoch durch wenig soziale Ausgewogenheit aus und spielt eher den konservativen Kräften in die Hände. Innerhalb der Partito Democratico (PD/Demokratischen Partei) führt die Positionierung gegenüber der Politik Montis zu Flügelkämpfen und einer Identitätskrise.

• Die italienische Linke steht vor der schwierigen Aufgabe, die bisherige soziale Unausgewogenheit der Monti-Regierung zu korrigieren und gleichzeitig ihre eigene Zerrissenheit zu überwinden, um eine Rückkehr Berlusconis oder das Aufkommen einer »sauberen« Rechten zu verhindern.

• Gleichzeitig muss sie im In- wie im Ausland starke Bündnispartner für eine alternative Wirtschafts- und Finanzpolitik auf EU-Ebene gewinnen. Dies bedeutet taktisch, die EU-Politik von Monti zu unterstützen und zugleich ein breites sozialistisches Bündnis auf europäischer Ebene anzustreben, vor allem mit den sozialistischen Parteien in Frankreich und Deutschland, um eine radikale Wende auf der Ebene der EU-Politik durchzusetzen.


Die Ablösung der Regierung Berlusconi durch den Wirtschaftsprofessor und ehemaligen EU-Kommissar Mario Monti Mitte November 2011 kam für viele Beobachter überraschend, war aber im Grunde längst überfällig. Auf dem Höhepunkt der Refinanzierungskrise für den italienischen Staat wurde Monti von einem internationalen Kongress in Berlin durch Staatspräsident Napolitano schnell zu Konsultationen nach Rom bestellt. Internationale Presseorgane wie die Financial Times tippten zunächst auf Monti als neuen Finanzminister einer mutmaßlichen Regierung Giuliano Amato. Auf jeden Fall hatte Monti schon in Berlin eine klare Vorstellung über das, was Italien brauchte, um aus der schweren Krise herauszukommen: »Italien hat eine riesige Arbeit zu bewältigen«; und weiter bei seinem damaligen öffentlichen Auftritt in Berlin: »Das Wachstum verlangt nach Strukturreformen, die den privilegierten gesellschaftlichen Gruppen all diese Privilegien wegnehmen« (Corriere della Sera, 10.11.2011). Rom sollte jede Anstrengung unternehmen, um in die deutsch-französische Partnerschaft mehr einbezogen zu werden: dies »liege im gemeinsamen Interesse«. Mit diesen für Italien und Europa vielversprechenden Voraussetzungen flog Monti zu Napolitano, um von ihm den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung zur Rettung des Landes zu bekommen. Nach kurzem Zögern ließ sich auch Berlusconi überreden, seinen Platz zu räumen. Sein Kommentar dazu: »Es wäre besser zu wählen, aber die Finanzmärkte warten nicht« (Corriere della Sera, 10.11.2011). Der längst zum Polit-Clown heruntergekommene Berlusconi zeigte plötzlich Einsicht und zog sich ohne Widerstand zurück. Zu stark war auch die Angst hinsichtlich der unsicheren Zukunft seines Medienimperiums Mediaset, dessen Aktien gerade abgestürzt waren. Berlusconi hatte im letzten Augenblick noch gehofft, den Parteifreund Lamberto Dini als Nachfolger bestimmen zu können, musste sich aber schließlich mit Mario Monti abfinden.

Als Eckpfeiler seines Programms nannte Mario Monti neben der dringenden Sanierung der Staatsfinanzen, Wettbewerb, Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen. So war die italienische Wirtschaft im vierten Quartal 2011 um 0,7 Prozent geschrumpft, die Jugendarbeitslosigkeit auf 31 Prozent geklettert. Am 24. Januar 2012 schlug Monti daher ein sogenanntes Wachstumsdekret (»decreto cresci Italia«) für Italien vor, bei dem eine Liberalisierung des Dienstleistungssektors zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit im Zentrum steht. Die soziale Ungleichheit versprach er durch eine Steuerreform zu reduzieren. Für mehr Steuergerechtigkeit und höhere Staatseinnahmen kündigte er darüber hinaus an, hart gegen Steuerhinterziehung vorzugehen, was er mit groß angelegten Steuerrazzien medienwirksam untermauerte. Durch diese Politik setzt sich Monti auch dezidiert von seinem Vorgänger ab, der die Italienerinnen und Italiener sogar öffentlich dazu aufgerufen hatte, es ihm gleichzutun und das Steuersystem zu umgehen. Schätzungen gehen davon aus, dass dem italienischen Staat jährlich zwischen 120 und 150 Milliarden Euro entgehen. Die Turiner Tageszeitung La Stampa würdigte Monti emphatisch als »Gegengift gegen den Zusammenbruch« (zitiert nach der Süddeutschen Zeitung vom 10.11.2011).

In den folgenden Tagen sicherte sich Monti auch eine breite Mehrheit im Parlament; nur die Lega Nord und die Antikorruptionspartei Italia dei Valori (IDV/Italien der Werte) des ehemaligen Staatsanwalts Antonio Di Pietro kündigten ihre Opposition gegen die Spar- und Reformpläne der neuen Monti-Regierung an. Zahlreiche Professoren, Wissenschaftler und Bänker in der Regierungsmannschaft - mehr oder weniger politisch unabhängig - konnten in der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln, jenseits der Parteienegoismen und nur im Interesse des Landes zu wirken.

Die Mehrheit der Italienerinnen und Italiener freute sich über den Rücktritt Berlusconis und hoffte auf eine radikale Wende in der Tätigkeit der Regierung. Nachdem die erste Erleichterung über den Abschied Berlusconis verflogen ist, kann man eine zunächst provisorische Bilanz ziehen. Hat die Regierung Monti die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen können?

Die zunächst Anfang Dezember 2011 verfügten Sparmaßnahmen (das sogenannte decreto »salva italia«) wiederholen im Wesentlichen die Maßnahmen der Sparpakete der früheren Regierung Berlusconi-Tremonti: höhere Steuern für Millionen Lohnabhängige und Rentner, keine Steuererhöhungen auf Einkommen oder Vermögen der Besserverdienenden einerseits und Ausgabenkürzungen vor allem auf Kosten der Rentner, der Wohnungsbesitzer und der Verbraucher im allgemeinen (kräftiges Steigen der Benzinsteuer ab sofort, Wiedereinführung der Grundsteuer und die für die zweite Hälfte 2012 geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer von 21 auf 23 Prozent) andererseits. Schon ab 2012 wird das Renteneintrittsalter für alle Männer und Frauen im öffentlichen Dienst auf 66 Jahre, für Frauen in der Privatwirtschaft auf 62 Jahre angehoben. Zudem wird für alle Renten über 936 Euro pro Monat im nächsten Jahr die Anpassung der Lebenshaltungskosten (an die Inflation) suspendiert. Bei einem Gesamtsparpaket in Höhe von 30 Milliarden Euro fallen 17 Milliarden Euro auf Steuererhöhungen und 13 Milliarden Euro auf Ausgabenkürzungen. Ergänzt wird das Paket durch Einschnitte in das Gesundheitswesen, die höhere Patientenzahlungen nach sich ziehen werden. Insgesamt kann man es als einen gezielten Angriff auf die Kaufkraft der gering verdienenden Schichten und damit der Gesamtnachfrage bezeichnen. Damit riskiert der Ministerpräsident nicht nur schrittweise die Sympathie der Bevölkerung zu verspielen, sondern verschärft auch die Rezession in Italien.

Die von der öffentlichen Meinung geforderten Kürzungen im Bereich Politik (Vergütungen für Abgeordnete, höhere Beamten, Diplomaten, Staatsmanager, hohe Offiziere der verschiedenen Gattungen etc.) haben hingegen bislang nicht stattgefunden. Die in der Regierungserklärung angekündigten Maßnahmen für Wachstum und soziale Gerechtigkeit sind auf die sogenannte zweite Phase verschoben worden. Die in Aussicht gestellten Reformen der öffentlichen Administration, die Reform des Steuersystems und die Einführung einer Art von Arbeitslosen- und Grundsicherung werden nur theoretisch diskutiert und vermutlich ohne praktische Umsetzung bleiben. Entgegen den geweckten Erwartungen ist somit die versprochene Gerechtigkeit bislang zu kurz gekommen. Besserverdienende, Selbstständige sowie die Gewinne aus Finanztransaktionen bleiben verschont, während Lohnabhängige und die Mehrheit der Rentnerinnen und Rentner die Hauptlast der Opfer zu tragen haben.

Der von Monti im Parlament angekündigte Wille, »die Steuerhinterziehung zu treffen«, mit dem Ziel, die Steuern für Arbeitnehmer und Unternehmen langfristig zu senken, ist bis heute eine reine Absichtserklärung geblieben. Spektakuläre Kontrollaktionen der Steuerfahndung (Guardia di Finanza) an Winterurlaubsorten und in Luxusgeschäften in Mailand und Rom haben für Aufsehen in der bürgerlichen Presse gesorgt - auf konkrete Ergebnisse warten vor allem die Lohnabhängigen und die Rentner, die an der Quelle bis auf den letzten Cent besteuert werden. Die angeblich von der EU verlangte sofortige Erhöhung des Rentenalters wurde trotz des anfänglichen Widerstands der Gewerkschaften von der Monti-Mehrheit im Eilverfahren beschlossen. Die neue Arbeitsministerin Fornero brach auf der Pressekonferenz, in der sie verkündete, dass die meisten Renten in Zukunft nicht mehr an die Inflation gekoppelt seien und damit faktisch sinken werden, in Tränen aus. Kritische Beobachter sahen darin aber lediglich Krokodilstränen. Ende Januar 2012 schlug Fornero vor, den Kündigungsschutz aufzuweichen und das Kurzarbeitsgeld zu beschränken. Darüber hinaus erklärte sie, dass man die Liberalisierung des Arbeitsmarkts notfalls auch gegen den Willen der Gewerkschaften durchsetzen werde. So plant die Monti-Regierung die sogenannte Liberalisierung bestimmter Berufe wie Taxifahrer, Apotheker, Notare etc. mit dem Argument, dass dadurch mehr Jobs, günstigere Tarife für die Verbraucher und auch mehr Einkommen erzielt werden könnten. Nach Ansicht Montis hätten sich diese Berufsgruppen bislang abgeschottet und dadurch Wettbewerbsfähigkeit verhindert. Die betroffenen Berufsgruppen reagierten prompt mit Streiks bzw. deren Androhung. Susanna Camusso von der Gewerkschaft Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CIGL) kritisierte, Liberalisierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarkts dürfe nicht die Schaffung eines neuen Prekariats bedeuten. Zahlreiche berufständische Organisationen und Berufsgenossenschaften reagierten ebenfalls mit Protesten. Lastwagenfahrer blockierten die wichtigsten Autobahnen, nachdem die Regierung Monti in ihrem Nothaushalt im Dezember angekündigt hatte, die Benzinpreise über Zusatzsteuern zu erhöhen.

Trotz dieser Proteste sind weiterhin eine stärkere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, eine Erleichterung der Kündigungen im privaten Sektor und Neuregulierung der Arbeitsverträge beabsichtigt, mit dem vorangigen Ziel, potenzielle Neuinvestitionen zu stimulieren. Woher diese Investitionen, angesichts der gegenwärtigen und zukünftigen Rezession (für 2012 wird ein Rückgang von bis zu 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukt erwartet), der stagnierenden Staatsinvestitionen und der steigenden Zinsen für Staatsanleihen zur Deckung der riesigen Schuldenlast (ca. 1,9 Billionen Euro) kommen sollen, haben Monti und seine Minister allerdings bisher nicht erklärt. Grundsätzlich zu begrüßen ist hingegen die kürzlich angekündigte Kürzung der Militärausgaben um 30 Prozent in den nächsten Jahren, was allerdings den vorgesehenen Einsparungen in anderen NATO-Ländern entspricht.

Zugunsten von Montis Maßnahmenpaket wird angeführt, dass sich die wirtschaftlichen Indikatoren Italiens in den vergangenen Monaten bereits verbessert hätten. So führen auch Bundeskanzlerin Merkel und ihr Finanzminister den Rückgang des Zinszuschlags (Spreads), also die Differenz der Refinanzierungszinsen Italiens im Vergleich zu beispielsweise Deutschland, auf die Politik Montis zurück. Dabei ist jedoch unklar, inwieweit die eingetretene Verbesserung tatsächlich auf die Politikmaßnahmen des neuen italienischen Regierungschefs zurückzuführen ist. Es spricht vieles dafür, dass die Reduzierung der Spreads vielmehr auf die im Dezember 2011 vollzogene Intervention der Europäischen Zentralbank (EZB) zurückgeht. Um eine Kreditklemme zu verhindern und die Kreditvergabe der Banken zu stimulieren, hatte sich EZB-Präsident Mario Draghi seinerzeit mit seinem Vorstoß (im Zentralbankrat) durchgesetzt, den Banken einen dreijährigen Großkredit über knapp 500 Milliarden Euro zu einem Niedrigzins von knapp einem Prozent zu gewähren. Wie von Draghi erhofft, nutzten die Banken das Geld u. a., um spanische und italienische Staatsanleihen zu kaufen. Erst diese Maßnahme der EZB, die in Fachkreisen als taktische Meisterleistung gilt, führte zu einer deutlichen Stabilisierung der Märkte. Die EZB hat durch ihr Eingreifen potenziellen Investoren signalisiert, dass sie im Notfall eingreift. Da dadurch aus Sicht der Investoren das Risiko einer Pleitewelle gesunken ist, strömt nun auch wieder privates Kapital in die Anleihemärkte. Demnach wäre nicht Mario Monti, sondern sein Namensvetter Mario Draghi hauptverantwortlich für die Verbesserung der Refinanzierungskonditionen Italiens.

In der Öffentlichkeit inszeniert sich der italienische Regierungschef gern als Gegenspieler der deutschen Bundeskanzlerin. So kritisierte er mehrfach, dass vor allem den südeuropäischen Länder die Schuld für die derzeitige Krise in die Schuhe geschoben würde. Frankreich und Deutschland tragen seiner Aussage nach jedoch eine nicht unerhebliche Mitschuld, da sie seinerzeit den EU-Stabilitätspakt aufgeweicht hätten. Neben der Forderung nach Eurobonds hat Monti die deutsche Bundesregierung auch insgesamt zu mehr Unterstützung aufgefordert und vor zunehmend antieuropäischer Stimmung in seinem Land gewarnt. Gleichzeitig agiert er jedoch bislang ganz im Sinne der deutschen Bundeskanzlerin, die eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und eine Konsolidierung des Staatshaushalts als Allheilmittel für Europa propagiert.

Eine Politik, die sich allein auf das harte Sparen beschränkt, wäre jedoch die falsche Medizin für Italien und würde eher noch krisenverschärfend wirken. Die einzige Hoffnung für Italien liegt daher in einer Wende der EU-Wirtschafts- und -Finanzpolitik, vor allem seitens der wichtigsten Partner Deutschland und Frankreich. Nur in einem neuen europäischen Kontext, mit neu gewählten progressiven Regierungschefs in den beiden großen Nachbarländern, könnten die schmerzhaften Restrukturierungsmaßnahmen Montis durch die Schaffung einer supranationalen Wirtschaftsregierung, eine gesamteuropäische Wachstumsstrategie, gemeinsame Anleihen sowie eine Reform der Finanzmärkte ergänzt werden und sich Italien langfristig erholen.

Als positiv zu bewerten ist in diesem Zusammenhang sicherlich, dass Monti auf internationalem Parkett - im Gegensatz zu seinem Vorgänger - mit seinem staatsmännischen Auftreten großes Ansehen genießt. So ist Italien mit Monti wieder als seriöser Partner an den Verhandlungstisch der großen europäischen Länder zurückgekehrt - auch in den USA bei der Regierung Obama, was bei Berlusconi längst absolut ausgeschlossen war. Der Auftritt Montis im Europäischen Parlament am 15. Februar 2012 ist von den anwesenden Abgeordneten mit standing ovations begrüßt worden. Auch erntete er den Applaus der Europa-Abgeordneten, als er sagte, dass Italien Schritt für Schritt »aus der Schattenzone« herauskomme. Bedauerlicherweise hat man dabei jedoch ausgeblendet, dass die Rede Montis auch eine deutliche Kritik an der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU enthielt, die einseitig auf die Sanierung der Staatsfinanzen ausgerichtet ist, und die Notwendigkeit des Wachstums, der sozialen Ausgewogenheit und der Solidarität zwischen den EU-Staaten, zwischen dem Zentrum und der Peripherie, vernachlässigt. Denn ohne eine radikale Änderung der bisherigen EU-Wirtschafts- und -Finanzpolitik, hat selbst die hoch gefeierte Regierung Monti kein Erfolgsrezept, um die angeschlagene italienische Wirtschaft wieder anzukurbeln. So werden die versprochenen Maßnahmen, die der Förderung des Wachstums dienen sollten, weiterhin ohne praktische Wirkungen bleiben. Die Regierung Monti soll bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahre 2013 im Amt bleiben, um dann wieder ihren Platz bei Neuwahlen freizumachen - in der vagen Hoffnung, dass bis zu diesem Datum die wirtschaftlichen Probleme des Landes gelöst seien. Eine Voraussetzung dafür ist jedoch eine wesentliche Änderung der bisherigen Politik der EU-Organe und der Achse Merkel-Sarkozy. Anderenfalls läuft die »Technikerregierung« von Mario Monti Gefahr, zu einer Variante des Thatcherismus der 1980er Jahre zu werden.

Diese Gefahr wird zusätzlich in der italienischen Innenpolitik durch die praktische Einschränkung des demokratischen Wettbewerbs verschärft. So wird die Regierung Monti paradoxerweise von einer breiten, aber heterogenen Koalition der »nationalen Verantwortung« getragen, die die Popolo della Libertà (PDL) Berlusconis, die ehemalige Opposition (PD) und die neue zentristische Formation (Il Terzo-Polo) umfasst. Sie wird als eine Art »Notstandsregierung« auf Zeit angesehen, mit dem Ziel, die Maßnahmen zur Sanierung des Staatshaushalts zu treffen und dann am Ende der Legislaturperiode (Frühjahr 2013) wieder den Weg für Neuwahlen freizumachen. Damit ist eine anomale politische Lage entstanden, da die in der Bevölkerung umstrittenen Sparmaßnahmen von fast allen im Parlament vertretenen Parteien getragen werden. Der Volkswille und die politische Repräsentanz klaffen somit auseinander, während die notwendige parlamentarische Dialektik zwischen Mehrheit und Opposition vorübergehend ausgeschaltet wurde.

Man muss Mario Monti die Fähigkeit zuerkennen, die »Opferpolitik« in den Medien gut zu verkaufen und - nach den jahrelangen skurrilen Auftritten Berlusconis - durch sein seriöses Auftreten eine große Glaubwürdigkeit bei den Zuschauern und bei Umfragen zu erzielen. Trotz vieler Proteste unterstützt nach einer Umfrage des Corriere della sera bislang eine Mehrheit der Italienerinnen und Italiener (von 58 Prozent) Montis Politik. Hierbei muss man jedoch die hohen Sympathiewerte für den - insbesondere gegenüber seinem Vorgänger - als integer geltenden Technokraten Monti berücksichtigen, die auch seine Politik in einem anderen Licht erscheinen lassen. Die dadurch entstandene verzerrte Wahrnehmung wird durch die von Monti propagierte Ausgewogenheit seiner Politik zusätzlich befördert. Die von Monti deklarierten Ziele - nämlich neben Wachstum auch soziale Gerechtigkeit zu fördern - und die bisher umgesetzte Politik klaffen jedoch weit auseinander. Dementsprechend könnte die Unterstützung für seine Politik auch schnell einbrechen, wenn die Anfangseuphorie über das Ende der Ära Berlusconi verflogen und sich der Schock über die vermeintliche Zahlungsunfähigkeit Italiens gelegt hat.

Man hat den Eindruck, dass der kühle Wirtschaftsprofessor innerhalb kurzer Zeit das umsetzen konnte, was sein Vorgänger jahrelang angestrebt, jedoch nie hatte durchsetzen können. Politisch gesehen ist Berlusconi mit den bisherigen Maßnahmen der Regierung Monti dementsprechend durchaus zufrieden, was er auch öffentlich immer wieder bekundet hat. Berlusconi wird allerdings zunehmend von dem Albtraum geplagt, in absehbarer Zukunft in einem der Prozesse, die noch gegen ihn laufen, verurteilt zu werden. Denn bisher ist noch ungeklärt, ob die parlamentarische Immunität (Berlusconi ist noch Parlamentsabgeordneter) ihn vor möglichen Verurteilungen schützen wird. Er ließ jedoch verlauten, er rechne damit, dass er und seine Minister wieder in ihre ursprünglichen Positionen zurückgewählt werden würden. Trotz der gegenwärtig für seine Partei schlechten Umfragewerte schöpft Berlusconi sicherlich auch Zuversicht aus der Tatsache, dass sich die politische Kultur in Italien bislang nicht grundlegend geändert hat.

Innenpolitisch bedenklich ist auch die Lähmung der Demokratischen Partei (PD), die zwar zur Zeit (mit 25 bis 30 Prozent Unterstützung) in den Umfragen vorn liegt, aber intern durch Flügelkämpfe zerrissen ist und eine schwere Identitätskrise erlebt: So befürwortet Parteichef Pierluigi Bersani ein Bündnis mit der Sinistra Ecologia e Libertà (SEL) und der Partei des ehemaligen Anti-Korruptionsanwalts, Antonio Di Pietro, Italia dei Valori (IDV). Doch starke innerparteiliche Oppositionskräfte - allen voran Bersanis Vorgänger als Parteichef, Walter Veltroni - lehnen diese Bündniskonstellation ab. Der von ihm vertretene rechte Flügel der PD strebt ein Bündnis mit dem Dritten Pol (bestehend aus ehemaligen Christdemokraten: Unione di Centro (UdC/Union der Mitte), Fini-Anhängern und Neoliberalen: Futuro e libertà) an, der in der Spagatpolitik Montis seine große Chance sieht. So besteht die Hoffnung darin, dass sich bis zu den Wahlen April 2013 ein völlig neues Bündnis formiert haben wird, in dem der Dritte Pol Teile des bisherigen Berlusconi-Lagers ebenso wie den rechten Flügel der PD vereint. Gleichzeitig könnte eine erneut gespaltene Linke, die von der sozialen Unausgewogenheit der Politik Montis zerrieben wird, erheblich an Bedeutung in der italienischen Parteienlandschaft verlieren, so das Kalkül dieser neu entstehenden »sauberen Rechten«.

So hatte die PD eigentlich versprochen, das Sparpaket im Parlament verbessern zu wollen, konnte im Endeffekt zur Enttäuschung der eigenen Anhänger aber kaum praktische Resultate vorweisen. Die IDV hingegen hat im Abgeordnetenhaus gegen das Sparpaket votiert, während die gegenwärtig nicht im Parlament vertretene SEL ebenfalls ihre Opposition angekündigt hat. Das von der PD notgedrungen mitgetragene Sparprogramm Montis wirkt sich somit bereits jetzt zersetzend auf eine mögliche linke Wahlallianz aus. Während sich die PD gegenwärtig erneut als Partei ohne klaren Kurs präsentiert, gelten Teile der Gewerkschaften, die IDV sowie weitere Gruppierungen wie die SEL und der Verband der Linken (Federazione di Sinistra) als die einzig wirkliche Opposition im Lande. Die Opposition der vorwiegend ausländerfeindlichen Lega Nord hat eher opportunistische Gründe und zielt darauf, die unzufriedenen Wählerinnen und Wähler aus dem rechten Lager künftig an sich zu binden.

Die italienische Linke steht somit vor der schwierigen Aufgabe, die bisherige soziale Unausgewogenheit der Monti-Regierung zu korrigieren, ihre eigene Zerrissenheit zu überwinden, um eine Rückkehr Berlusconis oder das Aufkommen einer »sauberen« Rechten der wieder auferstandenen Christdemokraten um Casini, Fini und Co. zu verhindern. Sie muss aber gleichzeitig - im Inland wie im Ausland - starke Bündnispartner für eine alternative Wirtschafts- und Finanzpolitik auf EU-Ebene gewinnen. Dies bedeutet taktisch, die EU-Politik von Monti zu unterstützen und zugleich ein breites sozialistisches Bündnis auf europäischer Ebene, vor allem mit den sozialistischen Parteien in Frankreich und Deutschland anzustreben, um eine radikale Wende auf der Ebene der EU-Politik durchzusetzen.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2012