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ITALIEN/027: Italien vor den Parlamentswahlen im April 2013 (Gerhard Feldbauer)


Italien vor den Parlamentswahlen im April 2013

Nach Berlusconis Sturz bläst Italiens Rechte zum Gegenangriff

von Gerhard Feldbauer, 12. November 2012



Vor gut einem Jahr, am 12. November 2011, wurde der faschistoide Mediendiktator Silvio Berlusconi zum Rücktritt gezwungen. 1994, 2001 bis 2006 und nochmals ab 2008 hatte der reichste Kapitalist des Landes mit seiner zuletzt Volksfreiheitspartei (PdL) getauften autoritären Führerpartei im Bündnis mit der faschistischen Partei Alleanza Nazionale (Nachfolger der 1946 gegründeten Mussolininachfolgerpartei MSI) und der offen rassistischen Lega Nord gebildeten rechtsextremen Koalition das Land mit einem wüsten Antikommunismus regelrecht tyrannisiert und den letzten Rest bürgerlicher Demokratie zur Makulatur werden lassen. Mit ihm regierte einer der übelsten Kriminellen das Land. Über 30 gegen ihn geführte strafrechtliche Ermittlungen wegen Bestechungen, Steuerbetrug, Bilanzfälschungen, der Führung von Tarnfirmen und diverser weiterer Delikte, darunter, wie in Liechtenstein vermutet wurde, auch Geldwäsche, hatte er durch immer neue Strafverhinderungsdekrete (Lex Berlusconi) niedergeschlagen und damit für viele Anklagen Verjährung durchgesetzt. Erst als er nach dem Rücktritt keine Immunität mehr besaß, wurde er im Oktober 2012 von einem Mailänder Gericht in erster Instanz wegen Steuerbetrugs, der Führung von Tarnfirmen und Schwarzgeldkonten zu vier Jahren Gefängnis, 10 Millionen Euro Geldstrafe und dem Verbot, fünf Jahre keine öffentlichen Ämter auszuüben verurteilt.(1) Als nächstes steht der sogenannte Ruby-Prozess wegen Sex mit einer minderjährigen Prostituierten im Zusammenhang mit Amtsanmaßung an. Als die Marokkanerin Rubacouri (Herzensdiebin) später in polizeilichen Gewahrsam genommen wurde, ordneten Berlusconi an, sie freizulassen, da sie eine Nichte des (damaligen) ägyptischen Präsidenten Mubarak sei.


Kapital ließ Berlusconi fallen

Sein Wirtschaften in die eigene Tasche wollten zuletzt selbst die führenden Kapital-Kreise im Lande nicht länger hinnehmen. Der Anteil Italiens am Welthandel ging während Berlusconis letzter Amtszeit von 4,7 auf 2,9 Prozent zurück, die Industrieproduktion sank um 3,8 Prozent ab, während das Privatvermögen des Mediendiktators dagegen laut des Mailänder "Espresso" auf zwölf Milliarden Dollar anwuchs. Cordero di Montezemolo, Agnelli-Erbe und Ferrari-Chef, lange Jahre Präsident des Unternehmerverbandes Confindustria, sprach ein Machtwort und gab Berlusconi "die Schuld am Bankrott des Landes" und der "beispiellosen Staatskrise". Dazu kamen die Sorgen vor einer drohenden Herabstufung der Kreditwürdigkeit und dass Rom wie Athen schon bald am Tropf der EU hängen könnte. Italiens Staatsverschuldung belief sich auf 1.900 Milliarden Euro. Es belegte dabei mit 120 Prozent des BIP den zweiten Platz hinter Athen. Auch in der EU wollte man nicht länger dem Treiben Berlusconis zusehen. Dort wurde befürchtet, er werde sich außerstande erweisen, die Vorgaben aus Brüssel zur Unterordnung der italienischen Wirtschaft unter den vor allem von der deutschen Kanzlerin bestimmten EU-Kurs durchzusetzen.


Aufwärtstrend für Mitte Links

Berlusconis Sturz beschleunigte dann der zunehmende Widerstand der Parteien der Linken Mitte: Die mit dem katholischen Zentrum Margherita 2007 zur Demokratischen Partei (DP) fusionierten früheren Linksdemokraten; die neue Linkspartei Umwelt und Freiheit (SEL); die Wertepartei Italiens (IdV) des früheren Korruptionsermittlers, Antonio di Pietro, und die kommunistischen Parteien (Neugründung PRC und Partei der Kommunisten Italiens PdCI). In wachsenden Demonstrationen im Oktober/November ertönte immer unüberhörbarer der Ruf "weg mit Berlusconi". Wäre Berlusconi nicht schon im November 2011 zu Fall gebracht worden, hätten ihn dann sicher die Bürgermeisterwahlen im Mai 2012, bei denen Mitte Links einen klaren Sieg errang und mit Spitzenergebnissen zwischen 60 und über 70 Prozent fast überall die vorderen Plätze belegte, hinweggefegt. Die PdL kam nur noch auf etwa zehn Prozent. In den Medien war fast durchgängig von einem "Tsunami für die Rechte" die Rede. Als erste Wahl seit der frühere EU-Kommissar und Wirtschaftsmanager Mario Monti nach dem Fall Berlusconis als Ministerpräsident eines sogenannten Technikerkabinetts amtierte war das Ergebnis ein deutlicher Protest gegen die rigoros fortgesetzte Abwälzung der Krisenlasten durch das von der EU diktierte Kürzungsprogramm Montis vor allem auf die arbeitenden Menschen und die Rentner. Der Übergangspremier hatte zwar mit der wüsten antikommunistischen Hetze Berlusconis Schluss gemacht, aber den von Berlin über Brüssel verordneten Sparkurs in "Reformen" verpackt ohne nennenswerte Abstriche fortgesetzt. Damit setzte der Regierungschef den Sozialabbau Berlusconis fort, der sich bereits auf rund 100 Milliarden Euro belief.


Linker Aufschwung verpuffte

Der Herbst 2011 war von einer wieder wachsenden Kampfkraft der Linken (Kommunisten, Basis-Gewerkschaften, Sozialzentren und Linkspartei) gekennzeichnet. Es gelang nach dem Sturz Berlusconis jedoch nicht, den von der linken Basis ausgehenden Aufschwung des außerparlamentarischen Kampfes zur Durchsetzung vorgezogener Neuwahlen zu nutzen. Staatspräsident Giorgio Napolitano, einst Politbüromitglied der IKP und Führer der revisionistischen Faktion, die 1989/90 die Liquidierung der Partei durch ihre Umwandlung in die sozialdemokratische Linkspartei PdS durchsetzte, verhinderte das. Obendrein stellte er sich vorbehaltlos hinter den EU-Sparkurs Montis.

Nach dem Erfolg bei den Bürgermeisterwahlen rief DP-Chef Luigi Bersani unter dem Druck der Basis in seiner Partei, die immer noch mehrheitlich von den früheren Linksdemokraten dominiert wird, dazu auf, auch für die im April 2013 anstehenden Parlamentswahlen die einst traditionelle Linke Mitte neu zu formieren. SEL-Vorsitzender Nicchi Vendola, derzeit Präsident einer Mitte-Links-Regional(Landes)-Regierung in Apulien, schloss sich dem Vorschlag an und in PRC und PdCI gab es (wenn an der Basis auch umstritten) Anzeichen, sich mit eigenen Kandidaten an der gemeinsamen Liste zu beteiligen. Der 62jährige Bersani ist ein zwar etwas farbloser, aber gerade deswegen an seiner Parteibasis recht beliebter Politiker. Er soll als Spitzenkandidat auf den nach US-amerikanischem Vorbild eingeführten Primarie (Vorwahlen) aufgestellt werden. Mit ihm an der Spitze werden der DP derzeit 40 Prozent und auch mehr Stimmen zugerechnet.


Etwas andere Akzente als bei der SPD

Zwar bekennt sich Bersani in typisch sozialdemokratischer Manier zur Zusammenarbeit mit dem Kapital, aber er setzt, im Gegensatz zur deutschen Sozialdemokratie, auf die traditionelle linke Ausrichtung von Mitte Links und lehnt eine Aufnahme der rechten Union Demokratischer Christen (UDC), einem früheren Bündnispartner Berlusconis ab. Das hat in der DP einen Widersacher auf den Plan gerufen, der auf bekannte herkömmliche Weise die Geschäfte der Rechten besorgt und nicht nur die Spitzenkandidatur Bersanis durch seine eigene Bewerbung, sondern damit auch einen Wahlsieg von Mitte Links in Frage stellt. Es ist der 37jährige Florenzer Bürgermeister, Matteo Renzi, der bereits vor den Primarie einen scharfen Wahlkampf führt, der an Populismus kaum zu überbieten ist. Unter Losungen wie "Italien braucht neue Gesichter" propagiert er "die Verschrottung" der alten Führergeneration, verlangt einen Wechsel "adesso" (jetzt) ohne ein Wahlprogramm oder auch nur konkrete vor allem soziale Forderungen vorzulegen, lässt sich stattdessen als der "beliebteste Bürgermeister Italiens" feiern. Für den Fall, dass er nicht nominiert wird, hatte er zunächst angekündigt, allein anzutreten. Es wurde befürchtet, dass es dann zu einer Spaltung der DP kommen könnte. Nach starken Protesten erklärte er danach, sich dem Ergebnis der Primarie zu fügen. Ob er sich daran hält, bleibt abzuwarten.


Italienische Piraten arbeiten Rechten zu

Den Rechten arbeitet auch die den deutschen Piraten ähnliche Movimento Cinque Stelle (Fünf Sterne) des Starkomikers Peppe Grillo in die Hände. Bei aller Kritikwürdigkeit an den herrschenden Verhältnissen entzieht er mit seinen substanzlosen Protesten den Linken Stimmen. Bei den Parlamentswahlen werden ihm zwölf Prozent zugetraut.

Für den Fall eines Patts bei den Wahlen 2013 spricht sich Rienzi für eine große Koalition von Rechts und Mitte Links aus. Das würde jedoch eine bedeutend mehr nach Rechts, oder besser gesagt Rechtsaußen ausgerichtete Koalition sein, als wir sie von den Komponenten CDU-SPD hierzulande kennen.

Denn die Initiative, Mitte Links einen Rechtsblock entgegenzustellen, geht von dem früheren Führer der AN-Faschisten und derzeitigem Parlamentspräsidenten Gianfranco Fini aus. 2007 war er mit seiner AN der PdL Berlusconis beigetreten. Bis dahin ein treuer Parteigänger Silvio Berlusconis kündigte er im Dezember 2010 dem Mediendiktator plötzlich die Gefolgschaft auf und stimmte mit seinen früheren AN-Anhängern in Abgeordnetenkammer und Senat gegen Berlusconi. Um ein Haar hätte er ihn gestürzt, wenn dieser nicht drei seiner Parlamentarier mit, wie verlautete, Millionen Euro pro Person bestochen und auf seine Seite gezogen hätte. Es war unschwer zu durchschauen, dass Fini in Absprache mit Montezzelo handelte, der mit ihm zusammen einen Thinktank "Italia Futuro" gegründet hatte. Es waren führende Kapitalkreise, die den Frontwechsel inszenierten. Jedenfalls formierte Fini schon Anfang 2011 aus den Reihen seiner alten Gefolgschaft eine neue Partei, deren Name "Zukunft und Freiheit" (FeL) dem des Thinktank "Italia Futuro" verblüffend ähnelte.


Vom Bewunderer Mussolinis zum moderaten Rechten

Mit ihr präsentierte sich der frühere Bewunderer Mussolinis ohne auch nur im geringsten dem Faschismus eine Absage zu erteilen, als geläuterter Faschist und moderater Rechter, der sich selbst zum Kandidaten eines neuen Mitte Rechts-Konzepts der Rückkehr "zu klaren politischen Lagern" präsentierte. Hatte er vorher nichts dagegen gehabt, wenn Lega-Chef Umberto Bossi äußerte, es sei leider "leichter Ratten zu vernichten, als Zigeuner auszurotten" und der Jagd seines Parteikameraden Alemanno (Bürgermeister von Rom) auf Sinti und Roma tatenlos zugeschaut, wendete er sich nun plötzlich gegen den Rassismus der Lega und Berlusconis Präsidialherrschaftsziele und gab vor, für die "Unverletzlichkeit der Institutionen" zu stehen, ging auf Distanz zur von Berlusconi ins extreme gesteigerten Hetze gegen alle Linken, die er nicht mehr "als Feind wahrnehmen und behandeln", sondern "in ihrer Andersartigkeit anerkennen" wollte. Seine neue Mitte-Rechts-Partei werde sich "deutlich von der PdL" abheben und "eine Politik betreiben, die nicht automatisch Nein sagt zu dem, was die Linke vorbringt, sondern in einigen Fragen die Übereinkunft mit ihr sucht".(2) Auf einem sogenannten Konvent "Mille per l'Italia" (Tausend für Italien) schlug er Anfang Oktober 2012 vor, gegen Mitte Links eine Allianz in Gestalt einer "großen nationalen Bürgerliste" zu bilden. UDC-Chef, Pierferdinando Casini, schloss sich enthusiastisch an. Ganz gleich in welcher Form, dürften die Lega und die PdL hinzukommen. (3) In Italien finden damit Wandlungen statt, die bereits in Spanien nach dem Tod Francos oder in Portugal nach dem Scheitern der Nelkenrevolution vor sich gingen. Es wird in Zukunft auch in Italien schwieriger werden, verdeckte Formen faschistischer Prozesse und die unter dem Deckmantel einer Wandlung vor sich gehenden Konservierungen faschistischer Politik und Ideologie und ihrer Traditionen zu enthüllen.


Merkels Furcht vor Mitte Links

An die Spitze des Rechtsblocks soll Monti gehievt werden. In dieser Situation hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Beunruhigung über die Entwicklung in Rom geäußert. Jedoch nicht über das demokratische Outfit, unter dem die früheren AN-Faschisten unter Fini jetzt antreten wollen. Nein, die deutsche Kanzlerin will einen Wahlsieg von Mitte Links in Rom verhindern und hat während eines Besuchs des italienischen Premiers Ende August 2012 in Berlin offen dem Vorgehen der Rechten Schützenhilfe geleistet, indem sie äußerte: "Wir sind sehr beunruhigt, was nach den Wahlen in Italien geschehen könnte" und für ein "Verbleiben des Professors" im Palazzo Chigi (Regierungssitz) plädiert.(4) Da das Vorhaben auf scharfe Proteste vor allem seitens der DP und der SEL stieß, hält Monti sich nach einer grundsätzlichen Erklärung, bei "besonderen Umständen" ein zweites Mal zur Verfügung zu stehen, vorerst zurück. Kandidieren könnte er ohnehin nicht, da er vor seiner Berufung von Staatspräsident Napolitano noch schnell zum Senator auf Lebenszeit ernannt wurde. Dass er den Titel zurückgibt ist nicht zu erwarten.(5) Seine Stunde dürfte nach der Wahl kommen. Entweder als Regierungschef einer Rechtskoalition, wenn sie einen Wahlsieg schafft und Fini vorerst in die Warteschleife geschickt wird, oder bei einem Patt an der Spitze einer Großen Koalition, für die bereits jetzt die Trommel gerührt wird.


Die Verantwortung der Kommunisten

In dieser schwierigen Situation liegt eine große Verantwortung bei den Kommunisten.

Der PRC-Parteitag 2008, der Lehren aus der Wahlniederlage (nach der die Linke nicht mehr im Parlament vertreten ist) zog, beschloss, eine entschiedene »Wende nach links« und dazu eine »Wiederbelebung des Klassenkampfes« mit kämpferischen Aktionen. Das gab der Basis die Kraft, zum Sturz Berlusconis beizutragen. Aber dieser Schwung verpuffte, vom Kampfprogramm von 2008 ist heute keine Rede mehr. Es fehlt ein Forderungskatalog zur Wiederherstellung grundlegender demokratischer Freiheiten. Die Forderungen beschränken sich auf den sozialen Bereich. Dass dieser einen Schwerpunkt bilden muss, ist völlig richtig, aber das reicht nicht aus. Noch nicht einmal die starken Proteste gegen die Beteiligung am NATO-Krieg in Afghanistan, der bisher 46 italienischen Soldaten den Tod brachte, werden aufgegriffen und der sofortige Abzug verlangt. Die Manöver, der FeL Finis, aber auch der faschistoiden PdL-Partei Berlusconis ein demokratisches Outfit zu verschaffen, werden unwidersprochen hingenommen.

Noch vor den Wahlen sollten sich, so Forderungen an der Basis, PRC und die von ihr abgespaltene PdCI wieder vereinigen, um eine starke linke Basis zu bilden. Auch in Italien spielen jedoch Personalfragen ein große Rolle. PRC-Vorsitzender Paolo Ferrero lehnt ab. Er befürchtet, in einer vereinigten KP nicht den Vorsitz zu erhalten. Damit fehlt ein wichtiges Signal der Ausstrahlung auf die SEL, denn es wäre auch möglich, dass Kommunisten und Linkspartei in einem eigenen Wahlbündnis antreten.

Es gibt Stimmen in PRC und PdCI, die Kommunisten sollten allein antreten, schon um zu sehen, auf wie viele Wähler sie noch zählen können. Selbst wenn der Wiedereinzug ins Parlament nicht gelänge, wäre das besser für den künftigen Kampf, als einer DP-geführten Regierung der Zusammenarbeit mit dem Kapital, oder bei ihrem Beitritt zu einer "Großen Koalition", der möglicherweise auch die PdL Berlusconis und die Fel Finis angehören könnten, als linkes Feigenblatt zu dienen. Noch ist offen, wie die Entscheidungen ausfallen werden.


Fußnoten:

(1) Tiefer Fall des Zampanos, jW, 30./31. Okt. 2012.
(2) Interview für "Repubblica", 22. Okt. 2011.
(3) Rechte schmiedet Block. JW, 10. Okt. 2012.
(4) Merkel beunruhigt. JW, 31. Aug. 2012.
(5) Suche nach Anführer. jW, 4. Okt. 2012.


Zum Weiterlesen: Gerhard Feldbauers jüngstes Italienbuch "Wie Italien unter die Räuber fiel", PapyRossa, Köln 2012

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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2012