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EUROPA/769: Österreich - Universitätsgesetz 2009 mit weiteren Selektionshürden (guernica)


guernica Nr. 3/2009
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

Universitätsgesetz 2009
Vor flächendeckenden Zugangsbeschränkungen?

Von Steffi Breinlinger


Mit dem neuen Universitätsgesetz drohen weitere Selektionshürden für die Studierenden. Mit der Entmachtung des Senats wird die universitäre Selbstbestimmung zu Gunsten der Macht von "Wirtschaft" und Ministerium weiter zurückgedrängt.


Die Novellierung des Universitätsgesetzes 2002 (UG 2002), welche die "Universitätsautonomie" eingeführt hat, nahm einen neuen Anlauf, nachdem es durch die Neuwahlen im letzten Jahr aufgeschoben worden war. Wissenschaftsminister Hahns "Weiterentwicklung der Autonomie" beinhaltet vor allem neue Schikanen für Österreichs Studierende und übertreffen so den ersten Entwurf an bildungspolitischen Elitismus noch - im Namen von mehr Internationalität und Wettbewerbsfähigkeit. Das neue am 9. Juli beschlossene "Universitätsrechts-Änderungsgesetz 2009" wird bereits diesen Herbst in Kraft treten.


Zwischen Transparenz und Selektion

Rund ein Jahr später kommt das Gesetz nämlich noch wüster daher. Es sieht die Einführung einer verpflichtenden Studieneingangsphase von mindestens einem halben bis höchstens zwei Semestern vor, die als Orientierungsphase notwendige Kenntnisse und Anforderungen des jeweiligen Studiums transparent machen soll. In der Praxis wird diese als eine Reihe von Prüfungen zu absolvieren sein. Nur wer diese positiv durchläuft, soll weiterstudieren dürfen. Hier liegt natürlich, die Gefahr der Selektion auf der Hand: Denn die Studieneingangsphase kann von den Unis als Auswahlverfahren missbraucht werden, sodass sie als heimliche, weil indirekte Zugangsbeschränkungen, und zwar flächendeckend, wirksam werden. Für die weiterführenden Master- und PhD-Studien steht es den Unis frei, "qualitative Zugangsbedingungen" festzulegen. Der großzügige Ermessensspielraum kann die Universitäten leicht dazu verleiten, ihre Platzprobleme mit diesem Instrument aus der Welt zu schaffen.


Entmachtung des Senats

Ein weiterer Schwerpunkt der Novellierung liegt in der Reform der universitären Entscheidungsstrukturen, die vor allem Auswirkungen auf den Senat, Vertretungsorgan für Studierende, ProfessorInnen und Uni-Personal, hat. Die ProfessorInnen stellen in Zukunft nicht mehr die Mehrheit, sondern die Hälfte seiner Mitglieder. Die Vertreter des akademischen Mittelbaus (v.a. die wissenschaftlichen Mitarbeiter, AssistentInnen) werden dagegen gestärkt und verfügen nun über gleich viele Mitglieder wie die Studierenden.

Gleichzeitig legt das neue Gesetz allerdings eine Machtverschiebung zu Uni-Rat und Rektorat fest. Denn die beiden Gremien sollen Kernkompetenzen des Senats erhalten. Dabei ist der Senat das einzig gewählte und somit demokratisch legitimierte Gremium der Universität. Für die "großen Fragen" sieht Wissenschaftsminister Hahn eine Zusammenarbeit zwischen Rektorat und Unirat vor, bei Studienangelegenheiten jene zwischen Rektorat und Senat: "Die Entscheidung, wer nominiert und wählt den Rektor, wo werden die Budgets entschieden, wo die großen strategischen Entwicklungslinien festgelegt, wäre Angelegenheit für Rektorat und Uni-Rat. "Da Hahn unter Weiterentwicklung vor allem die Stärkung internationaler Wettbewerbsfähigkeit versteht, will er generell mehr auf die Zuständigkeiten des Uni-Rats setzen. So darf der Uni-Rat künftig auch Arbeitsverträge ausfertigen.

Ein schwerwiegendes Beispiel für den Verlust einer ureigenen Aufgabe des Kollegialorgans Senat ist die Rektorswahl: Künftig macht nicht wie bisher der Senat, sondern der Uni-Rat die Ausschreibung des Rektorspostens. Die Prüfung der Bewerbungen nimmt eine Art "Findungskommission" vor, die aus Uni-Rats- und Senats-Vorsitzendem besteht. Diese legt einen Dreiervorschlag vor, der vom Senat noch geändert werden kann. Der Uni-Rat wählt weiterhin den Rektor. Stimmt allerdings der Senat etwa der Ausschreibung durch den Uni-Rat nicht fristgerecht zu, geht die Zuständigkeit sogar an das Bundesministerium über. Das neue Wahlverfahren ist vor allem ein Versuch, mehr politischen Einfluss auf die Universitäten auszuüben.

Außerdem vermischen sich die politischen Funktionen auf Uni-Ebene damit noch mehr als bisher. Ist der Uni-Rat eigentlich einem Aufsichtsrat nachempfunden und sollte vor allem beratend und kontrollierend tätig sein, so hat dieser schon jetzt bei entscheidenden Fragen das letzte Wort und somit nicht zu vernachlässigende Entscheidungsmacht. Um die "Internationalität" zu fördern, fordert der Wissenschaftsminister auch, dass der Uni-Rat noch stärker durch externe Mitglieder dominiert sein soll.

Die Bestellung der Uni-Räte erfolgt aber weiterhin durch die Regierung und nicht nur durch das Wissenschaftsministerium, wie der Minister forderte und was in noch deutlicherem Widerspruch zur Universitätsautonomie stünde. Auch mit dem Vorhaben der Aufgabe bzw. Verkürzung der Sperrfrist für PolitikerInnen, die in den Uni-Rat wechseln (derzeit beträgt diese 4 Jahre), ist der Minister gescheitert.

Die UG-Novelle legt auch eine Frauenquote von 40% in allen universitären Gremien fest, als eine Maßnahme, die eigentlich Frauenförderung zum Ziel haben soll, jedoch an den Realitäten vollends vorbeigeht. Denn diese Quote muss grundsätzlich in allen Arten von Gremien, auch etwa in jeder Berufungs- und Habilitationskommission, aufrecht erhalten werden. So sind die ohnehin wenigen Frauen im wissenschaftlichen Unipersonal umso mehr mit der Gremienarbeit belastet und haben weniger Zeit für ihre Forschung.

Für die Arbeitsbedingungen des Unipersonals und für den wissenschaftlichen Nachwuchs insbesondere bedeutet das neue Unigesetz einen desaströsen Rückschritt: So fördern die neuen Regelungen Kettenarbeitsverträge, die ermöglichen, befristete Arbeitsverträge bis zu zehn Jahre (bisher sechs Jahre) aneinanderzureihen - bei Teilzeit sogar bis zu zwölf Jahre. Außerdem sollen Lektoren, die nicht mehr als sechs Semesterstunden lehren, nur mehr als freier Dienstnehmer beschäftigt sein.


Ende der Selbstbestimmung

Die UG-Novelle bringt nicht mehr Autonomie, wie stets vom Wissenschaftministerium vorgegeben wird, sondern das genaue Gegenteil. Mehr Selbstbestimmung würde nämlich eigentlich eine Stärkung des Senats mit sich bringen. Wenn die Achse Uni-Rat und Rektorat auf Kosten des Senats gestärkt wird, ist aber eine weitere Entdemokratisierung und Hierarchisierung der Machtverteilung unausweichlich. Schlussendlich sind es nämlich diese Gruppen, die für die Unis und deren Bildung und Lehre relevant sind, und nicht irgendwelche diffusen Vorstellungen von Wettbewerbsfähigkeit und Internationalität.

Es drängt sich ebenfalls der Verdacht auf, dass es dem Ministerium nicht um eine Qualitätsoffensive in der Lehre oder das Ziel einer möglichst hohen Zahl von AbsolventInnen, sondern um eine Beschränkung der Studierendenzahlen geht. Für echte Verbesserung der Studienbedingungen an Österreichs Universitäten müsste man nämlich tatsächlich Geld in die Hand nehmen, um die Qualität der gesamten Lehre und somit die echte Qualifikation der AbsolventInnen sicherzustellen. Hahn interessiert lediglich die Beschäftigungsfähigkeit der Absolventen, er verwechselt offensichtlich Ausbildung mit Bildung. Die UG-Novelle vermeidet aber die drängende Frage der Absicherung der Uni-Finanzierung. Das Wissenschaftsministerium müsste diese unbedingt sicherstellen, ist doch Bildung ein öffentliches Gut. Dabei darf es mit dem neuen Unigesetz sogar noch 2% des Unibudgets einbehalten, in einer Situation der Finanzknappheit.


Chancengleichheit und Wahlfreiheit?

Das neue Unigesetz erschwert einen offenen Zugang zu universitärer Bildung weiter. Jeder sollte die Wahlfreiheit besitzen, welchen Bildungsweg er/sie einschlägt, sei es Bachelor, Master oder Doktorat. Denn verwehrt man Studierenden die Entscheidung für ein (weiterführendes) Studium, ist dies schlussendlich ein großer Eingriff in die Lebensplanung. Außerdem bedeutet die - flächendeckende Einführung des Bachelorstudiums praktisch, dass die Studierenden mit wissenschaftlichem Arbeiten und Forschung frühestens mit dem Masterstudium in Kontakt kommen, was somit auf eine Trennung von Lehre und Forschung hinausläuft. Die UG-Novelle verschärft die Verschulung der Curricula und die Vermarktwirtschaftlichung der universitären Bildung, wie es mit der Bologna-Studienarchitektur (1) einhergeht. Als Konsequenz droht letztlich ein Auseinanderdriften der Hochschulbildung in Massenstudium und Elitenbildung, die nur wenigen offensteht.

Anmerkung:

(1) Der sog. Bologna-Prozess bezeichnet das Vorhaben ein einheitliches EU-Hochschulwesens zu schaffen.


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Quelle:
guernica Nr. 3/2009, Seite 7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2009