Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

EUROPA/776: Steh auf, Baskenland! - neues Dokument der abertzalen Linken (Euskal Herriaren Lagunak)


Euskal Herriaren Lagunak - Freundinnen und Freunde des Baskenlands

Steh auf, Baskenland! Abertzale Linke eröffnet unilateral einen neuen Abschnitt im langen baskischen Konflikt

Mittwoch, 17. Februar 2010


"Die abertzale Linke hat die aktuelle Situation und den baskischen politischen Prozess analysiert und diskutiert. Sie tat dies nicht in kleinen Zirkeln an geheimen Orten, sondern führte im Gegenteil die Debatte im Großen mit allen ihren Mitgliedern und ihrer sozialen Basis. Es war eine demokratische Übung, eine wirksame demokratische Übung, die uns erlauben wird, unsere politische Strategie zu definieren."

So beginnt das Schlussdokument "Steh auf, Baskenland!", das die baskische linke Unabhängigkeitsbewegung nach monatelanger intensiver Diskussion am letzten Montag veröffentlichte. Über 7000 Aktivistinnen und Aktivisten hatten in über 270 Veranstaltungen den Entwurf "Klärung der politischen Phase und der Strategie" diskutiert und mit überwältigender Mehrheit angenommen. Zieht man in Betracht, dass der spanische Staat in den letzten Jahren die meisten Organisationen der abertzalen Linken verboten hat und viele führende politische Aktivistinnen und Aktivisten sich wegen ihrer politischen Aktivitäten im Gefängnis befinden, erhält man einen Eindruck, wie stark verankert die abertzale Linke in der baskischen Gesellschaft ist.

Mit dem vorliegenden Dokument eröffnet die abertzale Linke unilateral einen neuen Abschnitt im langen baskischen Konflikt, der ein Ende des Konflikts auf dem Weg des Dialogs und der Verhandlung bringen soll. Sie stellt fest, dass die objektive Möglichkeit für Veränderungen im Baskenland besteht. Ein demokratisches Szenario zu erreichen, in dem alle politischen Projekte, einschließlich des Projektes der Unabhängigkeit des Baskenlandes mit demokratischen und politischen Mitteln verfolgt werden können, ist möglich. Um dieses Szenario Wirklichkeit werden zu lassen, gilt:

"Massenmobilisierungen, institutioneller und ideologischer Kampf, die Änderung des Kräfteverhältnisses und das Werben um internationale Unterstützung (sind) die einzigen Werkzeuge dieser neuen Strategie. Die Unterstützung der Bevölkerung ist der einzige Garant, die Massenbewegung ist das wirksamste Mittel."

Und wie bereits im November 2009 in der Erklärung von Altsasua und Venedig angekündigt, stellt die abertzale Linke auch hier fest:

"Der demokratische Prozess muss sich in der völligen Abwesenheit von Gewalt und ohne äußeren Einfluss entwickeln. Dialog und Verhandlungen der politischen Kräfte sollten den Grundsätzen des Senators Mitchell folgen. Niemand wird Gewalt oder die Androhung von Gewalt einsetzen, um den Verlauf oder das Resultat der Mehrparteienverhandlungen zu beeinflussen oder daraus resultierende Vereinbarungen zu ändern."

Die letzte Entscheidung über den Weg und die Zukunft des Baskenlandes soll einzig und allein die baskische Bevölkerung haben. Manch einem Zentralisten in der spanischen oder auch französischen Regierung mag angesichts soviel demokratischer Entscheidungsgewalt der Status Quo leichter kontrollierbar erscheinen. Der Generalsekretär der grössten baskischen Gewerkschaft ELA, Adolfo Muñoz, begrüsste die Erklärung und bemerkte zu den vorhersehbaren Negativreaktionen der spanischen Parteien, dass "ihm scheine, als ob einige Furcht vor einer Zukunft ohne bewaffneten Konflikt haben".

Beiliegend finden Sie das Dokument "Steh auf, Baskenland" und auch die Erklärung von Altsasua vom November 2009.(*)

Wir haben auf Info Baskenland eine Seite speziell zum Thema Konfliktlösung eingerichtet, auf der wesentliche Dokumente, Berichte und Kommentare zum Thema zu finden sind. Auch das Dokument "Klärung der politischen Phase und der Strategie" ist dort in deutscher Übersetzung zu finden:

http://www.info-baskenland.de/407-0-Konfliktloesung.html

Mit freundlichen Grüßen,

Uschi Grandel
Euskal Herriaren Lagunak - Freundinnen und Freunde des Baskenlands

http://www.info-baskenland.de/
Kontakt: info@info-baskenland.de

(*) Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Erklärung von Altsasua vom November 2009 finden Sie im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Politik -> Ausland
EUROPA/764: Spanisch-baskischer Konflikt - neue Friedensinitiative (Euskal Herriaren Lagunak)


*


Steh auf, Baskenland!

Die abertzale Linke (1) hat die aktuelle Situation und den baskischen politischen Prozess analysiert und diskutiert. Sie tat dies nicht in kleinen Zirkeln an geheimen Orten, sondern führte im Gegenteil die Debatte im Großen mit allen ihren Mitgliedern und ihrer sozialen Basis. Es war eine demokratische Übung, eine wirksame demokratische Übung, die uns erlauben wird, unsere politische Strategie zu definieren.

Es handelte sich nicht um eine abstrakte Debatte, denn die abertzale Linke griff gleichzeitig politisch in die aktuelle Situation ein. Wir können uns nicht isoliert mit uns selbst beschäftigen, in der Hoffnung, irgendwann werde sich alles klären. Wir sind Teil des Volkes (2) und während wir noch diese Debatte führten, mussten wir bereits Initiativen starten. Denn um eine wirksame Strategie zu entwickeln, musste die abertzale Linke ihre politische Linie und ihr Vorgehen festlegen. Deshalb haben wir seit dem Beginn dieser politischen Periode auch unsere Vorgehensweise durch Initiativen und Vorschläge konkretisiert. In derselben Weise werden wir in den kommenden Monaten weiterarbeiten. Das ist unsere Verantwortung, die uns niemand abnehmen kann.

Die Bedeutung des Zeitpunktes muss politisch verstanden werden. Es sind die politischen und sozialen Bedingungen, die den Zeitpunkt für die Realisierung unserer Inhalte bestimmen. Für die Schaffung dieser Bedingungen war ein hoher Preis zu zahlen, aber heute existieren sie und erlauben uns vorwärts zu gehen. Das ist der Grund, warum wir diese Diskussion begonnen haben. Die gemeinsame Erarbeitung des Strategiepapiers «Klärung der politischen Phase und der Strategie» und die Präsentation der Erklärung von Altsasua sind beides Beiträge sowohl zur internen Reflexion als auch Schritte im politischen Prozess. Beide Dokumente wurden von unserer sozialen Basis mit großer Zustimmung bestätigt. Wir vergessen dabei aber nicht, dass in einer breiten Volksbewegung auch unterschiedliche Meinungen ihren Platz haben. Die Diskussion um das Strategiepapier «Klärung der politischen Phase und der Strategie» und die Präsentation der Erklärung von Altsasua haben klar und deutlich den Willen der abertzalen Linken für politische Veränderungen und für die Teilnahme am demokratischen Prozess gezeigt.

Durch die Strategiediskussion wurde uns klar, was wir tun müssen, was wir in der Vergangenheit gut gemacht haben und auch, wo wir Fehler begangen haben. Dabei haben wir gleichermaßen unser Projekt und unsere Wurzeln überdacht und uns auch ernsthaft selbstkritisch betrachtet. Mit Erfolgen und Fehlern haben wir den Befreiungsprozess bis hin zur Phase der politischen Veränderung gebracht. Heute geht es darum, einen echten politischen Wandel unumkehrbar zu machen. Und um dies zu verwirklichen, müssen auch wir uns ändern.


Das Baskenland und die baskische Bevölkerung sind die Fundamente der Befreiungsbewegung

Das Baskenland. Die baskische Bevölkerung. Die Frauen und Männer dieses Landes. Ihre Gesellschaft. Das sind die einzigen Bezugspunkte für unser politisches Projekt. Die abertzale Linke achtet die Bevölkerung, nimmt ihre Wünsche und Sehnsüchte als Kompass, respektiert ihren Willen und will ihm Respekt verschaffen.

Es ist tatsächlich an der Zeit, sich einzusetzen. Es ist an der Zeit, voran zu gehen. Und deshalb ist sich die abertzale Linke völlig bewusst, dass es nicht darum geht, herauszufinden, wozu die anderen Konfliktparteien bereit sind, sondern darum, dass wir selbst tun, was wir tun müssen. Auf diese Art werden wir mit Kraft und Bewusstsein neue Situationen herbeiführen und die Haltung der übrigen Konfliktparteien dadurch beeinflussen. Aber als allerwichtigstes werden wir dadurch eine immer breitere Zustimmung in der Bevölkerung dafür erhalten, dass Euskal Herria (3) seine Zukunft selbst bestimmen soll.

Die politische Herausforderung anzunehmen, ist eine richtige Entscheidung. Denn wir sind der Meinung, dass dies die beste Art und Weise ist, den Befreiungsprozess voranzubringen und den Wünschen unseres Volkes Rechnung zu tragen. Unsere Entscheidungen müssen immer eine Konsequenz unseres Willens oder des Willens unseres Volkes sein. Nichts darf erzwungen werden, oder vom Willen anderer abhängen.

Die Mittel der Unterdrückung und des Unrechts, die die Staaten anwenden, werden niemals Bestandteil des Unabhängigkeitsprojektes der Linken sein. Wir sind nicht wie sie, auch nicht, wenn wir uns gegen grausame Unterdrückung wehren müssen und gegen den Versuch, unser Volk zu assimilieren. Wir waren niemals so und werden weiterhin niemals so sein.

Wir geben unser Wort, dass wir nicht zulassen werden, dass die Hoffnung und die Bedingungen verloren gehen, die während der letzten Jahre geschaffen wurden, um ein demokratisches Szenario zu erreichen. Man muss nicht weit gehen. Die Mobilisierungen der Bevölkerung der letzten Zeit haben klar gezeigt, dass eine kritische Masse existiert, den demokratischen Prozess durch politische Mittel zu formen. Außerdem kann die abertzale Linke bestätigen, dass andere Parteien, sowohl im Baskenland als auch auf internationaler Ebene, aus freien Stücken bereit sind, diesen Weg gemeinsam mit uns zu gehen. Die ganze abertzale Linke muss für die geeigneten Bedingungen sorgen, unter denen sich der Prozess kraftvoll entfalten kann. Wir werden vor unserer Geschichte bestehen. Wir werden unser Volk nicht enttäuschen.

Ab heute haben wir die Zukunft zu gewinnen. Die Möglichkeit der Unabhängigkeit ist da. In Europa haben sich Staaten gebildet und diese Debatte wird an verschiedenen Orten völlig offen geführt. Die Möglichkeit, neue Staaten zu gründen, besteht real, wenn die Fähigkeit zur Schaffung solider, demokratischer Mehrheiten für dieses Ziel vorhanden ist. Euskal Herria, das Baskenland, ist ein organisiertes Land, dynamisch und bereit, mit ausreichender Reife und ausreichenden politischen, sozialen und ökonomischen Fundamenten. Vor allem anderen haben wir volles Vertrauen in unser Volk.


Politische Voraussetzungen, Gründe für Zuversicht

Vor 50 Jahren lag das Baskenland im Sterben. Danach haben wir, dank unseres Kampfes, den Weg für eine neue Möglichkeit zur Gründung eines baskischen Staates wieder gangbar gemacht. Nachdem wir die politische Operation abgewehrt haben, die nach dem Tod Francos Euskal Herria assimilieren sollte, stehen wir vor den Toren einer neuen Zeit, die als Ziel die Schaffung eines demokratischen Rahmens hat. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir viele Fortschritte gemacht und Teilsiege errungen. Wir waren nicht nur in der Lage, uns gegen die Angriffe der Staaten zu wehren, sondern auch, eine eigene politische Linie zu entwickeln. Wir haben die Versuche vereitelt, die Unabhängigkeitsbewegung zu zerschlagen. Gleichzeitig eröffneten und gewannen wir Debatten und platzierten Inhalte und konkrete Vorschläge im Zentrum der politischen Landschaft.

Es war kein leichter Weg. Es gab viel Leid als fürchterliche Konsequenz dieses langen Zyklus des politischen Konflikts und der bewaffneten Konfrontation. Obwohl viele versucht haben, die Realität zu verbergen, ist der Ursprung dieses Leides klar: die Verweigerung der Rechte, die Euskal Herria zustehen. Diese Weigerung erzeugt den politischen Konflikt, die repressive Strategie nährt ihn. Es ist notwendig, diese Situation zu überwinden, um ein demokratisches Szenario zu schaffen, in dem wir unser politisches Projekt verfolgen können.

Während all dieser Jahre hat die abertzale Linke eine enorme Arbeit geleistet. Basierend auf dieser Leistung und auf der Zuversicht, die uns der zurückgelegte Weg gibt, haben wir den Weg für die nächste Periode formuliert. Unsere Geschichte und unsere Bewusstsein geben uns unser Selbstvertrauen.


Die politische Phase, die Phase der Veränderung

Wir befinden uns in einer politisch überholten Phase. Das eröffnet klare historische Möglichkeiten für das nationale und soziale Projekt. Die Möglichkeit eines politisch-institutionellen Wechsels charakterisiert die Situation in Euskal Herria, auch wenn klar ist, dass diese Möglichkeiten im nördlichen und im südlichen Baskenland in Form und Intensität verschieden sein werden.

Es ist richtig, dass die derzeitige Blockadesituation länger andauert, als wir es uns wünschen würden. Dies liegt hauptsächlich daran, dass die Staaten dies durch ihre repressive Strategie so entschieden haben. Besonders in Hego Euskal Herria, im südlichen Baskenland, befinden wir uns deshalb zwischen zwei Zyklen, einem erschöpften und einem neuen, der noch nicht definiert ist. Deshalb drehen sich momentan das politische Kräftemessen und der prinzipielle Kampf um die Form und die Richtung, in die sich dieser neue Zyklus öffnen wird.

Die Tür für einen echten politischen Wandel ist sperrangelweit offen. Die Möglichkeit, den durch das Autonomiestatut bestimmten Zyklus zu überwinden und eine demokratische Phase einzuleiten, existiert. Heute besteht die Herausforderung darin, nach Jahrzehnten der Anstrengungen, der Arbeit und des Kampfes diese offene Tür zu durchschreiten und den politischen Wandel zu vollziehen. Die Bedingungen hierfür sind ausreichend. Der Schlüssel liegt in der Konkretisierung einer wirksamen Strategie, die sich die Bedingungen zunutze macht und den besagten Wandel Wirklichkeit werden lässt.

Paris nimmt nach wie vor eine aggressive Haltung der Negation des nördlichen Baskenlandes ein. Aber schon zeigen die sozialen Proteste, sei es für institutionelle Forderungen, zur Verteidigung der baskischen Sprache Euskera, für die nationale Konstruktion oder in den sozioökonomischen Kämpfen, immer wieder die Sehnsucht, in diesem Land zu leben und die Entschlossenheit, seine Anerkennung zu erreichen.

Die Grundlagen für die Anerkennung des Territoriums Euskal Herria sind in der Bevölkerung von Lapurdi, Baxe Nafarroa und Zuberoa vorhanden. In diesen drei Provinzen müssen wir mittels einer Zusammenführung der Kräfte eine neue Phase eröffnen, die institutionelle Anerkennung erreichen und von Paris den Respekt vor dem Wort und der Entscheidung Euskal Herrias einfordern.

Die politische Phase, die wir einleiten, ist die Phase des politischen Wandels. Sind die Bedingungen für den Wandel einmal vorhanden, ist die Stunde der Umsetzung gekommen. Deshalb ist das Ziel dieser politischen Phase die Schaffung eines demokratischen Rahmens, der ausreichende Grundlagen für den Weg zur Gründung eines baskischen Staates bietet.


Der demokratische Prozess, der Hebel für einen Wechsel des Zyklus

Der demokratische Prozess ist der Hebel für einen Wechsel des Zyklus, er ist das wichtigste Instrument dieser Phase. Es gilt, einen demokratischen Prozess einzuleiten, der auf Verhandlungen basiert, auf politischer Übereinkunft und auf der Beteiligung der Bevölkerung. Wir benötigen einen solchen Prozess als einzig möglichen Weg für einen Wechsel der Rahmenbedingungen.

Die Stunde ist gekommen, diesen demokratischen Prozess zu gestalten. Dieser Prozess hat ein klar definiertes Ziel: einen demokratischen Rahmen schaffen, der die Knoten der Selbstbestimmung und der territorialen Frage löst. Der demokratische Rahmen muss für alle politischen Projekte Raum bieten, das Projekt der Unabhängigkeitsbewegung eingeschlossen. Die politischen Vereinbarungen zwischen den verschiedenen baskischen Formationen bildet das Element, das den demokratischen Prozess führt. Diese Vereinbarungen müssen von den Staaten respektiert werden. Die hauptsächlichen Akteure, die diesen Prozess initiieren, ihn vorantreiben, Vereinbarungen ratifizieren und Entscheidungen über seine innere Organisation und die äußeren Beziehungen treffen, werden die baskischen Bürgerinnen und Bürger und das Baskenland sein. Sie müssen die Bedingungen für eine adäquate Gestaltung des Prozesses schaffen, das heißt, ohne Einmischung, ohne Ungerechtigkeiten und ohne Gewalt.

Wie wir in der Erklärung von Altsasua bekräftigt haben, ist der Beginn des demokratischen Prozesses eine unilaterale Entscheidung der abertzalen Linken. Trotz aller Schwierigkeiten, und der Probleme, sie zu überwinden, ist der demokratische Prozess eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen und die bestehen bleibt. Um ihn einzuleiten, müssen bilaterale oder multilaterale Übereinkünfte mit baskischen politischen Akteuren und der internationalen Gemeinschaft gefunden werden. Auch mit den Staaten, um eine Lösung des Konflikts zu ermöglichen.

Die abertzale Linke hat ihre eigene Entscheidung getroffen, ist zuversichtlich und in Erwartung der Unterstützung durch andere und der vorhersehbaren Opposition der Machtzentren. Sie sieht drei Stufen des demokratischen Prozesses, was das südliche Baskenland betrifft. Unterdessen liegt im nördlichen Baskenland der Schwerpunkt auf gesellschaftlicher Arbeit und der Zusammenführung der Kräfte. Die drei Stufen sind:

Demokratische Mindeststandards: sie sind die Grundlage für einen demokratischen Prozess. Vereinbarungen oder Entscheidungen müssen gleiche Möglichkeiten für alle politischen Kräfte als Grundlage haben, Maßnahmen des Ausnahmezustands müssen außer Kraft gesetzt werden.

Demokratische Vereinbarungen: es sollte Übereinstimmung über die politischen Inhalte bestehen, die im letzten Verhandlungsprozess erarbeitet wurden: die Anerkennung des nationalen Charakters des Baskenlandes, die Garantie, dass alle politischen Projekte verwirklicht werden können, die Entwicklung der juristisch-politischen Struktur, in der die baskischen Territorien ihre Beziehungen sowohl untereinander als auch mit den Staaten aufbauen können.

Demokratischer Rahmen: er sollte der juristisch-politische Ausdruck der demokratischen Vereinbarungen sein. Er wird durch den Willen der Bevölkerung in Kraft treten und wird garantieren, dass die strukturelle Negierung von Euskal Herria ein Ende findet. Hier wird die abertzale Linke Anstrengungen unternehmen, um im Sinne des Vorschlags von Anaitasuna eine Autonomie der vier baskischen Gebiete des südlichen Baskenlandes zu erreichen, die das Recht auf Selbstbestimmung haben werden. In gleicher Weise arbeiten wir für eine Autonomie der drei Gebiete des nördlichen Baskenlandes im Sinne des Vorschlags von Uztaritze.

Neue Strategien und Werkzeuge, Mittel um voranzukommen

Wir beginnen eine neue Phase und dies erfordert neue Strategien und Werkzeuge. Um einen Wandel zu ermöglichen, ist eine wachsende Zusammenführung von Kräften unentbehrlich, und es ist nötig, die Konfrontation auf das Terrain zu lenken, auf dem die Staaten am schwächsten sind, auf die politische Auseinandersetzung.

Als Schlussfolgerung aus unserer Diskussion wurde entschieden, alle Aktivitäten in den Dienst der Herausforderung zu stellen, die diese neue politische Phase bedeutet; um die Kräfte zu sammeln, die dieser neue Zyklus benötigt. Die Sammlung der Kräfte ist das Ziel am Horizont. Deshalb sind Massenmobilisierungen, institutioneller und ideologischer Kampf, die Änderung des Kräfteverhältnisses und das Werben um internationale Unterstützung die einzigen Werkzeuge dieser neuen Strategie. Die Unterstützung der Bevölkerung ist der einzige Garant, die Massenbewegung ist das wirksamste Mittel.

Der demokratische Prozess muss sich in der völligen Abwesenheit von Gewalt und ohne äußeren Einfluss entwickeln. Dialog und Verhandlungen der politischen Kräfte sollten den Grundsätzen des Senators Mitchell folgen. Niemand wird Gewalt oder die Androhung von Gewalt einsetzen, um den Verlauf oder das Resultat der Mehrparteienverhandlungen zu beeinflussen oder daraus resultierende Vereinbarungen zu ändern.

Der demokratische Prozess muss eine wachsende Unterstützung durch die Bevölkerung, Massenmobilisierungen, eine Bündelung von Kräften und eine Struktur mit sich bringen. Dank all dieser Entwicklungen werden taktische Ziele erreichbar und verschiedene Initiativen können geplant werden: unter anderen, einen Mindeststandard an demokratischen Freiheiten zu erreichen, Schritte in Richtung der Befreiung der Gefangenen zu gehen, den nationalen Aufbau und die nationale Struktur zu erneuern, die politische Offensive auf internationaler Ebene zu verstärken und politische Verhandlungen voranzutreiben.

Die Strategie, die wir verfolgen, hat gut definierte Arbeitsfelder. Sie ist praktisch und eröffnet die Möglichkeit konkreter Schritte. Die prinzipiellen Arbeitsschwerpunkte bestehen in der Bündelung der Kräfte für Unabhängigkeit und Souveränität, in der Verstärkung der Dynamiken für demokratische Freiheiten und für die Gefangenen, in Initiativen zur Entwicklung des demokratischen Prozesses - konkret, um politische Verhandlungen voranzutreiben - und darin, einen Weg zu entwerfen, die abertzale Linke selbst zu stärken. All dies zu entwickeln und zu konkretisieren, wird in den nächsten Monaten viel theoretische und praktische Arbeit beanspruchen.

Wir meinen, dass der demokratische Prozess und der nationale Aufbau Hand in Hand gehen müssen. Der nationale Aufbau hat auch in der aktuellen politischen Phase eine große Bedeutung. Er ist nämlich ein Werkzeug, um Kräfte zusammenzuführen und um dafür zu sorgen, dass der Prozess in die richtige Richtung geht. Der nationale Aufbau hat seinen Platz in diesem Wechsel des Zyklus. Mehr sogar, der Wechsel des Zyklus in Kombination mit der Arbeit der Volksbewegung und der Institutionen ermöglichen einen wirksameren nationalen Aufbau. In unserer Analyse tritt auch der nationale Aufbau in eine neue Phase ein.

Die abertzale Linke stellt neben den politischen Wandel auch den sozialen Wandel, denn sie sieht in einer Verknüpfung der beiden die Garantie für beide. Politische Veränderung ohne soziale Veränderung wäre natürlich unzureichend, und soziale Veränderungen ohne politischen Wandel ist nicht realisierbar. Letztendlich ist es neben dem Kampf gegen die Ungerechtigkeit des neoliberalen Modells, der Kampf der Linken, der auf einen politischen Wandel hinsteuert und die Zusammenführung der Kräfte der Arbeiterinnen und Arbeiter und anderer Sektoren des Volkes betreibt. Die Arbeit der Gewerkschaften ist dabei von fundamentaler Wichtigkeit.

Die linke Unabhängigkeitsbewegung will den sozialen Wandel. Die Inspiration durch Volksbewegungen, feministische Praxis, eine neue linguistische Politik, ein neues Erziehungsmodell, durch die Arbeit der Kulturschaffenden und die Stärke der Jugendbewegung ist hierfür unentbehrlich.

Um diese politischen Herausforderungen zu bewältigen, braucht die abertzale Linke in Zukunft eine legale politische Partei, sowohl um sich politisch-institutionell zu betätigen, als auch für die Teilnahme an den Verhandlungen der politischen Parteien zur endgültigen Lösung des Konflikts.

Wie auch immer der Name und die legale Struktur aussehen mögen, sie wird Bezugspunkt aller Unabhängigkeitskräfte, aller Sozialistinnen und Sozialisten im Baskenland für die kommenden politischen Aktivitäten sein, zur Entwicklung des demokratischen Prozesses, in den Massenbewegungen, in der ideologischen und institutionellen Arbeit.

Abertzale Linke
Euskal Herria, Februar 2010



Anmerkungen:

(1) Abertzale Linke: die Bedeutung des Begriffs "abertzale" in "abertzale Linke" ist eng verknüpft mit der speziellen Ausprägung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung als progressive und internationalistische Bewegung. Als solche umfasst sie ein breites Spektrum von Organisationen, wie zum Beispiel politische Parteien, Gewerkschaften und kulturelle Organisationen, sowie bedeutende Teile der Frauen-, Umwelt- und Internationalismusbewegungen, die das gemeinsame Ziel der Befreiung des Baskenlandes haben. So wie Republikanismus eine besondere Bedeutung im irischen Kontext besitzt, kann der Begriff "abertzale" nicht nur einfach als Unabhängigkeitsbewegung übersetzt werden, ohne seine progressive Bedeutung zu betonen.

(2) Herri: Die abertzale Linke benutzt das Wort "herri" als Sammelbegriff für die gesellschaftliche Mehrheit der im Baskenland lebenden Menschen. Die deutsche Übersetzung ist "Volk". "Volk" ruft vor seinem geschichtlichen Hintergrund in Deutschland imperialistische und rassistische Assoziationen hervor und wirkt ablehnend und ausgrenzend. Im baskischen Sprachgebrauch ist das Wort "herri" jedoch offen und integrativ gegenüber allen, die im Baskenland wohnen und arbeiten. In diesem - baskischen - Sinne verwenden wir das Wort "Volk" in der vorliegenden deutschen Übersetzung.

(3) Euskal Herria: Euskal Herria bezeichnet das gesamte Baskenland, das aus sieben Provinzen besteht. Es umfasst 20 000 km² und hat eine Bevölkerungszahl von etwa 3 Millionen. Das Baskenland ist derzeit geteilt: Lapurdi, Nafarroa Beherea und Zuberoa befinden sich unter französischer Verwaltung. Die drei Provinzen sind dabei keine Verwaltungseinheit, sondern ohne Eigenständigkeit in andere Departements eingegliedert. Die südlichen vier Provinzen befinden sich unter spanischer Herrschaft: Bizkaia, Gipuzkoa und Araba bilden als Comunidad Autonoma Vasca (CAV, Autonome baskische Gemeinschaft) eine Einheit. Nafarroa hat eine separate Regionalverwaltung (CFN, Foralgemeinschaft Navarra). In den Medien wird oft das Baskenland mit der Comunidad Autonoma Vasca gleichgesetzt.


*


Quelle:
Euskal Herriaren Lagunak - Freundinnen und Freunde des Baskenlands
Dr. Uschi Grandel
Holzhaussiedlung 15, 84069 Schierling - Deutschland
E-Mail: info@info-baskenland.de
Internet: http://www.info-baskenland.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2010