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EUROPA/784: Baskenland - zwei Tote und trotzdem Chance auf Bewegung im Konflikt (Euskal Herriaren Lagunak)


Euskal Herriaren Lagunak - Freundinnen und Freunde des Baskenlands

Baskenland - zwei Tote und trotzdem eine Chance auf Bewegung im Konflikt

Von Uschi Grandel, 21. März 2010


Zwei Tote waren im spanisch-französisch-baskischen Konflikt in den letzten zehn Tagen zu beklagen. Über den französischen Polizisten Jean-Serge Nérin, der bei einem Schusswechsel mit ETA-Mitgliedern in der Nähe von Paris schwer verletzt wurde und kurz darauf starb, wurde in der deutschen Presse ausführlich berichtet. Bei dem zweiten Toten handelt es sich um das ETA-Mitglied Jon Anza, dessen Leiche in einer Leichenhalle in Toulouse entdeckt wurde. Er war im April 2009 auf dem Weg nach Toulouse spurlos verschwunden und wurde während der vergangenen elf Monate von seiner Familie und einer grossen Solidaritätsbewegung im Baskenland intensiv gesucht. Vieles deutet auf eine Verstrickung der spanischen Polizei in seinen Tod. Seit dem mysteriösen Auftauchen seiner Leiche hat insbesondere die fehlende Kooperation der Polizei mit der Familie des Toten den Vorwurf der Vertuschung laut werden lassen und viele Fragen aufgeworfen.

"Beide Vorfälle sind Teil der Realität des politischen Konflikts", schreibt die abertzale Linke - die baskische linke Unabhängigkeitsbewegung - am 17. März 2010 in ihrer jüngsten Stellungnahme. Aber sie ist angetreten, diese Realität zu ändern. Bereits vor einem Monat hatte sie nach langer und intensiver Diskussion, an der sich Tausende ihrer Aktivistinnen und Aktivisten beteiligten, unilateral erklärt, ab sofort auf politischem Wege mit ausschliesslich demokratischen und friedlichen Mitteln zu agieren und die Überwindung des Konflikts durch einen "demokratischen Prozess" anzustreben. Dabei werde sie die Prinzipien friedlicher Konflitkbewältigung verfolgen, so wie sie von Senator Mitchell erfolgreich für den britisch-irischen Prozess eingeführt worden waren:

"Der demokratische Prozess muss sich in der völligen Abwesenheit von Gewalt und ohne äußeren Einfluss entwickeln. Dialog und Verhandlungen der politischen Kräfte sollten den Grundsätzen des Senators Mitchell folgen. Niemand wird Gewalt oder die Androhung von Gewalt einsetzen, um den Verlauf oder das Resultat der Mehrparteienverhandlungen zu beeinflussen oder daraus resultierende Vereinbarungen zu ändern."

Diese unilaterale Erklärung der abertzalen Linken vom Februar 2010, die vollständig im Dokument "Zutik Euskal Herria (Steh auf Baskenland)" auch in deutscher Übersetzung vorliegt, ist ein Schritt enormer Tragweite für die Lösung des Konflikts, auch wenn in den hiesigen Medien darüber praktisch nicht berichtet wurde. Sie hat die Kapazität, den Kreislauf der Eskalation zwischen den repressiven Massnahmen des spanischen Staates auf der einen und die Aktionen der ETA auf der anderen Seite zu durchbrechen. In diesem Sinne richtet die abertzale Linke in ihrer aktuellen Erklärung eine Aufforderung an alle Konfliktparteien, die ihre Ziele heute noch mit Gewalt verfolgen:

"Heute ist es nötiger denn je, den demokratischen Prozess zu festigen, den wir nach einer breiten Diskussion initiiert hatten, einen Prozess, der auf aktiver Teilnahme der Bevölkerung ... basiert und der durch ausschließlich politische und demokratische Mittel in Abwesenheit jedweder Form der Gewalt geführt werden muss ... Alle Konfliktparteien, insbesondere Euskadi Ta Askatasuna und der spanische sowie der französische Staat müssen sich klar und konkret zur Unterstützung dieses Prozesses bekennen."

Positive Signale kommen von ETA. In einer heute in der baskischen Zeitung GARA veröffentlichten Erklärung bekräftigt die Organisation "ihre Bereitschaft, die erforderlichen Schritte auf dem Weg zum politischen Wandel einzuleiten".

Negative Signale kommen immer noch von der spanischen Regierung, die sich dem Irrglauben verschrieben hat, mit immer härteren repressiven Mitteln die selbstbewusste und starke linke, baskische Unabhängigkeitsbewegung, der sich mindestens ein Viertel der Bevölkerung des Baskenlandes zugehörig fühlt, mundtot zu machen. Die Reaktion des spanischen Innenministers Rubalcaba auf die Vorwürfe, die spanische Polizei habe Jon Anza entführt und ermordet, und auf die Forderung nach Aufklärung, ist typisch für die Haltung der spanischen Regierung. Sie erklärt diese Vorwürfe, die zum Beispiel über 8000 Demonstranten letztes Wochenende in Donostia (span: San Sebastian) erhoben haben, zum Delikt der "Verherrlichung von Terrorismus", verbietet Demonstrationen und lässt eine Klage gegen Familienangehörige Jon Anzas prüfen.

Der Moderator für Konfliktlösung, Brian Currin, fordert indess auch von der spanischen Regierung eine Umorientierung. Im Falle des Todes von Jon Anza fordert er eine unabhängige Untersuchung. Er mahnt, dass "oft Gerüchte und Wahrnehmungen so wirklich wie die eigentliche Wahrheit (sind)" und erklärt:

"Die abertzale Linke hat sich zur Gewaltlosigkeit verpflichtet und arbeitet hart daran, dies zu einer irreversiblen Realität zu machen. Damit die Abwesenheit von Gewalt eine neue Politik in Euskal Herria einleiten kann, muss das Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit von allen geteilt werden, auch von den Regierungen."

An die Adresse der ETA richtet er die Aufforderung, "einen Schritt weiter zu gehen und einen unmittelbaren und bedingungslosen Waffenstillstand zu erklären".


Die Erklärung der abertzalen Linken finden Sie beiliegend im Anhang und natürlich auch auf der Webseite www.info-baskenland.de:
http://www.info-baskenland.de/485-0-Abertzale|Linke|Stellungnahme|zu|den|Vorfaellen|in|Dammarie-Les-Lys.html

Auf Info Baskenland wurde eine Seite speziell zum Thema Konfliktlösung eingerichtet, auf der wesentliche Dokumente, Berichte und Kommentare zum Thema zu finden sind. Auch das Dokument "Zutik Euskal Herria (Steh auf Baskenland)" ist dort in deutscher Übersetzung zu finden:
http://www.info-baskenland.de/407-0-Konfliktloesung.html


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Im Schattenblick finden Sie das Dokument unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Politik -> Ausland
EUROPA/776: Steh auf, Baskenland! - neues Dokument der abertzalen Linken (Euskal Herriaren Lagunak)


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Stellungnahme der Abertzalen Linken zu den Vorfällen in Dammarie-Les-Lys


Angesichts der schwerwiegenden Vorfälle, die sich gestern in dem französischen Ort Dammarie-les-Lys ereignet haben und in deren Folge ein französischer Polizist starb, erklärt die abertzale Linke (*) :

• Die abertzale Linke drückt ihr Bedauern aus und beklagt den Tod in dem Pariser Vorort.

• Der gestrige Vorfall folgte auf die Entdeckung der Leiche des baskischen Aktivisten Jon Anza unter Umständen, die befürchten lassen, dass es sich um einen Fall des schmutzigen Krieges handele.

• Beide Vorfälle sind Teil der Realität des politischen Konflikts. Die Überwindung dieses Konflikts ist die Priorität der abertzalen Linken. Die abertzale Linke ruft alle politischen Parteien auf, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein und gemeinsam nach einer Lösung des Konflikts zu suchen, der sich nicht länger hinziehen darf.

• Die bisherigen Informationen über den Vorfall scheinen anzuzeigen, dass es sich um ein zufälliges Zusammentreffen von Mitgliedern von ETA und der französischen Polizei gehandelt hat. Dass es sich nicht um eine geplante Aktion von ETA handelte, mindert die Schwere des gestrigen Vorfalls nicht.

• Heute ist es nötiger denn je, den demokratischen Prozess zu festigen, den wir nach einer breiten Diskussion initiiert hatten, einen Prozess, der auf aktiver Teilnahme der Bevölkerung und der Einheit der Kräfte basiert und der durch ausschließlich politische und demokratische Mittel in Abwesenheit jedweder Form der Gewalt geführt werden muss. Damals wie heute bekräftigt die abertzale Linke ihren Willen zu diesem in der Resolution "Steh auf, Baskenland" festgelegten politischen Weg.

Angesichts der Ungewissheit und der Frustration, die Taten wie diese in der baskischen Gesellschaft erzeugen, erklärt die abertzale Linke:

• Die bewaffnete baskische Organisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA) sollte ihre positive Haltung zu dem von der abertzalen Linken vorgeschlagenen demokratischen Prozess, die sie in ihrer Stellungsnahme vom Januar bereits ausdrückte, erneut bestätigen.

• Alle Konfliktparteien, insbesondere Euskadi Ta Askatasuna und der spanische sowie der französische Staat müssen sich klar und konkret zur Unterstützung dieses Prozesses bekennen.

ABERTZALE LINKE
17. März 2010


Download der Erklärung als PDF (46kB)
http://www.info-baskenland.de/files/abertzalelinke_erklaerung_paris_mar17_deu.pdf


(*) Abertzale Linke: die Bedeutung des Begriffs "abertzale" in "abertzale Linke" ist eng verknüpft mit der speziellen Ausprägung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung als progressive und internationalistische Bewegung. Als solche umfasst sie ein breites Spektrum von Organisationen, wie zum Beispiel politische Parteien, Gewerkschaften und kulturelle Organisationen, sowie bedeutende Teile der Frauen- , Umwelt- und Internationalismusbewegungen, die das gemeinsame Ziel der Befreiung des Baskenlandes haben. So wie Republikanismus eine besondere Bedeutung im irischen Kontext besitzt, kann der Begriff "abertzale" nicht nur einfach als Unabhängigkeitsbewegung übersetzt werden, ohne seine progressive Bedeutung zu betonen.


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Quelle:
Euskal Herriaren Lagunak - Freundinnen und Freunde des Baskenlands
Dr. Uschi Grandel
Holzhaussiedlung 15, 84069 Schierling - Deutschland
E-Mail: info@info-baskenland.de
Internet: http://www.info-baskenland.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2010