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EUROPA/786: Die europäischen Linksparteien (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1-2/2010

Zwischen Aufbruch und Niedergang
Die europäischen Linksparteien

Von Tim Spier


Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament Anfang Juli 2009 mussten die Parteien links von Sozialdemokratie und Grünen einen deutlichen Dämpfer hinnehmen. Inmitten der omnipräsenten Wirtschaftskrise, von der viele Beobachter eine Stärkung der Kräfte am linken Flügel des europäischen Parteienspektrums erwarteten, stagnierte die Zahl der gewonnenen Parlamentsmandate. Die Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke fiel von 41 auf 35 Parlamentssitze zurück und bildet nunmehr nur noch die sechstgrößte Gruppierung im Europaparlament. Eine Ursachenanalyse.


Auch wenn die Verluste auf den ersten Blick nicht dramatisch aussehen, so verbergen sich hinter der saldierten Zahl an Parlamentssitzen Entwicklungen in den Einzelstaaten der Europäischen Union, die durchaus bemerkenswert sind. Die italienischen Kommunisten, die 2004 noch sieben Abgeordnete ins Europaparlament entsendeten, scheiterten erstmals vollständig an der 4%-Hürde. In Tschechien konnte die Kommunistische Partei Böhmen und Mährens - eine der wenigen elektoral relevanten Parteien in Osteuropa - gerade noch vier ihrer sechs Parlamentssitze halten. Das finnische Linksbündnis büßte nach schweren Wahlverlusten ihre parlamentarische Repräsentation in Straßburg und Brüssel ein, die schwedische Linkspartei wurde von den Wählern von 12,8% auf 5,6% reduziert.

Die Erfolge in einigen anderen Mitgliedsstaaten milderten diese Verluste, konnten sie jedoch nicht vollständig kompensieren. In Deutschland legte die Linke zwar zu, blieb aber deutlich hinter ihrem Potenzial bei nationalen Wahlen zurück und errang gerade einen Parlamentssitz mehr als die damals krisengeschüttelte PDS bei der Europawahl im Jahr 2004. In Frankreich trat zwar mit der Front de Gauche erfolgreich ein Bündnis aus ehemaligen Sozialdemokraten und Kommunisten an und konnte 6,5 % bzw. 5 Parlamentssitze auf sich vereinigen. Gleichzeitig scheiterte aber die trotzkistische Nouveau Parti Anticapitaliste knapp an der 5%-Hürde.


Ursachen der Stagnation

Es ist auffällig, dass die Linksparteien auf europäischer Ebene von der wirtschaftlich schwierigen Situation nicht profitieren konnten. Auch die Schwäche sozialdemokratischer Parteien bei der Europawahl 2009 hat die Wahlergebnisse ihrer linken Konkurrenten nicht beflügelt. Nun sind Europawahlen, wie empirische Untersuchungen immer wieder bestätigen, in erster Linie nationale Testwahlen, die nur zu einem geringen Anteil durch die europapolitische Agenda beeinflusst werden. Ursachen für die elektorale Gesamtentwicklung sind daher primär in den Mitgliedsstaaten zu suchen. Dennoch kann man am Beispiel der europäischen Linksparteien gut illustrieren, dass auch Faktoren, die auf der europäischen Ebene zu verorten sind, einen Einfluss besitzen.

Die europäischen Linksparteien weisen - gerade im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Parteienfamilien - eine hohe Heterogenität auf. Es handelt sich um Parteien mit unterschiedlichen historischen und ideologischen Ausgangspunkten. Sie variieren in Programmatik und Wählerschaft. Ihre strategischen Parteiziele gehen ebenso auseinander wie ihr Verhältnis zur Europäischen Union keineswegs ein einheitliches ist. Angesichts einer solchen Vielfalt europaweite Wahlkämpfe zu organisieren, mit einer gemeinsamen Wahlplattform anzutreten und - nach der Wahl - eine konsistente Politik im Europaparlament zu vertreten, stellt sich schwierig dar und dürfte für die elektorale Stagnation dieser Parteien bei der letzten Europawahl mitverantwortlich sein.

Zwei Punkte sollen hier herausgegriffen werden: Zunächst handelt es sich bei den europäischen Linksparteien um ein ideologisch heterogenes Phänomen. Untersucht man mithilfe von europaweiten Expertenbefragungen die programmatischen Positionen der Parteien, so kann man zwar feststellen, dass sie auf der sozioökonomischen Konfliktachse "Marktfreiheit" vs. "Soziale Gerechtigkeit" eine hohe Kohärenz aufweisen und ein klares Profil im Bereich der sozialen Gerechtigkeit haben. In der soziokulturellen Dimension, im Konflikt zwischen autoritären bzw. libertären gesellschaftspolitischen Konzeptionen, tut sich aber eine große Kluft auf. Viele der südeuropäischen Linksparteien, aber beispielsweise auch die französischen Kommunisten und die niederländische Sozialistische Partei, tendieren eher zum autoritären Pol des Konflikts, während insbesondere die skandinavischen ökosozialistischen Parteien eindeutig libertären Werten anhängen und diese auch programmatisch vertreten.

Diese soziokulturelle Kluft in der Programmatik hat auch innerhalb der Wählerschaften der europäischen Linksparteien ihre Entsprechung. Die Elektorate der Linksparteien lassen sich auf zumindest zwei Typen zuspitzen: Einerseits die altkommunistischen Wählerschaften, die gerade in Frankreich, Italien, Portugal und Griechenland vorherrschend sind. Hierbei handelt es sich vor allem um männlich geprägte, ältere Wählergruppen, mit einem durchschnittlich eher niedrigen formalen Bildungsniveau und einem hohen Anteil an manuellen Arbeitern. Diese Wählerschaft kann man nicht mit Umweltschutz, Feminismus und Ausweitung der Rechte von Homosexuellen binden. Hingegen sind insbesondere die skandinavischen ökosozialistischen Parteien auf der Wählerebene anders strukturiert. Hier dominieren Frauen, überdies Wähler aus den Kohorten, die in den 60er und 70er Jahren politisch sozialisiert wurden. Sie weisen ein überdurchschnittlich hohes formales Bildungsniveau auf und rekrutieren sich stark aus den soziokulturellen Berufen. Diese lassen sich viel eher mit libertären programmatischen Positionen ansprechen.


Organisation und Strategie

Die Unterschiede zwischen den europäischen Linksparteien sind auch der Grund, warum sich ein entsprechendes europäisches Parteienbündnis erst relativ spät gebildet hat und bis heute auch nicht alle Parteien erfasst, die man einer breit verstandenen Parteienfamilie der Parteien links von Sozialdemokratie und Grünen zuordnen könnte. Erst 1999 wurde im Vorfeld der Europawahlen ein Bündnis gegründet, deren gewählte Abgeordnete dann im Europaparlament die Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke bildeten. Die Verabschiedung eines neuen europäischen Parteienstatuts mit einer Parteienfinanzierung, die direkt der europäischen Ebene von sogenannten "Europarteien" zukommt, wurde dann zur Initialzündung für die Gründung der Europäischen Linkspartei, der 2004 zunächst elf nationale Parteien beitraten.

Zumindest drei Probleme sorgen dafür, dass dieses Bündnis bis heute erhebliche Schwächen in einigen Mitgliedsstaaten aufweist. Zunächst gibt es in vielen europäischen Staaten mehr als eine Linkspartei, häufig ist die ältere und stärkere in der Europäischen Linkspartei organisiert, während die kleineren dem informellen linksradikalen Bündnis Europäische Antikapitalistische Linke angehören. Bei den ökosozialistischen Parteien Skandinaviens war zur Zeit der Gründung der Europäischen Linkspartei zudem nicht klar, ob sie aufgrund ihrer programmatischen Differenzen mit den übrigen Parteien überhaupt der Europäischen Linkspartei beitreten. Bis heute bilden sie eine eigenständige Gruppe, die Nordische Grüne Linke, die im Europaparlament teilweise eine Fraktionsgemeinschaft mit der Europäischen Linkspartei bildet, im Falle der Sozialistischen Volkspartei aus Dänemark aber auch in der grünen Fraktion in Straßburg und Brüssel sitzt. Schließlich haben die europäischen Linksparteien eine erhebliche Organisationsschwäche in den mittel- und osteuropäischen Staaten. Viele der ehemals kommunistischen Staatsparteien haben sich heute zu sozialdemokratischen Parteien transformiert. Halbwegs elektoral relevante Linksparteien gibt es in den neueren Mitgliedsstaaten nur in Tschechien.

Die Europäische Linkspartei versucht im Moment, diesen Problemen durch eine Sammlungsstrategie zu begegnen. Einerseits lässt sie Doppelmitgliedschaften von Parteien der Europäischen Antikapitalistischen Linken zu, andererseits versucht sie die skandinavischen Linksgrünen zu gewinnen. Inzwischen gibt es 23 Mitglieder und eine Reihe von Parteien mit Beobachterstatus. Überdies hat sie für die Europawahl 2009 erstmals eine einheitliche europaweite Wahlplattform verabschiedet. Dies hielt die nationalen Parteien jedoch nicht davon ab, eigene Wahlprogramme zu verabschieden. Auch dies dürfte symptomatisch sein für die Schwäche der europäischen Organisationsebene dieser Parteien.


Tim Spier (* 1975) ist Akademischer Rat am Lehrstuhl Politik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
tim.spier@uni-duesseldorf.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1-2/2010, S. 35-37
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2010