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EUROPA/793: Österreich - Vom Verschwinden freier Plakatflächen (guernica)


guernica Nr. 4/2009
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

Wien: Gewista versus Meinungsäußerung
Vom Verschwinden freier Plakatflächen


Unter dem Deckmantel der "Stadtbildverschönerung" ist auch in Wien der Plakatierfreiheit der Kampf angesagt worden. Die Gewista, mehrheitlich im Eigentum eines französischen Großkonzerns, kontrolliert mittlerweile 65% der Außenwerbung in Österreich. Die Privatisierung des öffentlichen Raums gefährdet zunehmend das Recht auf Meinungsfreiheit.


Die Stadt Wien zählt zu den bedeutendsten Plakathauptstädten. Dies mag zum einen an der Ende des 19. Jahrhunderts begründeten Wiener gebrauchsgrafischen Tradition, zum anderen an der weltweit höchsten Plakatdichte liegen. Rechtlich ist das Medium Plakat in Österreich auf höchster Ebene unter anderem in Art 13 StGG durch die dort verankerte Meinungsäußerungsfreiheit geschützt. Demnach hat jeder das Recht durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb gesetzlicher Schranken zu äußern. Zusätzlich gewährleistet Paragraph 48 MedienG das bewilligungsfreie Anschlagen, Aushängen und Auflegen von Druckwerken an einem öffentlichen Ort. Ausschließlich eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung kann eine Ausnahme für bestimmte Orte rechtfertigen. Wie sehr die rechtlichen Rahmenbedingungen der wirtschaftspolitischen Praxis widersprechen können, soll folgendes Beispiel veranschaulichen.

Über 75% der Wiener Außenwerbeflächen werden von der Gewista verwaltet. Diese wurde 1921 als Magistratsabteilung gegründet, 1974 in die im hundertprozentigen Eigentum der Stadt Wien stehenden Holding ausgegliedert, 1993 mehrheitlich von der Bank Austria übernommen und nach mehrmaligem Wechsel der Anteilseigentümer schließlich 2002 vom französischen Außenwerbekonzern JCDecaux übernommen. Gegenwärtig liegen 67% der Anteile bei JCDecaux und 33% bei der Progress Beteiligungsgesellschaft. Die Gewista ist mit einem Marktanteil von 65% in der Außenwerbung fünftgrößtes Medienunternehmen Österreichs und erwirtschaftete mit 462 Mitarbeitern (Stand 2006) im Jahr 2008 einen Umsatz von 170 Mio. Euro. Über 31.000 Plakatflächen sowie mehr als 17.000 anderweitige Werbeflächen werden österreichweit von ihr bewirtschaftet. Dazu vermarktet sie Verkehrsmittelwerbung in Wien und mehreren Landeshauptstädten, die Werbeflächen der Österreichischen Postbusse, die Wiener Citybikes und die Infoscreens in den Wiener U-Bahnstationen.

Diese Zahlen, die jährlich wachsenden Umsätze sowie das europaweite Engagement (v.a. in Osteuropa) lassen auf ein äußerst erfolgreiches Wiener Unternehmen schließen. Doch es scheint, als ob dieser Erfolg unter anderem durch ein seit Jahren kolportiertes Naheverhältnis zum Wiener Rathaus begünstigt wird. So kritisierte ein Wiener Kontrollamtsbericht von 2007 die Bevorzugung der Gewista gegenüber anderen Unternehmen bei der Vergabe freier Flächen und der Höhe der dafür zu entrichtenden Gebühren. Im Rahmen des Bewilligungsverfahrens für 410 realisierte Rolling Boards bewilligte die Baupolizei (MA 37) sämtliche Anlagen trotz fehlender Einreichpläne. Dafür vorgesehene Bauverhandlungen wurden nicht durchgeführt, wodurch den Anrainern der bis zu 3 Meter hohen Rolling Boards die gesetzlich vorgesehene Einspruchsmöglichkeit versagt blieb. Die Gebühren pro Rolling Board-Standort betragen für die Gewista in Wien 300,- pro Jahr, während in Linz selbiges 900,- Euro und in Kärnten bis zu 5.900,- Euro kostet. Auch die 21.000 neue Plakatflächen - auf Halbschalen an Strommasten in Wien montiert - wurden ohne öffentliche Ausschreibung und Überprüfung der Verkehrssicherheit der Gewista zugesprochen. Neben der traditionellen Verbundenheit der ehemaligen Magistratsabteilung Gewista mit der Stadt Wien sind diese Umstände nur noch mit einer engen personellen Verwobenheit diverser Beteiligungsgesellschaften mit der Wiener SPÖ zu erklären. 33% der Anteile an der Gewista werden von der Progress Beteiligungsgesellschaft gehalten. Hinter dieser steht zum einen die Wiener Städtische Versicherung, die laut Wirtschaftsmagazin "trend" seit dem Verkauf der BA-CA im Jahr 2000 für die SPÖ zur unverzichtbaren, zentralen Wirtschaftsmacht aufstieg. Zum anderen sind an Progress die A.W.H. als Teil des rathausnahen Verbands Wiener Arbeiterheime sowie die Merkur GmbH, hinter der laut Firmenbuch die Wiener SPÖ steht, beteiligt. Geschäftsführer der A.W.H. ist Helmut Laska, Ehemann der ehemaligen Vize-Bürgermeisterin und Stadträtin für die Bereiche Bildung, Jugend, Information und Sport Grete Laska, im Aufsichtsrat sitzt unter anderem Hany Kopietz, derzeit Wiener Landtagspräsident.


Wer zahlt schafft an

Im Oktober 2007 wurde als 70%ige Tochter der Gewista die Kultur:Plakat GmbH gegründet. Vordergründiges Ziel dieser Gesellschaft soll die Verschönerung des Stadtbildes und das Eindämmen der Wildplakatierszene sein. Laut Firmenhomepage wird Kultur- und Eventveranstaltern eine attraktive, auffällige, zuverlässige, legale, nachvollziehbare und leistbare Werbemöglichkeit an über 21.000 Werbeflächen für Klein-Plakate im A1-Format geboten. Ob die Leistbarkeit gewährleistet ist, entscheidet wohl das jeweilige Geldbörserl. Bei einer Mindestabnahme im 1. Bezirk von 30 Stück verteilt auf 15 Standorte belaufen sich die Kosten auf 10,50 Euro pro Plakat und Woche. Die restlichen Bezirke fallen mit 2,95 Euro pro Plakat und Woche mit einer Mindestabnahme von 200 Stück verteilt auf 100 Standorte etwas günstiger aus, was aber deren Werbeeffekt widerspiegelt. Damit haben sich die Preise mit der Gründung der Kultur:Plakat GmbH verdreifacht. Zudem scheint die freie Wählbarkeit des Standortes nicht gewährleistet. Um der Wiener Kunstszene dennoch eine Überlebenschance zu bieten, werden kostenlose, freie Plakatflächen angeboten. Diese liegen jedoch ausschließlich außerhalb des 1. Bezirkes und es bedarf einer Vorlaufzeit von 6 Monaten, um rechtzeitig Plakatflächen zu reservieren. Damit ist ein spontanes, unmittelbares künstlerisches wie politisches Agieren unmöglich geworden.

Das propagierte Eindämmen der Wildplakatierszene hat zweifellos positive Auswirkungen. Neben der angeblichen Verschönerung des Stadtbildes - das Totschlagargument während der Vorbereitungszeit zu Fußball-EM 2008 - wird dem von Dumping-Preisen beherrschten, arbeits- und steuerrechtlich problematischen Wildwuchs des Plakatmarktes entgegengesteuert - aber zum Preis des völligen Verlustes von freien, ohne Kontrolle bespielbaren Plakatflächen. Wer zahlt, schafft an!

Dass diese Situation nicht einzigartig ist, zeigt sich in Linz. Dort wurden 2006 die Werbeflächen im Rayon Linz und Umgebung der privaten Gutenberg-Werbering GmbH übergeben. Für Linzer Kulturvereine wurden 15(!) kostenlose Werbeflächen, ohne aber deren Standort bekannt zu geben, zur Verfügung gestellt.

Der Privatisierung öffentlicher Flächen mag man entgegenhalten, dass die Gewista ohnehin der Wiener Stadtregierung nahe steht bzw. mit dieser verwoben scheint. Doch die Gewista ist seit 2002 mehrheitlich im Eigentum von JCDecaux. Mit weltweit über 715.000 Werbeflächen in 46 Ländern und 3.400 Städten mit mehr als 10.000 Einwohnern, einem Börsenwert von 1,03 Mrd Euro und einem Umsatz von 1,7 Mrd Euro (2005) ist JCDecaux mit Firmensitz in Neuilly-sur-Seine europaweit Nr. 1 und weltweit Nr. 2 im Bereich der Außenwerbung.


Freies Spiel?

Das heißt, dass 65% der Außenwerbung in Österreich von einem französischen Konzern über das Tochterunternehmen Gewista kontrolliert werden. Wo dabei das freie Spiel der Kräfte im freien Markt bleibt, ist mir unverständlich. Wie dabei die gesetzlich garantierten Rahmenbedingungen eingehalten werden sollen, ebenso.

Dieser beschriebene Teilaspekt der Privatisierung des öffentlichen Raumes hat dazu geführt, dass ausschließlich seichte Kommerzkultur und inhaltsleere wie perspektivenlose und neoliberale Politik auf den ehemals öffentlichen Werbeflächen propagiert werden. Für eine funktionierende demokratische Gesellschaftsordnung sind frei bespielbare, kostenlose und zentrale Werbeflächen unabdingbar. Vor allem ein breit gefächertes Kulturleben und ein politischer Diskurs fern der von Massenmedien immer wieder gekauten Slogans bedürfen Werbeflächen fernab jeglicher Kontrolle und vor allem fernab von marktwirtschaftlicher Preistreiberei. Neoliberale Politik und schrankenlose Vernetzung von Politik und Wirtschaft haben mittlerweile dazu geführt, dass die Errungenschaften der bürgerlich-liberalen Periode nach der Revolution von 1848, zu denen auch die Gewährung der Meinungsäußerungsfreiheit zählt, auf dem Plakatsektor inexistent geworden sind.

Entsprechend der Österreichischen Verfassung muss daher die Bereitstellung öffentlicher, frei bespielbarer, zentraler und kostenloser Werbeflächen für Non-Profit-Organisationen gefordert werden, um das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nicht zu totem Recht verkümmern zu lassen!


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Quelle:
guernica Nr. 4/2009, Seite 15
Herausgeberin und Redaktion: Werkstatt Frieden & Solidarität
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2010