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GRIECHENLAND/005: Vor den Wahlen - Arbeitskämpfe spitzen sich zu (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 12 vom 23. März 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Griechenland vor den Wahlen
Arbeitskämpfe spitzen sich zu

von Udo Paulus


Griechenland befindet sich im Vorwahlkampf. "Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen." Im Oktober letzten Jahres hatte der herrschende Block aus sozialdemokratischer PASOK, konservativer ND und national-chauvinistischer LAOS bürgerlich-parlamentarischen Spielregeln den Laufpass gegeben. In einem politischen Komplott, dem Druck der Kommissare aus Brüssel folgend, hatte sich der in Finanzgeschäften bestens geschulte Banker Lukas Papadimos an die Spitze eines staatlichen Gebildes - Griechenland genannt - hieven lassen, das dem Monopolkapital zum Abriss freigegeben war. Papadimos hat in den Monaten seiner Tätigkeit ganze Arbeit geleistet: Den Mindestlohn ließ er auf 490 Euro senken, für einen großen Teil des Volkes die Falltür zur Armut. Die Tarifautonomie wurde liquidiert, die Arbeitslosigkeit stieg auf mehr als 20, die Jugendarbeitslosigkeit gar auf über 50 Prozent. Die Vorwahlsituation präsentiert sich für die Bürgerlichen ziemlich konfus. Eine hektische Suche nach Wahloptionen offenbart die Angst, die parlamentarische Mehrheit zu verlieren. Parteigründungen mit schillernden Namen wie "Streitwagen der Bürger", "Freie Bürger", "Demokratisches Bündnis", "Sozialer Pakt", "Unabhängige Griechen" sowie besonders bedenklich die direkt faschistische "Goldene Morgenröte" sollen den griechischen Wählern/innen Alternativen suggerieren. Abspaltungen rechts von der ND ins direkt faschistische Lager oder links von der PASOK oder auch rechts vom Linksbündnis Syriza, stets sind sie gerichtet gegen die Systemalternative, die sich mit revolutionärer Geduld in der Kommunistischen Partei (KKE) aufstellt. Die Prognosen für die Wahlergebnisse rechnen für die konservative ND mit 15 bis 20 Prozent der Wahlberechtigten, was ihr aufgrund der drastisch gesunkenen Wahlbeteiligung einen Stimmenanteil von etwa 30 Prozent einbringen soll. Das verwundert nicht. Schließlich verfügt die ND mit ihrem groß- und kleinbürgerlichen Klientel über einen stabilen Wählerblock, was für alle übrigen systemkonformen Parteiformationen mitnichten behauptet werden kann. Die PASOK insbesondere befindet sich beim Wahlvolk im freien Fall, wird derzeit bei 9 Prozent Stimmenanteil notiert.

Angesichts der Prognosen großen Stimmenzuwachses für die linken Parteien wirbt das Wahlbündnis Syriza seit einigen Wochen für eine Koalition aller Kräfte gegen die Kürzungspolitik. Die KKE hat dieses Ansinnen als unehrliches Angebot zurückgewiesen. Syriza wisse, dass seine programmatischen Unterschiede zur KKE sehr groß seien, täusche dennoch angesichts der Wahlen das Volk. Syriza sei eine politische Formation, die sich innerhalb der vom Kapitalismus gesetzten Grenzen bewege, die Europäische Union unterstütze und seine Hauptkraft, Synaspismos, gemeinsam mit PASOK und ND den Maastrichter Vertrag unterzeichnet habe. Aleka Papariga betonte auf einer Betriebsversammlung bei Boehringer Ingelheim im Athener Werk auf Nachfrage von Beschäftigten, dass dieses Koalitionsangebot sich auf eine Lüge stütze: Eine Koalition ergäbe auch arithmetisch keine parlamentarische Mehrheitsveränderung. Das Wahlgesetz schachere der stärksten Partei - und nicht einem Parteienbündnis - 50 Bonussitze zu. Die kämen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der ND zugute und seien mitnichten aufzuteilen auf mehrere linke Parteien, die in einer Koalition numerisch eventuell die parlamentarische Stimmenmehrheit erzielen könnten. Die Sitzverteilung hebe diese Mehrheit durch die Bonuszuweisung wieder auf.

Die KKE ruft den klassenbewussten Teil des Widerstandes zur Wachsamkeit auf. Provokationen nehmen zu. Für den Nationalfeiertag am 25. März und insbesondere für den 1. Mai sei besondere Aufmerksamkeit geboten. "Zivilgarden" aus nationalistisch und faschistisch gesinnten Reservisten seien bereits im Aufbau.

Ein Wahltermin wird noch nicht genannt. Der 29. April hat die größte Wahrscheinlichkeit. Aber auch der 6. Mai ist im Gespräch. Selbst eine Verschiebung auf September wird nicht ausgeschlossen. Die Verwirrung in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung jedenfalls ist groß.

Derweil spitzen sich die Kämpfe im öffentlichen und betrieblichen Sektor weiter zu. Bald fünf Monate ohne Lohneinkünfte können die 400 Beschäftigten im Stahlwerk von Aspropyrgos nicht in die Knie zwingen. Gleichwohl versuchen die Medien, die Arbeitgeber im Verein mit den Spitzen der Dachgewerkschaften alles, um die Arbeiter mürbe zu machen. Faschistische Provokationen am Werkstor, der Auftritt einer Streikbrecherin kürzlich im Fernsehsender MEGA sind nur die Spitze des Eisbergs für die bislang vergeblichen Angriffe auf die Streikfront. Besonders nagt der Ärger über den Opportunismus der Kollegen in den beiden Zweigwerken des Industriellen Manesis in der Region Volos an der Gemütsverfassung der Streikenden. Dort haben nämlich die Beschäftigten nicht nur den solidarischen Streik verweigert, überdies haben sie auch noch die Arbeitsaufträge vom bestreikten Stahlwerk in Aspropyrgos bereitwillig übernommen. In Volos hat die dortige sozialdemokratische Gewerkschaftsmehrheit den Solidaritätsstreik bei Enthaltung des Syriza-Vertreters abgelehnt. In völligem Gegensatz zu diesem Mangel an Solidarität hat sich ausgehend von der Region Elefsina (nahe Athen), in dem sich das Stahlwerk befindet, eine landesweite Solidaritätswelle entwickelt, die mittlerweile bereits internationale Dimensionen erreicht hat. Ohne die Geld- und Lebensmittelspenden hätten die Stahlwerker ihre Familien in den vergangenen Monaten nicht ernähren, geschweige denn politisch den Arbeitskampf in dieser Dynamik durchhalten und fortsetzen können. Die Losung "Ganz Griechenland ist Chalyvourgia (ein Stahlwerk)" kursiert überall im Land. Seit Wochen sind die Genossen/innen der KKE und die Kollegen/innen der PAME in allen Bezirken unterwegs, gehen von Haus zu Haus, von Geschäft zu Geschäft, sammeln Geld- und Sachspenden für die Chalyvourgia. Sie mobilisiert nicht zuletzt auch das Wissen, dieser Streik hat Pilotcharakter für die gesamte griechische Ökonomie. Die Lohnkürzung auf 500 Euro mit einer drastischen kapitalverordneten Arbeitszeitminderung will der herrschende politische und ökonomische Block überall und allerorten durchsetzen. Im Januar hatten Arbeitgeberverbände und sozialdemokratisch sowie konservativ bestimmte Gewerkschaftszentren in Geheimabsprachen den arbeiterfeindlichen Vorhaben bereits zugestimmt.

Demgegenüber mobilisieren 13 regionale Gewerkschaftszentren und acht Branchen-Gewerkschaften auf Bundesebene in einer gemeinsamen Erklärung für Streiks am 4. April gegen Sozial- und Lohnabbau und für tarifliche Autonomie.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 12 vom 23. März 2012, Seite 10
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2012