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LATEINAMERIKA/1115: Venezuela und Kolumbien - Kriegsbeil begraben (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. August 2010

Venezuela: Kriegsbeil begraben - Neuer kolumbianischer Präsident sucht Annäherung

Von Humberto Márquez


Caracas, 12. August (IPS) - Wochenlang lagen die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Venezuela und Kolumbien auf Eis. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez brach am 22. Juli alle Kontakte ab, nachdem der Nachbarstaat ihm vorgeworfen hatte, linksgerichteten FARC-Rebellen in seinem Land Unterschlupf zu bieten.

In Kolumbien hat es inzwischen aber einen Regierungswechsel gegeben, der ein Tauwetter ausgelöst hat. Nur wenige Tage nach seinem Amtsantritt empfing der neue kolumbianische Staatschef Juan Manuel Santos seinen Kollegen Chávez zu einem Versöhnungsbesuch. Beide Länder nahmen ihre bilateralen Beziehungen in vollem Umfang wieder auf.

Politische Beobachter in Venezuela sind an Krisen dieser Art gewöhnt. Seit 2005 kam es insgesamt fünf Mal zum vorübergehenden Bruch zwischen Chávez und Santos' Vorgänger Alvaro Uribe. Der jüngste Konflikt hatte sich vor etwa einem Jahr daran entzündet, dass Kolumbien US-Truppen größeren Zugang zu seinen Militärbasen gewähren wollte. Chávez fühlte sich dadurch provoziert und ging auf Distanz.

Uribe vereinbarte damals mit US-Präsident Barack Obama, dass das US-Militär sieben kolumbianische Stützpunkte nutzen durfte. Der linke Politiker Chávez befindet sich seit längerem auf Konfrontationskurs zum Weißen Haus. Er befürchtete, dass die USA ihre Militärpräsenz in Kolumbien dazu nutzen könnten, die Chávez-Regierung zu destabilisieren und schließlich sogar zu stürzen.

Die dunklen Wolken haben sich jedoch mit Santos' Amtsantritt verzogen. "Wir haben uns dazu entschlossen, ein neues Kapitel aufzuschlagen", verkündeten die beiden Staatschefs, die sich in der nordkolumbianischen Küstenstadt Santa Marta trafen.


Nichteinmischung in innere Angelegenheiten des Nachbarn

Sie verpflichteten sich dazu, sich künftig nicht mehr in die inneren Angelegenheiten des Nachbarn einzumischen. "Die venezolanische Regierung unterstützt die kolumbianische Guerilla nicht", betonte Chávez.

Wie der venezolanische Analyst Manuel Felipe Sierra hervorhob, hat Chávez auch erreicht, dass Kolumbien seine Beschwerde gegen Caracas bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) nicht weiterverfolgt. Venezuela hatte nach der Einschaltung der regionalen Staatengemeinschaft internationale Nachteile in Kauf nehmen müssen.

"Kolumbien hat seine Ziele sehr klar dargelegt und sogar noch mehr erreicht, als in dem Abkommen zur Wiederaufnahme der Beziehungen festgelegt ist", sagte der ehemalige venezolanische Vize-Außenminister Fernando Gerbasi im Gespräch mit IPS.

Santos ist offenbar vor allem an der raschen Wiederbelebung der Wirtschafts- und Handelskontakte interessiert. Kolumbianische Exportunternehmer fordern insgesamt rund 800 Millionen US-Dollar ein, die Venezuela seit 2003 zurückgehalten hat, um den Wechselkurs zu stützen.

Nach Angaben mehrerer Handelskammern belief sich der bilaterale Warenaustausch 2008 auf rund 7,3 Milliarden Dollar. Der größte Teil entfiel auf kolumbianische Ausfuhren, vor allem Lebensmittel, Textilien und Schuhe.

Aufgrund der Verstimmung Venezuelas über die kolumbianischen Militärpläne fielen die Importe aus dem Nachbarland 2009 allerdings auf vier Milliarden Dollar. In diesem Jahr wird sogar nur mit Einfuhren aus Kolumbien im Umfang von 1,5 Milliarden Dollar gerechnet. Venezuela wiederum exportiert lediglich Waren im Wert von etwa 500 Millionen Dollar jährlich in das Nachbarland.

José Rozo, Vorsitzender eines Arbeitgeberverbandes im Südwesten Venezuelas, sieht vor allem die Bevölkerung in den Grenzgebieten von den Handelsschwankungen betroffen. In Kolumbien hätten etwa 35.000 Menschen ihre Jobs verloren, während auf venezolanischer Seite 25.000 arbeitslos geworden seien.


Neues Wirtschaftsabkommen geplant

Eine Kommission berät zurzeit auch über ein wirtschaftliches Zusatzabkommen, das ab dem 26 April 2011 die innerhalb der Andengemeinschaft (CAN) getroffenen Regelungen ersetzen soll. Dem Staatenbund gehören neben Kolumbien Bolivien, Ecuador und Peru an. Venezuela war vor vier Jahren ausgetreten. Nach Ansicht von Gerbasi würde ein neues Abkommen vor allem Kolumbien zugute kommen, da dessen Exportsektor weiter entwickelt sei als der Venezuelas.

Eine positive Wirtschaftsentwicklung könnte Chávez' Partei vor der Parlamentswahl im September wichtigen Rückhalt in der Bevölkerung sichern. In mehreren Umfragen äußerten sich inzwischen selbst langjährige Anhänger des Präsidenten unzufrieden über die derzeitige wirtschaftliche Lage. (Ende/IPS/ck/2010)

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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2010