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LATEINAMERIKA/1134: Extreme Armut in Nicaragua seit 2005 gesunken - auch auf Kosten der Umwelt (IPS)



IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. September 2010

Nicaragua: Extreme Armut seit 2005 deutlich gesunken - Auch auf Kosten der Umwelt

Von José Adán Silva

Managua, 9. September (IPS) - Einer unabhängigen Studie zufolge ist die extreme Armut in Nicaragua im Zeitraum 2005 bis 2009 um 7,5 Prozent zurückgegangen. Kritiker bemängeln jedoch, dass der Fortschritt vor allem mit öffentlichen Geldern und zu Lasten der Umwelt erzielt wurde.

Der Anteil von Nicaraguas Bevölkerung, der in extremer Armut lebt, ist im vergangenen Jahr unter die Schwelle von zehn Prozent gefallen und betrug 9,7 Prozent. 2005 seien es noch 17,2 Prozent gewesen, wie Alejandro Martínez Cuenca von der Internationale Stiftung für globale wirtschaftliche Herausforderung (FIDEG) berichtete, der für die Untersuchung verantwortlich war.

In absoluten Zahlen entkamen 327.437 Nicaraguaner der extremen Armut und werden statistisch nun dem armen Bevölkerungssegment zugerechnet. Die allgemeine Armut in Nicaragua ging um 3,6 Prozent zurück - von 48,3 Prozent auf 44,7 Prozent.

Bei der Anfertigung der Studie wirkte die Weltbank beratend mit. Finanzielle Unterstützung kam aus der Schweiz und den Niederlanden. Nicaraguas linksgerichteter Präsident Daniel Ortega versäumte nicht, darauf hinzuweisen, dass der Rückgang der Armut den verschiedenen Sozialprogrammen zu verdanken sei, die seine Regierung aufgelegt habe.

FIDEG-Präsident Martínez hingegen betonte, die der Studie zugrunde liegende Befragung habe die Ursachen der Armutsreduktion nicht gemessen. Maßstab sei der Lebensmittelkonsum gewesen, diese Methode habe die Weltbank empfohlen.


Wachsender Druck auf die Wälder

Sozialexperten zufolge ist jedoch das 'Wie' der Armutsverringerung mit zahlreichen Problemen behaftet. So dringe die Landwirtschaft immer weiter in wertvolle Ökoysteme vor vor, heißt es.

"Die Armut muss abgebaut werden, das ist klar, aber dies darf nicht auf Kosten unserer Wälder geschehen", betonte auch der FIDEG-Chef Martínez. So 'verschlinge' zum Beispiel die Bevölkerung, die in der Nähe des größten zentralamerikanischen Biosphärenreservates 'Bosawas' im Norden Nicaraguas lebe, Woche für Woche 200 Hektar Land.

Die Studie belegt auch: In absoluten Zahlen ist die Zahl der armen Nicaraguaner an der Gesamtbevölkerung von 5,8 Millionen Einwohnern aufgrund des Bevölkerungswachstums sogar gestiegen. 2005 lebten 2,48 Millionen Nicaraguaner bei einer Gesamtbevölkerung von 5,4 Millionen in Armut, 2009 waren es 2,56 Millionen bei einer Gesamtbevölkerung von 5,7 Millionen. Bemängelt wurde auch, dass Nicaraguas Sozialprogrammen auch Finanzmittel aus Venezuela zufließen, deren Transparenz nicht gewährleistet sei.

Zu den Sozialprogrammen der Ortega-Regierung zählt der 'Plan Usura Cero' ('Null Wucher-Plan'). An in Armut lebende Frauen in den Städten werden Mikrokredite vergeben, und Wohnprogramme sollen mehr als 250.000 Familien zu einem Dach über dem Kopf verhelfen. Ortega zufolge haben sich die Programme für insgesamt 300.000 nicaraguanische Familien ausgezahlt. Dass der Präsident keine konkreten Angaben über die geleisteten sozialen Investitionen macht, gibt Korruptionsvorwürfen neuen Auftrieb.


Mehr Hilfe zur Selbsthilfe gefordert

Der Ökonom Silvio De Franco, Rektor einer angesehenen Privatuniversität in Nicaraguas Hauptstadt Managua, gibt zu bedenken, dass der Rückgang der extremen Armut sich nicht als nachhaltig erweisen könnte, das er vor allem auf die staatlichen Beihilfen und nicht auf die Verbesserung des Humankapitals und einer Kapitalakkumulation zurückzuführen sei.

Der Soziologe Cirilo Otero, der über Ernährungsfragen forscht, hält es für unmöglich, die extreme Armut zu verringern, ohne die Einkommen zu erfassen, die einer Familie täglich für die Ernährung zur Verfügung steht. Die Bevölkerung auf dem Land habe oft keinerlei Geld und esse das, was sie fische, jage oder sammle. Wie könne man dies messen?

Otero setzt auf eine nachhaltige Erziehung, eine progressive Fiskalpolitik und systematische sowie transparente öffentliche Investitionen. Wichtig seien außerdem die Beteiligung der Bürger an der Entscheidungsfindung und klare sozio-politische Regeln. (Ende/IPS/bs/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2010