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LATEINAMERIKA/1380: Mexiko - Scheidender Präsident vor Volkstribunal, Verfassungsbruch vorgeworfen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. November 2012

Mexiko: Scheidender Präsident vor Volkstribunal - Verfassungsbruch vorgeworfen

von Emilio Godoy



Mexiko-Stadt, 15. November (IPS) - Über Mexikos scheidenden Präsidenten Felipe Calderón wird erneut abgestimmt werden. Diesmal geht es nicht darum, ihn in ein öffentliches Amt zu wählen, sondern wegen Verfassungsbruch schuldig zu sprechen.

In diesem Sinne hat eine Plattform von Mexikanern, die mit Calderóns Regierung zutiefst unzufrieden sind, ein Bürgertribunal eingerichtet. Das informelle Gericht ist derzeit mit der Sammlung von Individual- und Sammelklagen und der Erstellung eines Stimmzettels befasst, der den Bürgern ab 18. November zu Abstimmung vorliegen soll.

Aufgelistet sind elf übergeordnete Arten von Verstößen, darunter schwere Menschenrechtsverbrechen, die Förderung der allgemeinen Unsicherheit, die Abschaffung von Arbeitsplätzen, die Erosion von Arbeitsrechten, Verarmung, Vernachlässigung und andere soziale Übel sowie die Förderung der Korruption.

Seit dem 18. Oktober, den Beginn der Initiative, hat die Bewegung 80 Klagen (Stand: 15. November) zusammengetragen, von denen 28 aus Mexiko-Stadt kommen sowie neun beziehungsweise acht aus den Bundesstaaten Mexiko und Veracruz, die von der Gewalt der dort tätigen Drogenkartelle heimgesucht werden. Ferner haben sich 315 Personen und Gruppen als Geschworene registrieren lassen.

Auf der langen Liste der Kläger steht auch der Künstler Carlos Vigueras, Leiter des Casasola-Museums in der für Gewalt berüchtigten mexikanischen US-amerikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez. Calderón habe sich zum Komplizen eines blutigen Unternehmens gemacht, sagte er in Anspielung auf den Anti-Drogen-Krieg, den der Staatschef unmittelbar nach seinem Amtsantritt 2006 losgetreten hatte. Der Kampf gegen die Mafia kostete mehr als 90.000 Menschen das Leben, 14.000 Verschwundene eingeschlossen. Zudem wurden 250.000 Menschen vertrieben.

Diese verheerende Bilanz ist die Hauptursache für die große Unzufriedenheit der Mexikaner mit Calderón, der am 1. Dezember von Enrique Peña von der Partei der Institutionalisierten Revolution abgelöst wird. Den Initiatoren der Kampagne zufolge gibt es bekannte und ausreichende Gründe dafür, die nahelegen, dass Calderón sein am 1. Dezember 2006 gegebenes Versprechen, sich an die Verfassung zu halten, gebrochen hat. Die zusammengetragenen Anklagepunkte sind die Ausgangslage für einen Strafantrag, über den die Bürger entscheiden sollen.

Mit diesem Ziel vor Augen können Mexikaner aus dem In- und Ausland ihre Stimme auf der Internetseite http://www.tribunalciudadano.mx oder aber ab dem 18. November auf Plätzen der Städte oder bei Nachbarschafts-, Familien- und Arbeits-, Sport- und Kulturveranstaltungen abgeben.

Der Spanischlehrer David Porcayo gehört ebenfalls zu denjenigen, die Klage eingereicht haben. "Ich bin dank Calderón arbeitslos geworden", sagte er im IPS-Gespräch. Die allgemeine Unsicherheit in Mexiko als Teil des staatlich geführten Anti-Drogen-Krieges habe dafür gesorgt, dass seine Schüler aus den USA weggeblieben seien.

"In Anbetracht der in Mexiko herrschenden Straflosigkeit wissen wir nur zu gut, dass es schwierig sein wird, Calderón und die wahren Schuldigen, angefangen mit den Nachbarstaaten und den globalisierten Drogenbaronen, zur Verantwortung zu ziehen", meinte Vigueras, Autor des Buches 'Mexiko, Land der Wunder' ('México, país de las maravillas')

Eine Aktivistengruppe war im November 2011 vor den Internationalen Strafgerichtshof gezogen und hatte die Aufnahme von Ermittlungen gegen den Staatschef, seine Minister Generao García (Öffentliche Sicherheit), Guillermo Galván (Nationale Verteidigung) und Mariano Saynez (Marine) gefordert, um den Grad ihrer Verantwortung an der landesweiten Gewalt zu untersuchen. Das Ermittlungsgesuch richtete sich auch gegen Joaquín 'El Chapo' Guzmán, Chef des Sinaloa-Kartells und einer der mächtigsten Männer Mexikos.

Den Anklägern zufolge ist es Sache des CPI, die von Soldaten und Drogenhändlern begangenen Menschenrechtsverbrechen zu untersuchen. Den Militärs werden Morde an Zivilsten in Militärkasernen, Verschwindenlassen und Folter angelastet. Die Rauschgiftmafia wiederum hat Anschläge auf Krankenhäuser und Drogenrehabilitationszentren durchgeführt sowie zahlreiche Immigranten ermordet.

Wie aus einer am 12. November von der Beratungsfirma BGC und der Zeitung 'Excelsior' durchgeführten Umfrage hervorgeht, beschließt Calderón seine sechsjährige Amtszeit mit der Zustimmung von 49 Prozent. Damit steht er schlechter da als seine Amtsvorgänger. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.tribunalciudadano.mx/blog/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101901

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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. November 2012