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LATEINAMERIKA/1390: Chile - Brandanschlag reaktiviert historischen Mapuche-Konflikt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Januar 2013

Chile:
Brandanschlag reaktiviert historischen Mapuche-Konflikt

Von Marianela Jarroud


Bild: © Fernando Fiedler/IPS

Die Mapuche fordern ihre angestammten Territorien zurück Bild: © Fernando Fiedler/IPS

Santiago, 7. Januar (IPS) - Der Brandanschlag auf eine Finca im südchilenischen Araukanien, der einem Unternehmer und dessen Frau das Leben kostete, hat erneut ein Schlaglicht auf die Landfrage in der Region geworfen. Analysten zufolge zeigt der Fall vor allem eins: eine tiefe Unkenntnis der Behörden, was die Geschichte der Region und der indigenen Mapuche angeht.

Der Brand ist der bisherige Höhepunkt einer Anschlagsserie in der sogenannten 'roten Zone', einem Epizentrum des Kampfes der Ureinwohner um das Land ihrer Vorfahren. Mit 700.000 Mitgliedern sind die Mapuche die größte indigene Gruppe in dem südamerikanischen Land.

Werner Luchsinger und seine Frau Vivianne McKay starben infolge eines Brandanschlags am frühen Morgen des 4. Januars in der Gemeinde Vilcún, 640 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago. Nach Polizeiangaben wurde das Feuer von 20 maskierten Personen gelegt. Der 75-jährige Forstunternehmer hatte Schüsse auf die Angreifer abgefeuert, bevor er und seine Frau in den Flammen umkamen.

Wenige Stunden später nahm die Polizei einen Verdächtigen fest, der eine Schussverletzung aufwies. Die Justiz hat inzwischen einen Sonderstaatsanwalt mit den Ermittlungen beauftragt. Chiles rechtsgerichteter Staatspräsident Sebastián Piñera kündigte an, auf der Grundlage des Anti-Terrror-Gesetzes gegen die Täter vorzugehen.

Doch vom staatlichen Nationalen Menschenrechtsinstitut kam Kritik. Das Gesetz aus der Zeit der Diktatur von Augusto Pinochet (1973-1990) verstoße gegen grundlegende Rechte, hieß es. Auch die Ankündigung, das Polizeiaufgebot in der Region erhöhen, stieß auf massiven Widerstand. Die Region gilt als hochgradig militarisiert.

Piñera war gleich nach Bekanntwerden des Vorfalls nach Araukanien gereist, wo er die Gründung einer Anti-Terror-Einheit und die Einrichtung einer Zone bekannt gab, in der Fahrzeuge und Personen künftig kontrolliert werden sollen.


Null-Toleranz-Politik angekündigt

Die Regierung werde alles daransetzen, um Terrorismus und extreme Gewalt vor Ort zu unterbinden, versicherte der Staatschef. "Und dafür werden alle uns zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel einsetzen, (...), um diese Terroristen zu besiegen und der Region das Recht zurückzugeben, in Frieden zu leben."

In der Nähe des abgebrannten Haupthauses der Luchsingers fand die Militärpolizei Pamphlete, die an den Mord an dem indigenen Studentenführer Matías Catrileo Quezada im Januar 2008 erinnerten. Catrileo Quezada war einer von bisher elf Indigenen, die sich seit Anfang der 1990er Jahre für eine Rückgabe der indigenen Gebiete einsetzten und getötet wurden.

Catrileo Quezada war von Polizisten auf einem Grundstück von Jorge Luchsinger, dem Bruder des verbrannten Forstunternehmers, erschossen worden. Jorge Luchsinger gilt als entschiedener Gegner der indigenen Forderungen. Wie er gegenüber dem Rundfunksender 'Radio Agricultura' im Anschluss an den Brandanschlag erklärte, "gibt es in Chile keine Rechtstaatlichkeit", und "die Guerilla trägt den Sieg davon". Bei den Angreifern handele es sich um ein paramilitärisches Kommando.

Konservative Kreise in Chile teilen die Meinung, dass es in Chile eine ausgebildete Kampftruppe gibt, die im Rahmen des Kampfes der Mapuche um ihre angestammten Gebiete Terrorakte durchführen. So hatte am 25. Dezember der chilenische Regierungssprecher Andrés Chadwick erklärt, dass sich die Behörden mit einem "mächtigen Feind konfrontiert sehen, der die Unterstützung des In- und Auslandes besitzt".

Nachdem Chadwick heftige Kritik für seine Äußerung einstecken musste, erklärte er, dass die "Gewalttäter" eine "sehr kleine Gruppe Menschen sind, die nichts mit dem Mapuche-Volk zu schaffen haben". Eine Äußerung, die von Piñera am 4. Januar wiederholt wurde.

Domingo Namuncura, ehemaliger Leiter der Nationalen Körperschaft für indigene Entwicklung, erklärte gegenüber IPS, dass der Staat mit seiner jahrzehntelangen Weigerung, das Problem nachhaltig zu lösen, sowohl die Gewalt in Araukanien als auch das Klima der Gewalt in verschiedenen Zonen verursacht habe. Wie er kritisierte, wurde die indigene Frage nie mit der Kultur der politischen Bewegungen und mit politischen Rechten in Zusammenhang gebracht.


Geraubtes Land

Viele Mapuche-Gemeinschaften fordern das Land zurück, das ihnen der Staat Ende des 19. Jahrhunderts abgenommen hatte. Heute befinden sich die umstrittenen Gebiete mehrheitlich im Besitz privater Holzunternehmen. Die Mapuche halten die seit 1994 zurückgegebenen 660.000 Hektar Land für unzureichend. Einige Indigenen-Organisationen fordern außerdem kollektive und kulturelle Rechte ein, die ihnen ein gewisses Maß an Autonomie gewähren.

Laut dem Direktor der Indigenenzeitung 'Mapuche Times', Pedro Cayuqueo, ist der jüngste Brandanschlag auf den fehlenden politischen Willen zurückzuführen, den Konflikt aus der Welt zu schaffen und den Einsatz repressiver Mittel gegen die Indigenen einzustellen. "Wir haben es mit einem historischen und politischen Konflikt zu tun, der gelöst werden muss", sagte der Journalist und fügte hinzu, dass es einen politischen Wandel geben müsse, um Chile auf die künftigen Herausforderungen vorzubereiten.

Cayuqueo sprach zudem von einer "unglaublichen Ignoranz" der Behörden in Bezug auf die Geschichte der Region. Die Region stehe weder in Flammen, noch herrsche dort Krieg. Weil die Behörden nichts über die schreckliche Geschichte wüssten, würden sie von den Ereignissen völlig überrascht.

"Es herrscht eine völlige Unwissenheit darüber, wie der chilenische Staat an die Region gekommen ist und wann die Militärinvasion stattfand. Ebenso wenig weiß man über das Sterben, das zerstörte Land und die Ankunft der europäischen Siedler, denen die Behörden indigenes Land geschenkt haben."

Cayuqueo zufolge geht der Brandanschlag auf einen alten Konflikt mit der Familie Luchsinger hervor und hat seinen Ursprung in den 1990er Jahren, als die Familie von der Schweiz nach Chile übersiedelte.

Alberto Coddou vom Menschenrechtsprogramm der Diego-Portales-Universität, empfahl den Behörden, sich strukturiert und systematisch mit der Frage auseinander zu setzen, was der Staat in der Region zu suchen habe. Er solle sich mit der lokalen Geschichte und den indigenen Völkern in ähnlicher Weise auseinandersetzen, wie dies Kanada, Norwegen und Neuseeland getan hätten. (Ende/IPS/kb/2013)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2013