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LATEINAMERIKA/1392: Zehn Jahre Linksregierungen in Brasilien - eine Bilanz von links (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 2 vom 11. Januar 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Die Bourgeoisie als Gewinner
Zehn Jahre Linksregierungen in Brasilien - eine Bilanz von links

von Günter Pohl



Am 1. Januar jährte sich der erstmalige Regierungsantritt eines Präsidenten der Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores - PT) zum zehnten Mal. Lula da Silva hatte die Wahlen im Oktober 2002 in der Stichwahl deutlich gewonnen und übernahm ein großes Land mit ebenso großen Problemen.

Dass Lula seit seinem ersten Versuch 1989 erstmals eine Wahl gewinnen konnte (und danach auch die im Jahr 2006) hing mit einem historischen Bündnis seiner im Diktaturwiderstand 1980 gegründeten PT mit dem national ausgerichteten brasilianischen Kapital, also der klassischen Bourgeoisie, zusammen. Damals wurde der Textilunternehmer José Alencar Vizepräsident und damit Repräsentant derjenigen Wirtschaftskreise, die sich berechtigte Angst vor einem Durchmarsch der "Amerikanischen Freihandelszone" (ALCA) machen mussten. Nicht mit den üblichen Partnern von rechts, sondern nur mit Lulas PT - damals nach drei Niederlagen schon mit gemäßigter Programmatik - war ALCA zu verhindern. Die PT verbündete sich also mit mehreren Parteien der bürgerlichen "Mitte" (PMDB, PTB, PP) und auch konservativen Kräften. Um regieren zu können war das auch notwendig, denn im Parlament kam die PT nicht über ein Fünftel der Abgeordneten hinaus.

Die PT kann mit den Präsidenten Lula da Silva und Dilma Rousseff (seit 2011) im Rahmen des bürgerlichen Politikbetriebs manche Erfolge vorweisen. Die so genannte C-Klasse (die Unterschichten) konnten in Teilen einen sozialen Aufstieg erleben. Die Null-Hunger-Programme zeitigten in dieser Hinsicht tatsächliche Erfolge für dreißig Millionen Menschen; die Binnenkaufkraft stieg an.

Aber dennoch - oder deshalb - ist in Brasilien die politische, wirtschaftliche und ideologische Hegemonie der Bourgeoisie in stetigem Aufwärtstrend. Der Philosophieprofessor José Renato Rodrigues sieht die Begründung in der mit der politischen Übernahme der gesellschaftlichen Widerstandsbewegungen der achtziger und neunziger Jahre durch die PT einhergehenden "Suche nach einem Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit" als ihrem Ziel, in klarer Abgrenzung zu den KPen, die auf den Kampf gegen das Kapital setzten. Mit einer bürgerlichen Denkweise war es dann auch möglich, den in den letzten zehn Jahren aufgestiegenen Bevölkerungsteil sich selbst willig als "Teil der bürgerlichen Ordnung" einordnen zu lassen. Grundsätzlich handele es sich bei Brasilien - so Professor Rodrigues - um eine Klassendiktatur der Bourgeoisie. Nach der Überwindung der militärischen Diktatur ab 1986 bleibe es im Kapitalismus doch, unabhängig von der Regierungsform, bei dieser bürgerlichen Klassendiktatur, in der "die Politiker/innen über die Parteien, manchmal auch über linksgerichtete, Finanzierung durch Unternehmen erhalten". Das sei Teil der bürgerlichen Politikkultur im Allgemeinen und daher mitnichten nur in Brasilien anzutreffen. Die mit der 2002 gelungenen Regierungsübernahme der PT verbundenen Hoffnungen auf Reformen innerhalb des PT-Konzepts der "demokratischvolksnahen Regierung" blieben aber weitgehend aus. Das hängt vor allem mit der ausgebliebenen Mobilisierung der Arbeitermassen der Industriezentren zusammen, aus der sich die PTWählerschaft rekrutiert. So waren auch die gesellschaftlichen Reformen nicht möglich, so José Renato Rodrigues. Außenpolitisch hielt sich die PT-Regierung Lulas in Äquidistanz zu den Prozessen in Venezuela, Ecuador und Bolivien; und zu ALBA war es sogar weniger als das. Die Vereinbarungen mit dem Internationalen Währungsfonds wurden eingehalten, und das Kapital erlebte nach allen verfügbaren Daten unter Lula und heute mit Präsidentin Rousseff keine schlechtere Zeit als unter dem neoliberalen Vorgänger Fernando Henrique Cardoso. Im Gegenteil haben einige kluge außenpolitische Vereinbarungen im Rahmen der BRICS-Schwellenländerpolitik neue Märkte eröffnet.

Zur Bilanz der zehn PT-Jahre gehört auch zu sehen, dass die PT mit ihrer Wirtschaftspolitik keineswegs überrascht habe, sondern die Problematik schon weit davor gelegen habe, so José Renato Rodrigues, der auch Mitglied des ZK der Brasilianischen Kommunistischen Partei (PCB) ist. Als die beiden KPen noch in der Illegalität kämpften, erlangte die PT schon legalen Status und nahm an Kommunalwahlen teil. Antikommunistische Kräfte innerhalb der PT trugen zur Verfälschung der Geschichte der Arbeiter- und Widerstandskämpfe bei. Letztlich wurde in jener Zeit bereits das Konzept der bürgerlichen Gewerkschaften und des Bürgertums als Ziel eingeführt. Konsequent war damit die Überführung des Gewerkschaftsdachverbandes CUT in die "Internationale Konföderation freier Gewerkschaftsorganisationen".

Grundsätzlich müssen in Brasilien die "Bewegungslosigkeit und Apathie der Arbeiterklasse überwunden und die verschiedenen, voneinander isolierten Kämpfe, die mit der aktuellen bürgerlichen Ordnung anecken, zusammengeführt werden". Viele Streiks sind spontan und richtungslos. Dabei komme es darauf an, dass diese Kämpfe dann nicht in den Händen derjenigen verblieben, die an die zweijährlichen Wahlen glaubten ohne zu versuchen die Kräfteverhältnisse zu Gunsten der Arbeiterschaft zu verändern. Denn über Wahlen ist noch kein Gesellschaftssystem abgelöst worden.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 2 vom 11. Januar 2013, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2013