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LATEINAMERIKA/1425: Kolumbien und die Verhandlungen in Havanna (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 29/30 vom 19. Juli 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Kolumbien und die Verhandlungen in Havanna
Regierung Santos provoziert mit Nato-Anbindungsplänen

Übersetzungen und Zusammenstellung: Günter Pohl



Seit einem Dreivierteljahr laufen nun schon die Friedensgespräche zwischen der kolumbianischen Regierung und den aufständischen "Revolutionären Streitkräften Kolumbiens" (FARC) in der kubanischen Hauptstadt Havanna. Nach der dem Anschein nach zufriedenstellend angegangenen Landfrage ist man seit dem 1. Juli in der elften Verhandlungsrunde und somit der zweiten Phase der Gespräche angelangt, wo es um politische Partizipation geht. Einzelne Ergebnisse der Verhandlungen führen aber weder zu konkreten Zwischenvereinbarungen noch zu irgendeiner Umsetzung vor dem Ende der Verhandlungen, denn es gilt das Prinzip: "Nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist" Das interpretiert die Regierungsseite so, dass sie einen Waffenstillstand, der äußerst positiven Einfluss auf die Gesprächskultur in Havanna, vor allem aber für die gebeutelte Landbevölkerung Kolumbiens hätte, kategorisch ablehnt. Militärische Vorteile bringt es ihr allerdings nicht.

Mit den folgenden Beiträgen sollen ein paar Schlaglichter der letzten Wochen aufgezeigt werden: die Unterschrift der Regierung unter ein Kooperationsabkommen mit der NATO am 25. Juni, die darauf folgende diplomatische Verstimmung mit Venezuela (einem der Garantenstaaten für die Gespräche auf Kuba); eine gemeinsame Erklärung der FARC mit dem ELN, der zweitgrößten bewaffneten Aufstandsgruppe des Landes (die nach drei in den letzten Jahren gescheiterten Versuchen derzeit nicht mit der Regierung verhandelt); die wichtigen Vorschläge der FARC-Vertreter/innen für eine politische Teilhabe und deren Garantien. Die Ablehnung der Waffenübergabe deutet auf einen Selbstschutz der FARC hin, die auch klar gemacht haben, dass sie keinesfalls ins Gefängnis gehen würden, genauso wenig wie an Wahlen am linken Rand des Parteienspektrums teilzunehmen. Sie stehen nach wie vor für ein anderes Kolumbien, wenn auch ihr Zugeständnis für den Verhandlungstisch ist, dort von der Maximalforderung der revolutionären Umgestaltung abzusehen.

Die schwierige Gemengelage ist durch die Provokation der NATO-Anbindung (andere Länder mit diesem Status sind Australien, Ägypten, Israel, Argentinien, Südkorea und Japan) nicht einfacher geworden. Überhaupt scheinen die ungelösten Fragen, darunter auch eine Opferentschädigung, weite Schatten über die wenigen lösbaren Probleme zu werfen.


Schon wieder das Israel Amerikas

Die Regierung von Juan Manuel Santos will in die NATO, den multinationalen Militärgendarmen des Weltimperialismus. Was bedeutet das für das Friedensprojekt Kolumbiens und für Unser Amerika?

Es bedeutet, dass wieder einmal von Kolumbien aus die Kriegstrommeln gerührt werden, gegen den Rest des Kontinents, und so die unschmeichelhaftesten Episoden der Uribe-Außenpolitik erinnert werden müssen, was beweist, was man schon dachte: Die Santos-Regierung hat Willen zum Krieg, nicht zum Frieden.

Der Imperialismus hat eine Figur auf dem Schachbrett der Weltgeopolitik bewegt und versucht sich in unserem Amerika zu positionieren, in der Region, die einen soliden antiimperialistischen Block gebildet und seine Hegemonie seit Ende des letzten Jahrhunderts beschädigt hat.

Es geht nicht darum, dass Kolumbien seine Mitgliedschaft in der NATO beantragt hätte, sondern dass die NATO eine Eingangstür nach Lateinamerika sucht; von Kolumbien aus, einem Land großen geostrategischen Werts - wegen seines Zugangs zu beiden Ozeanen und der Nachbarschaft zum Panamakanal, dem Bolivarianischen Venezuela und dem Ecuador der Bürgerrevolution. Es dient als Scharnier zwischen Mittel- und Südamerika und hat nach den USA das größte Heer des Kontinents, unterstützt von sieben US-Basen, Beratung und Technologie aus den USA und Israel.

Die NATO war Produkt des Kalten Krieges, als multinationale Militärmacht der Länder des kapitalistischen Lagers (USA, England, Frankreich, Deutschland, Kanada etc) konzipiert den sowjetischen Block zu bremsen. 1990 löste sich die UdSSR auf, jedoch nicht die NATO; im Gegenteil stärkte sie sich, um sich dann als Militärgendarm der neuen Weltordnung und als Verteidigerin der Interessen des globalen Kapitalismus zu geben.

Ihr erstes Abenteuer war die Bombardierung Jugoslawiens 1993, womit sie sich in diesem Teil Osteuropas, vorher Teil des sowjetischen Blocks, positionierte. Acht Jahre danach, 2001, stieg sie in den globalen antiterroristischen Kreuzzug ein und nahm an der Invasion Afghanistans teil.

2003 war sie Teil der Irak-Invasion. 2011 führte die NATO die Bombardierung und Besetzung Libyens an, und platzierte sich damit in Nordafrika. 2012 versuchte sie den Konflikt mit Argentinien wegen der Malwinen zu erneuern, als Vorwand um sich in den Südatlantik zu setzen, als eine Art SATO (Südatlantische Vertragsorganisation, A. Ü.). In jenem Jahr d. begann auch die nicht-offizielle Intervention in Syrien. Derzeit interveniert sie formal in Mali. Jetzt versucht der imperiale Gendarm sich mit dem Gesuch von Santos potenziell in Südamerika festzusetzen. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat die NATO also erreicht ihre Außengrenze vom Nordatlantik nach Zentralasien, den Mittleren Osten, Nordafrika und nun Lateinamerika zu verschieben.

Dieser Schritt ist Teil einer Kette von Geschehnissen, die zusammengenommen ein Puzzle einer angekündigten Gegenoffensive darstellen: das kürzliche Treffen der Pazifikallianz in Cali, der Besuch von US-Vizepräsident Joe Biden, der Empfang des antichavistischen Opposionsführer Venezuelas, Enrique Capriles, durch Juan Manuel Santos und nun der Antrag an die NATO decken die Haltung einer bedingungslosen Angleichung der Regierung Kolumbiens an die USA auf. Die Ziele sind klar: die Macht des lateinamerikanischen Blocks, speziell des Sicherheitsrates der UNASUR, und den politischen Einfluss von ALBA und CELAC einzudämmen.

Warum jetzt diese veränderte Haltung? Weil der Imperialismus und die regionalen Oligarchien es so werten, dass das physische Verschwinden des Comandante Chávez einen Moment der Verletzbarkeit darstellt und daher eine Möglichkeit für eine Gegenoffensive besteht.

Kolumbien braucht eine Regierung, die bereit und in der Lage ist den Frieden zu schaffen, und es ist klar, dass die von Juan Manuel Santos mehr auf den Krieg und die Destabilisierung setzt als auf einen wahren Frieden. Die Gesamtheit der kolumbianischen Gesellschaft hat klar gemacht, dass sie den Frieden und auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Reformen und Transformationen will. Diejenigen, die guten Glaubens und vom Konflikt betroffen sind und geglaubt haben, dass Santos Friedensvorschläge hatte, müssen nun nachdenken und sich bewusst werden, dass es nötig ist einen eigenen gesellschaftlichen und politischen Bezugspunkt zu schaffen, jenseits der Oligarchien.

Der historische Moment ermahnt uns dieses neue politische Subjekt zu errichten, indem wir alle demokratischen, fortschrittlichen, linken und revolutionären Kräfte zusammenbringen, die gesellschaftlichen und ethnischen Bewegungen, alle jene mit den Parteien und üblichen Politikern unzufriedene Bürgerschaft, und indem wir uns auf alles, was uns eint fokussieren und nicht aus dem, was uns trennt, die Rechtfertigung zu machen jeder für sich zu gehen, und uns vorzunehmen Macht und Regierung zu sein. Alle ehrlichen, fortschrittlichen und antiimperialistischen Lateinamerikaner/innen müssen die Reihen schließen zur Verteidigung des kontinentalen Projekts, das heute in den Ländern der ALBA und von CELAC repräsentiert ist, denn deren Völker und Regierungen sind die Avantgarde der Hoffnungen auf eine zweite und wahrhaftige Unabhängigkeit, auf Souveränität und Frieden für unser Amerika. Kolumbien muss integraler Bestandteil dieses Prozesses sein und nicht das Israel Amerikas.

Erklärung des ELN in seiner Zeitschrift "Insurección" (Aufstand)


Erklärung von FARC und ELN Die kolumbianischen Guerillas wollen gemeinsam agieren

Die kurze aber bedeutende Erklärung von ELN (Nationales Befreiungsheer) und FARC-EP (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens - Volksheer), unterschrieben von ihren Obersten Kommandanten und der Öffentlichkeit am 1. Juli übergeben, drückt einen gemeinsamen politischen Willen von großer Reichweite für die derzeitige politische Realität Kolumbiens aus. In ihr erklären die beiden revolutionären Organisationen ihr Eintreten für eine "Erreichung einer demokratischen, nicht ausgrenzenden, souveränen und im Frieden lebenden Gesellschaft" und laden das Volk ein "gemeinsam zu arbeiten und sich dafür in Bewegung zu setzen".

Das aus dem Zusammenhang zu reißen, könnte es als simple Rhetorik aussehen lassen. Es würde bedeuten nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass die Erklärung vielmehr lange ausgearbeitete Vereinbarungen synthetisiert, die, wie in der Botschaft anerkannt, die Überwindung einer länger anhaltenden Periode von Differenzen und Streitereien in einzelnen Regionen des Landes bedeuten; in jenen Regionen gibt es nun Versöhnungsprozesse, ein Wiederzusammenfinden und gemeinsame Vorschläge. Aber vor allem würde es bedeuten die politische Lage misszuverstehen, die durch die Dialoge von Havanna entstandene Volks- und Intellektuellenmobilisierung, auf deren Rahmen die Erklärung notwendigerweise anspielt. Die Essenz des Dokuments ist die These, dass die politische Lösung des bewaffneten inneren Konflikts über "die nicht ausweichbare Notwendigkeit Gespräche mit allen kolumbianischen Aufständischen zu führen" geht. Erstmals in diesem Jahrhundert wird im Kontext eines Dialogprozesses eine Erweiterung der Reichweite der politischen Lösung über eine Verbreiterung des Teilnehmerfeldes auf alle Aufstandsgruppen Kolumbiens vorgeschlagen. Unabhängig von der Antwort, die die Regierung darauf geben wird, und jenseits der engen taktischen Kalküle der in Afghanistan geschulten US-Berater, repräsentiert diese neue Realität eine erste starke Herausforderung hinsichtlich der Option für einen demokratischen, gerechten und transformierenden Frieden.

Dieser Frieden hat einen klaren Namen, der ihn von den vagen Versuchen eines "Expressfriedens" unterscheidet, im Tausch gegen ein Paket von Versprechungen. Es geht um einen "Frieden mit Würde und gesellschaftlicher Gerechtigkeit", ausgerichtet auf eine zivilisierende Wirkung in der Nation und dem Kontinent. So wie der uruguayische Präsident Mujica gesagt hat - was in Kolumbien aufgebaut wird ist der Frieden von Lateinamerika. Daher stehen die Spektakel von Santos bezüglich Vereinbarungen mit der NATO oder Destabilisierungsmanövern gegenüber Venezuela so derart im Widerspruch dazu.

Die Erklärung unterstreicht, dass dieser Frieden das Werk des vereinten Volkes sein muss. Aber nicht als ein leeres Versprechen. Die Wichtigkeit der Einheit aller politischen und gesellschaftlichen Kräfte, die für tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft engagiert sind, wird hervorgehoben. Dieser Aufruf ist eine zweite Herausforderung, die man verstehen und annehmen sollte.


Jaime Caycedo, Generalsekretär der Kolumbianischen Kommunistischen Partei (PCC), in Voz, Wochenzeitung der PCC, 10. Juli 2013


FARC-Vorschläge für die zweite Verhandlungsrunde
  • Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung nach Paragraph 376 der Verfassung von 1991
  • Aussetzung aller Wahlen für ein Jahr, um die Friedensgespräche in ihrer Grundsätzlichkeit nicht durch kurzfristige Wahlinteressen zu gefährden

Dabei sollen u. a. angesprochen werden:
juristische Sicherheit für alle Kriegsteilnehmer/innen; Justizreform; territoriale Neuordnung des Landes und Einordnung der Friedensterritorien in diese Neuordnung; administrative Dezentralisierung; Recht der Oppposition auf Widerspruch und andere Rechte; Schaffung eines Mandats, welches die Entwicklung von Verfassungsnormen vorschreibt; Übergangsnormen für eine Nachkonfliktpolitik; Gründung einer Wahrheitskommission; Mechanismen für eine Opferidentifizierung und -entschädigung; Schaffung eines Rechtsstaates im Allgemeinen

Friedensdelegation der FARC-EP, Havanna, 12. Juni 2013


Kein Waffenabgabe durch die FARC

Andrés París, einer der Unterhändler der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens in Havanna, hat in einem Interview mit der in Cali erscheinenden Zeitung "El País" am 16. Juni klargestellt, dass es für die Regierung "niemals ein Foto einer symbolischen Waffenübergabe durch die Guerilla" geben werde. Damit zieht die Guerilla die Konsequenz aus der kolumbianischen Geschichte, in der immer wieder Aufständische nach Abgabe der Waffen durch staatliche und parastaatliche Kräfte gemetzelt wurden. "Wir streben einen Frieden wie in Nordirland an, weil dort Prinzipien festgelegt wurden" , so Andrés París. Die IRA hatte 1994 einen Waffenstillstand beschlossen und vier Jahre später war das Karfreitagsabkommen unterzeichnet worden. Die Waffen waren dabei nicht übergeben worden.

"Die Waffen werden schweigen, wenn der Wille sie zu benutzen weicht, und das geschieht in Kolumbien, wenn alle denkbaren Situationen erfüllt werden, die wir an den Verhandlungstisch bringen."

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 29/30 vom 19. Juli 2013, Seite ...
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2013